CfP: Leibesvisitationen

posted by Amalia Kerekes on 2013/01/21 16:51

[ Call for Papers ]

Mit dem Titel "Leibesvisitationen. Der Körper als mediales Politikum in (post)sozialistischen Kulturen und Literaturen" findet eine interdisziplinäre Tagung am GWZO Leipzig vom 19. bis 21. September 2013 statt.

"Wenn man in einer Gesellschaft groß wird, in der man seine Haut
nicht zu Markte tragen kann, weil es einen solchen nicht gibt, fühlt man sich körperlich anders." (Kurt Starke)

Leibesvisitationen - Titelbegriff und Leitmetapher - lässt den im Begriff 'Politikum' verdichteten Widerstreit zwischen einzelnem Körper und gesellschaftlicher Körpervorstellung offenbar werden. Konkret - etwa bei polizeilichen Kontrollmaßnahmen oder der ärztlichen Visite - bezeichnet die Leibesvisitation die 'augenscheinliche' Untersuchung und genaue Besichtigung des Körpers.
Die Metapher Leibesvisitation zielt auf ein dialektisches Problem. Öffentlich-somatische Praktiken und Kommunikationsstrategien erzeugen Momente des Verborgenen bzw. Latenten und Klandestinen. Visitation meint mithin auch die entblößende Betrachtung, die das Funktionieren des Körpers und seine Widerstandsfähigkeit untersucht.
Dieser metaphorischen Auffassung von Leibesvisitationen folgt das Erkenntnisinteresse der Tagung. Es gilt sowohl den Strategien und Inszenierungsweisen des Körpers in literarischen Texten und anderen Medien als auch der interdiskursiven Verarbeitung geläufiger Körperdiskurse.
Die zentralen Fragestellungen der Tagung betreffen die medialen Modi, durch die der Körper als Politikum zum Ausdruck kommt. Welche literarische Bedeutung bekommen körperliche Transgression und Körper-Phantasma oder körperliche Sinnesempfindungen gerade in den (post)sozialistischen Gesellschaften und Kulturen? Inwiefern werden Gestaltbarkeit und Darstellung dahingehend selbstreflexiv problematisiert? Welche politische Dimension erhält der Körper angesichts uniformierender Maßgaben im Sozialismus und deren Liquidierung resp. Umkodierung im Kapitalismus?
Das literaturwissenschaftliche Interesse am Körper gilt seiner Medialität und fragt nach den Techniken, mit denen der Körper gebildet und abgebildet, beschrieben und vertextet wird. Der Konnex zwischen Medium und Politikum zielt mithin auf vermittelte und nicht unvermittelte Verfahren der strategischen Verwendung des Körpers, der zugleich als Medium und als Botschaft erscheint.

Aus den genannten Prämissen ergeben sich die folgenden Sektionen, die die Tagung inhaltlich strukturieren:

Sektion Aufstandsphantasien
Mit 'Aufstandsphantasien' ist durchaus beides gemeint, die Phantasie - oft genug das Phantasma - vom Aufstand wie die Phantasie als Aufstand. Aufstand, indem er eine immer auch physische Repression voraussetzt, hat eine evidente somatische Komponente, die sich wiederum in Aufstandsphantasien häufig als narrative oder bildliche Körperzentriertheit manifestiert. Dabei stehen sich Ermächtigungs- und Ohnmachtsphantasien nicht gegenüber, sondern bilden zwei Seiten derselben Medaille. Ästhetisch artikulierte aufrührerische Energie und Wut, Widerstand in Bildern körperlicher Angst, Aggression und Rausch - sind das eine. Als paradigmatisches Gegenüber kann die sorgfältige Anamnese eines imaginierten, hilflos verendenden Körpers gelten, z.B. die Ohnmachts-Imagination als Phantasie im Aufstand.
Schließlich wäre zu fragen nach spezifisch widerständigen Imaginationen von Massen als Körper, auch nach Phantasien von der Aufhebung des Einzelkörpers im revoltierenden Massensoma. Endlich lassen sich Vergleiche und Beziehungsgeschichten denken zwischen (post)sozialistischen ästhetischen Verfahren und gegenwärtigen politisch-poetologischen Prämissen, wie sie z.B. das Kunstkollektiv 'Laboratory of Insurrectionary Imagination' vorschlägt.

