Kunstabteilung - Department of the Arts - Part 18
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Wie bereits in einem Blog angekündigt, wird eine CD-ROM über die Mediengeschichte seit dem Ausgleich von 1867 bis zum Zweiten Weltkrieg vorbereitet. Nun als Kostprobe ein Feuilleton über die weniger bekannte Budapester Landesausstellung von 1885, die als Vorläuferin der das Stadtbild und die Infrastruktur Budapests bis heute prägenden Millenniumsausstellung gilt. Ebenso gilt die Einladung zur Mitarbeit an der Gestaltung der CD-ROM!S-r: Die ungarische Landesausstellung. In: Neue Freie Presse v. 1.5.1885, p. 1-3.
Die epidemische Krankheit des Jahrhunderts, das Ausstellungsfieber, wüthet seit einigen Wochen in Ungarns Hauptstadt und fordert ihre Opfer. Die Symptome sind unverkennbar, die Diagnose ist eine unzweifelhafte. In den großen Verkehrsadern der Stadt ist der Pulsschlag ein wesentlich erhöhter: es wird gescheuert und getüncht, gepflastert und geschmückt. Der Tag wird in die Nacht verlängert, tausend und abertausend Hände regen und sputen sich, damit am festgesetzten Eröffnungstage, am 2. Mai, das ewig Unzulängliche Ereigniß werde – denn rechtzeitig fertig war noch keine Ausstellung und wird auch die hiesige nicht sein. Die Nichtvollendung ist das untrüglichste Merkmal einer Ausstellung, ihr Tribut an den Spott und wohlfeilen Witz. Auch alle Folge-Uebel einer solchen großen Veranstaltung der Arbeit stellen sich schon ein: hochgespannte Erwartungen und Forderungen, schöne Hochstaplerinnen und häßliche Taschendiebe, verletzte Eitelkeiten und heftige Knopflochschmerzen. Der gesund veranlagte Organismus einer so schönen und großen Stadt aber vermag alle diese kleinen Leiden rasch zu überwinden, und bis der große Strom der Besucher sich in ihre Straßen ergießt, wird sie sich in der vollen majestätischen Pracht eines bürgerlichen Gemeinwesens zeigen, das von allen dazu berufenen Factoren unablässig gehegt und gehätschelt wird.
In der That, diese Stadt wächst nicht nur, sie schwillt an. Selbst wer ihre Bannmeile nicht verläßt und von auswärts keinen vergleichenden Maßstab mitbringt, gewahrt staunend ihre Ausbreitung und Verschönerung. Die Liebe des Ungarns zur Hauptstadt seines Vaterlandes kann nur mit der abgöttischen Verehrung des Franzosen für Paris verglichen werden. Sie ist ihm Herz und Seele des Landes, noch mehr: die Heimat selbst. In diesen Enthusiasmus für die Metropole spielt die Politik energisch hinein; denn der Magyar weiß und fühlt, daß die Hauptstadt seines Landes weit vorausgeeilt ist in dem Wettbewerbe um die Aneignung der westlichen Cultur, während die Provinz nur langsamen Schrittes nachzukommen vermag, daß die Metropole daher den eigentlichen Rechtstitel auf die Gemeinschaft mit der modernen Entwicklung bildet. Das Gelingen dieser Ausstellung wird auch vom ganzen Lande wie eine Ehrensache behandelt und die Veranstaltung derselben mit glühendem Enthusiasmus betrieben. Auf andere Weise ist das Zustandekommen einer Ausstellung heutzutage kaum mehr möglich, denn der kaltkritische Skepticismus, auch in diesem Falle durch den Eisernen Kanzler des deutschen Reiches in seiner höchsten Ausbildung vertreten, hat über den Werth von Ausstellungen längst den Stab gebrochen. Es mußte daher eine zweifach freudige Wirkung hervorrufen, als man vernahm, Fürst Bismarck habe einen seiner Minister-Collegen bewogen, der Eröffnung der Ausstellung zu assistiren, obgleich der Botschafter des deutschen Reiches gleich den übrigen Vertretern der fremden Mächte am Wiener Hofe seine Anwesenheit bei dem feierliche Acte bereits angekündigt hat. Jene gewissen Leuten, die das Gras wachsen hören, wollen in der Delegirung eines deutschen Special-Gesandten bereits die ersten Symptome einer Verwirklichung