Sektion Nacktheit und Maskierung
Wie gestalten sich der strategische Einsatz von Nacktheit und/oder Maskierung und deren mediale Repräsentation sowie Diskursgeschichte im (Post)Sozialismus? Die beiden Leitbegriffe dieser Sektion sind sowohl Kontraste als auch reziproke Komplementäre, über die sich der Körper und seine mediale Existenz untersuchen lassen. Der entblößte Körper ist zugleich Ziel von Begehren wie 'öffentliches Ärgernis'. Er zieht den Voyeur an und dient dem Provokateur. Nacktheit erregt Anstoß, wo sie als 'unhöflich' (Žižek) oder unerwünscht sanktioniert ist. Maskierungsverfahren erscheinen vordergründig als Bedeckung, Kaschierung und als Verstecken von Nacktheit. Die Maske aber unterminiert, was als Ausweis von Identität erscheinen soll, und hintergeht diese im Spiel. Als weitere Spielart lässt sich eine (körperliche) Entblößung, ein Bloß-Stellen verstehen. Dabei provoziert die maskenhafte Verbrämung des Körpers eine Demaskierung, die als deiktische Verdeutlichung erscheint. Die vermeintliche pureté von Nacktheit schließlich mag nur mehr die ungeschlachte Leere des Unbedeckten, Durchschaubaren bzw. -sichtigen und gar Über-Sehbaren 'verkörpern', sofern sie quasi als Kleid oder Maske eingesetzt wird. So erscheint noch die narrativ offensichtliche Nacktheit von Andersens Kaiser als Kleid, das die Lüge maskiert und zugleich demaskiert.

Sektion Der andere Körper und der Körper der/des Anderen
Der Körper der/des Anderen ist nie ohne den imaginierten eigenen Körper denkbar. Ist das Eigene/das Selbst als Norm gesetzt, wird als abnorm disqualifiziert, was dieser Norm nicht entspricht. Abnorme Körper werden in dieser Sektion in zwei, sich in vielen Bereichen überschneidenden Kategorien verstanden: zum einen als anderer, zum anderen als fremder Körper.
Die Andersheit erweist sich etwa an körperlichen Deformationen. Sie werden schon im Sinne der 'political correctness' zum Politikum, wenn es um die Integration von disabled oder 'specially gifted' Personen in das Kollektiv geht - ein Kollektiv mithin, dass diese Andersheit primär erst benannt und dann ausgeschlossen hat. Die Sichtbarmachung von Abnormität, die De-Monstranz des Monströsen, ist eine politische, die Imago eines unversehrten Kollektivkörpers störende Intervention. Eine äquivalente Gemengelage lässt sich auch für den Körper der/des Fremden diagnostizieren, der als Fremdkörper ein Störpotential immer dort entwickelt, wo er sich sanktionierte Räume aneignet. Das gilt für alle Formen körperlicher Blockaden im öffentlichen und teilöffentlichen Raum wie für die Unterwanderung homosozialer Kollektive.

Sektion Körperzeichen und Zeichenkörper
Die Sektion widmet sich in einem doppelten Fokus der Zeichenhaftigkeit des Körpers einerseits und der Körperlichkeit von (Schrift)Zeichen andererseits. Beide Aspekte dieser somatischen Metaphorik lassen sich in einer semiologischen Analyse miteinander verschränken.
Zu Körperzeichen gehören natürliche Zeichnungen (z.B. Fingerabdruck), Einschreibungen und Aufschriften. Von konkreter Körperlichkeit als Tätowierung oder Bemalung ist der metaphorische Gebrauch der Einschreibungen zu unterscheiden: Dies bestimmt den Körper nicht selbst als Zeichen, sondern als Zeichenträger. In diesem Medium sind Körperzeichen als Spuren personaler Körpergeschichte lesbar.
Ein- und Aufschreibesysteme bedienen sich nicht selten der Schrift, deren Lettern einen eigenen Schriftkörper haben. Dieser kann zwei- bis dreidimensional selbstpräsentisch im Raum stehen oder diesen – etwa in Form von Parolen, Bannern oder Grafitti – besetzen. Wenn die Linearität der Schrift einer Normierung und Entkörperlichung zuarbeitet, können einzelne Buchstaben, indem sie 'aus der Reihe tanzen', aber auch ganze Buchstabengruppen diese Linearität unterminieren und damit ihrerseits zum Politikum werden.

Sektion Zurichtung und Verletzung
Die Verletzlichkeit des Körpers als seine typische Eigenschaft ist ein üblicher Topos und bildet die Basis der Sektion. Indem die Verwundbarkeit des Körpers als seine Schwäche affirmiert wird, findet – seit Descartes – eine Deklassierung des Somatischen statt. Wunde, Narbe und Mal, Bruch, Verletzung und Verstümmelung, Operation, Schnitt und Amputation provozieren in dieser Sektion die Frage nach ihrem strategiehaften Arrangement und nach der Technik ihrer jeweiligen Gemachtheit im Spannungsverhältnis zu ihrem Gewachsen- bzw. Gewordensein. Die Verletzung erhält ein Moment der Zurichtung, das ihr diskursiv zugeschrieben wird, indem das eigentlich Zufällige der Verletzung negiert ist. Umgekehrt stellt sich somatische Zurichtung zugleich als Disziplinierung des Körpers oder als seine vermeintliche Zähmung dar, die beide als Läsion aufgefasst werden können. Die juridische Fachsprache kennt den Tatbestand der 'Körperverletzung', die die vorsätzliche Zurichtung des Opfers durch den Täter meint. Der Blessur - rhetorisch auch zur Lädierung oder zum (heldenhaften) 'Kratzer' verklärt - wohnt demgegenüber eine (auch schmerzliche) Aura inne, die durch das Wundmal eigentlich auf Unverwundbarkeit und damit die Umdeutung der (körperlichen) Niederlage zur Siegerpose verweisen soll. Zu fragen bleibt, inwiefern sich für literarische Texte oder etwa die Performancekunst des (Post)Sozialismus von einer (dynamischen) Ikonographie der Verletzung sprechen lässt und wie sich 'Prozesse somatischer Zurichtung' als eigenständiger Diskurs beschreiben ließen.