der Zollunion mit Deutschland erblicken; da wir hier derzeit am Ausstellungsfieber laboriren, darf man sich über derartige visionäre Anwandlungen nicht verwundern. Auch soll man nicht erstaunt sein über die allenthalben sich kundgebende Befriedigung darüber, daß das Fest der Eröffnung von höfischen Glanze übergossen sein wird und daß es der Regierung durch eine wiese Verschwendung der Zeit gelungen ist, das Parlament über den Tag der Eröffnung hinaus beisammenzuhalten, damit die Ceremonie die richtige politische Folie erhalte. So klappt und stimmt Alles zusammen für dieses Fest des Friedens, wie die banale Phrase jetzt unzeitgemäß genug lautet; aber wir haben uns so tief und gründlich in den Ausstellungs-Paroxysmus eingesponnen, daß das Bischen Weltkrieg, das von der afghanischen Grenze droht, Niemanden anficht …
Wir besteigen das nächste Miethgefährte und begeben uns auf das Gebiet der Ausstellung. Das Vehikel ist sauber, der Kutscher höflich; ach, wenn es nur immer so bliebe! Der Weg führt längs der großen Radialstraßen-Avenue, seit einigen Wochen nach ihrem geistigen Schöpfer Andrassy-Straße getauft. Bald ist die in Neuheit prangende Palastreihe vorüber [...]. Vor uns liegt der einzige große, weitläufige Park, den die Stadt besitzt. Er heißt im Volksmunde Stadtwäldchen, ist in Wirklichkeit der Pester Prater. Auf dem mäßigen Plane dam Eingange erhebt sich sei einigen Tagen eine steinerne Balustrade mit großen Anläufen und danach in kleinen Dimensionen ein Emporium ohne Zweck, eine Art Sockel für etwas, das nicht vorhanden ist. Gegenwärtig ragt daraus eine Flaggenstange zur Höhe. Das Ganze bildet die nette Verkleidung des artesischen Brunnens, der hier seinen heißen Springquell emporsendet, und sit als Abschluß der Radialstraße gedacht, glücklicherweise nur provisorisch und für die Zeit der Ausstellung, denn angesichts des steinernen Meeres der großartigen Straße erscheint dieser "Abschluß" komisch. Rechter Hand biegt die breite Stephanie-Avenue ab, ein neuer, weltstädtischer Straßenzug, der zum Wettrennplatz und zur Ausstellung führt. Die letztere umfaßt ein Terrain von dreimalhunderttausend Quadratmetern und sit mitten hineingelagert in die Bosquets der schönsten Partien dieses Parkes. Das Terrain ist umplankt, und man muß ganz nahe heran, um der Ausstellung gewahr zu werden. Nur die weithin sichtbare vergoldete Kuppel der Industriehalle winkt schon von fernher und verräth, daß in ihrem Umkreise sich etwas Besonderes entfaltet.
Auf den ersten Blick fällt die Aehnlichkeit der Anordnung mit jener der Wiener Weltausstellung auf. Das ist sicherlich kein Vorwurf, denn der Wiener Rotundenbau bezeichnete den Höhepunkt der Ausstellungs-Architektur, und da Ausstellungen auf einander folgen und sich gleichen, ist es rathsam, nach bewährten Mustern zu arbeiten. Die Aehnlichkeit gilt aber auch nur dem Großen und Ganzen, keineswegs den Details. Da hier eine eng begrenzte Landesausstellung geplant war und fremde Erzeugnisse nur auf dem Gebiete der landwirthschaftlichen Maschinen und Arbeitsbehelfe zugelassen werden, fehlen die Colossal-Dimensionen, die weltumfassenden Verhältnisse. Und dennoch ist diese Ausstellung im Werden gewachsen. Kaum daß der Plan der Industriehalle genehmigt war, erwies sich ihr Fassungsraum als zu gering, und es mußten die Ausstellung ohne Ausnahme in ihren Raumansprüchen beschränkt werden. Man rechnete auf etwa 5000 Aussteller, und es meldeten sich deren mehr als 9000! [...] Rechts liegen das Gebäude der Direction, der schmucke Pavillon der Hauptstadt; links ein von Meister Burghart vorbereitetes Panorama der ungarischen Bäder, der Pavillon eines Champagner-Fabrikanten und ein niedliches Musterhotelchen, enthaltend die Collectiv-Ausstellung der hiesigen Gastwirthe.
Man durchreist das Hauptportal und befindet sich inmitten der Industriehalle, des Centrums der Ausstellung. Wer sie in den letzten Tagen betreten wollte, bedurfte ganz besonderer Protection, denn es sollten die Ausstellung in der letzten Arbeit des Auspackens und Anordnens nicht gestört werden. Eine Beschreibung aus dem Wollen heraus ist ganz unmöglich; die Hallte glich einem Riesenmagazin zur Jahrmarktzeit. Knapp unter dem Kuppelbau ist eine Riesenorgel aufgestellt, das Werk eines Arader Meisters, ein Geschenk des Cardinal-Primas für die Kirche von Kecskemet; der Erzbischof bezahlte dafür 12,000 Gulden, eine Kleinigkeit für den Mann, dessen Amtsrevenue auf mehr als eine Million Gulden jährlich taxirt wird. Unmittelbar daneben steht ein bescheidener Glaskasten, eine Bibliothek. Dort hantiert ein Mann von angenehmen Zügen. Ein ins Graue schimmernder Vollbart umrahmt das edle Gesicht, aus dem ein Paar wundermilden Augen blicken. Das Haupt ist kahl, wenn auch nicht immer, denn zur Winterszeit ist es mit einer Saison-Perrücke bedeckt. Unbekümmert um den ihn umtosenden Lärm stellt der Mann die Bücher in Reih’ und Glied. Merkwürdig, daß dies in der Industriehalle geschieht! Denn der Mann hat die Hunderte von Bänden selbst geschrieben, geschrieben mit seinem Herzblut, gefüllt mit den Schöpfungen seiner Phantasie, und er gehört doch keineswegs in die Kategorie der literarischen Handwerker.
Auf dem Simse des Schwankes steht eine Büste, von der hand des jüngst verstorbenen Adolph Huszar gemeißelt. Der Mann da untern blickt zeitweilig hinauf zur Büste droben, Mann und Büste zeigen dieselben Züge. Leben und Marmor, Vergänglichkeit und Dauerbarkeit kokettiren mit einander. Der Mann, der mit den Büchern hantiert, ist Moritz Jokai, und die Bücher der großen Bibliothek sind seine Werke. Er schrieb Zeit seines Lebens wol mehr als zweihundert Romane und dreißig Dramen. [...] Jokai hat sein Talent und seinen Beruf erst spät entdeckt. Er wollte Schauspieler, Jurist, Bildhauer oder Maler werden und war doch zum Dichter geboren. In freien Stunden plagen ihn Rückfälle, und während ihn die bildnerische Phantasie mit neuen Gestalten beschäftigt, versucht sich die Hand in Eisenbein-Schnitzereien. Auch diese Eingebungen der andern Muse, di ihn heimzusuchen pflegt, hat er aus dem reizenden Halbdunkel seines museumartigen Arbeitszimmers hier zur Schau gestellt. In der Industriehalle! Der Ort und sein Name wollen uns nicht aus dem Sinne. Wenn dieser Goldmensch, der den Namens seines Volkes zu hohen Ehren gebracht, nur über den hundertsten Theil der Reveneu seines hochkirchlichen Nachbars verfügte, wäre die Bibliothek vielleicht nicht so stark und gewiß nicht in die Industriehalle gerachten …
Man macht den Versuch, vorzudringen, aber vergeblich. Die Wege sind unpassirbar, der Raum ist buchstäblich vollgepfropft. Wie wird das nun werden, wenn sich die Besucher herandrängen, um ihre Schaulust zu befriedigen? Auch ist man gebeten, nichts vorzeitig von den Herrlichkeiten zur verrathen, die hier zu sehen sein werden, und man gibt es daher auf, die schier endlosen doppelten Längengalerien auf beiden Seiten zu durchschreiten. Wir verlassen den Raum, in dem unablässig gehämmert, gesägt und gepoltert wird, und eilen hinaus ins Freie. Doch wohin zuerst? Ganze Straßenzüge von kleinen und großen Hallen, Häuschen und Pavillons mit sehenswerthen Intérieurs laden zum Besuche ein. Die Orientirung ist wesentlich erschwert, weil die Aufschriften ausschließlich ungarisch sind – eine chauvinistische Maßregel, deren Urheber zu klug sind, um nicht selbst darüber zu lächeln. Deutsche und französische Parallel-Aufschriften ließen sich jetzt noch anbringen und würden dem fremdländischen Besucher auch ohne Führer die Orientirung ermöglichen. Dies wäre ein Act der Vernunft und der Höflichkeit in gleicher Weise, denn nur eine Weltsprache dar den Anspruch erheben, von jedem Gebildeten verstanden zu werden, und durch diese sprachliche Abschließung soll doch nicht etwa demonstrirt werden, daß man auf den Fremdenbesuch gar nicht angewiesen sei?