Sektion Träge Masse(n) und somatische Aktion
Körpermasse aber auch Masse(n) von Körpern lassen sich als sozial-phlegmatische Konstellationen beschreiben, eigentlich also als Pseudo-Politikum. Dies steht in wesensmäßiger Differenz zu deren Aktion, wenn von wechselseitiger Exklusion beider Konzepte ausgegangen wird. Die Sektion fragt, wie massenhaft praktiziertes performatives Design des Körpers sehr wohl individuell erfahren wird. Die sozial oder in einer Wir-Gruppe konforme Anordnung, Gestaltung und Ausstellung des Körper-Designs lässt sich von außen gesehen als Trägheit beschreiben. Den in dieser Formgebung Aktiven aber mag diese körperliche Konformisierung als Steigerung von Individualität gelten, geschieht sie doch 'unmittelbar' am Körper, z.B. als kosmetische Operation. Diese subjektiv erfahrene, im bzw. am Körper sich ausdrückende Handlung ist ein Tun, das den Individualkörper mit den Gruppeninteressen synchronisieren, doch das einzelne handelnde Subjekt aus der Masse herausheben soll. 'Mitmachen' ist darin körperliche Selbst-Bestätigung, da es dem Subjekt als chimärisches Machen seines körperlichen Selbst erscheint. Die Sektion fragt nach prägnanten Beispielen für eine solche innere Gegenläufigkeit von 'somatischer Masse' und 'träger Körper-Aktion', in die soziales Sich-Verhalten im (Post)Sozialismus übersetzt ist.

Sektion Körperprothesen und Medienkörper
Als Substitut körperlicher Verluste oder Mängel kommt der Prothese eine bezeichnende Ambiguität zu. Einerseits vertuscht sie als funktionales Analogon ein Defizit, andererseits repräsentiert sie per se eine körperliche Beeinträchtigung. In dieser Doppelfunktion erweist sich die Prothese als politisches Medium, das ebenso für gesellschaftliche und ökonomische Reintegrationsbestrebungen steht, wie es Abweichungen von derartigen Normauffassungen zu signalisieren vermag.
Wenn Marshall McLuhan Medien grundsätzlich als "extensions of man" versteht, so steckt auch hinter dieser Auffassung ein politisches Programm, bei dem darauf gebaut wird, dass sich die körperliche Begrenztheit mit technologischen Innovationen erweitern lässt.
Mediale Prothesen erweitern den Körper temporal, entgrenzen ihn lokal und vervielfältigen ihn in allen denkbaren Speichersystemen. Vor allem mit der technisch immer ausgereifteren Reproduzierbarkeit verwandelt die Medienprothetik den Körper zunehmend in Datenströme, wobei nun geradezu umgekehrt dem tatsächlichen Körper allmählich prothetische Funktionen zuzukommen scheinen, indem dieser per audiovisueller und haptischer Interaktion den virtuellen Körper erweitert.
Das Spektrum dieser Sektion erstreckt sich vom Holzbein zum Implantat, vom fiktionalen Zeichenraum bis zur virtuellen Raumbegehung, vom Körperersatz bis zum Prothesenkörper. In politischer Hinsicht ist aufschlussreich, welche medialen Kanäle prothetisch wie genutzt, welche umgangen, welche gereizt, gelähmt oder schlicht ausgeschaltet werden.


Wir bitten um ein Exposé von maximal 3500 Zeichen (inkl. Leerzeichen) Länge in deutscher oder englischer Sprache (Tagungssprachen).
Bitte ordnen Sie Ihren Vorschlag einer der oben beschriebenen Sektionen zu und senden Ihr Exposé mit kurzer biographischer Angabe bis zum 17. März 2013 an die folgende E-Mailadresse der Tagungsorganisator_innen:

leibesvisitationen@uni-leipzig.de

Eine Rückmeldung erfolgt bis zum 30. April 2013.
Tagungsbeitrag: 30,- € pro Teilnehmer_in
Mittel für eine anteilige Übernahme Ihrer Reisekosten sind beantragt.
Ein Tagungsband mit ausgewählten Beiträgen ist fest vorgesehen.

Organisator_innen der Tagung:
Torsten Erdbrügger, M.A. (Universität Leipzig)
Dr. Gudrun Heidemann (Universität Łódź)
Prof. Dr. Alfrun Kliems (Humboldt-Universität Berlin)
Dr. Stephan Krause (GWZO Leipzig)
Friederike Partzsch-Szankowska, M.A. (Universität Bydgoszcz)

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