Kunst, Volksbildung, Hygiene, Forstwesen, Landwirthschaft, staatliche Domänen, große Fabriks-Etablissements, sie alle haben sich auf der Ausstellung ihr eigenes Heim errichtet und dabei ebensoviel Verständniß als Geschmack entwickelt Hier ruht noch die reiche Ausbeute für die Fachleute, und irhe Heerbann ist bereits mobilisirt, um die große Frage dieser Ausstellung zu entscheiden, ob der erste große und ernste Versuch des ungarischen Staates, die Gesammtheit seiner geistigen und materiellen Production in einem Spectrum zusammenzufassen, der darauf gewendeten Mühe werth gewesen. Da winkt zur Rechten das hochragende Giebeldach eines Forsthauses. Es ist anscheinend aus rohen Balken und Stämmen gezimmert, schillert in den Farben der verwendeten Hölzer und verbreitet weit um sich einen würzigen Harzduft. Den Thurm umgibt eine Galerie, von der aus man eine entzückende Fernsicht genießt. Zu unseren Füßen sehen wir die Ausstellung mit ihrem Menschengewimmel und Gebäude-Kunterbunt. Da tauchen nach links die ausgebauchten Giebel und Minarets eines Baues auf, der an die Hagia-Sophia in Konstantinopel gemahnt. In der That ist der orientalische Pavillon, dessen Dachfirst ins Auge fällt, nach dem Muster der berühmten Moschee in Konstantinopel in Holz ausgeführt. Derselbe wird die Ausstellungen Rumäniens, Serbiens und Bulgariens beherbergen, die theils willig, theils nach etwas diplomatischem Druck veranstaltet werden. Ein in der Nähe befindliches türkisches Kaffeehaus soll die Täuschung eines Aufenthaltes im Orient vervollständigen. An gluthäugigen "Sodalisken" dürfe es kaum mangeln. Und kehren wir den Blick nach rückwärts, fällt uns ein seltsamer Bau ins Auge, halb Bauernhaus, halb Kornspeicher. Das ist der croatische Pavillon, wo die "Brüder" von den Ufern der Save sich etabliren. Die ethnographisch interessante Ausstellung zeigt derzeit noch eine Lücke; ein unverbürgtes Gerücht besagt, daß dieselbe mit einigen der der hörenswerthesten Verbal-Injuiren des Dr. David Starcevic ausgefüllt werden soll. Nicht weit von diesen exotischen Bauten findet man angenehme Ruhepunkte auf den klaren, ruhigen Linien eines Renaissance-Tempels, der den Beruf habe, dem Hofe als Aufenthalt zu dienen, und auf den strengen Umrissen der in classischem Style erbauten Kunsthalle. Der Kaiserpavillon birgt in sich eine reizende Ausstellung an Einrichtungs- und Ausstattungs-Gegenständen, dem Hofe von hiesigen Industriellen gewidmet. Die Kunsthalle wird neben Werken Munkacsy’s die Schöpfungen magyarischer Künstler erhalten, die sich im Auslande bereits einen Namen gemacht. Und schweift der Blick weiter hinaus in die Ferne, so gleitet es hinweg über die Dächer der Stadt, taucht in die silberne Fluth des gewaltigen Stromes und wird erst beengt durch die sanften Höhenzüge des Ofener Gebirges, an dessen Gehängen der herzerwärmende rothe Freund stiller, vergnügter und verständiger Zecher gedeiht. [...]
Eine Schilderung aus Ungarn ohne die nie gesehene Fata morgana der Hortobágy, ohne Reminiscenz an die längst entschwundene Räuber-Romantik, ohne Schnürhosen und aufgedrehten Schnurrbart ist als unecht verschrien und kann nicht marktgängig werden. Diesen tiefwurzelnden Irrthum zu widerlegen, ist vielleicht der vornehmste Beruf der Ausstellung, die den Beweis liefern soll, daß Ungarn, auch seit es sich selbst überlassen ist, mit starkem Entschlusse und ungebrochener Ausdauer in die gemeinsame Culturarbeit der gesitteten Welt eingetreten und von dem Bestreben erfüllt ist, mit Anspannung aller Kräfte nachzuholen, wo es zurückgeblieben, gleichzuthun, wo es möglich is.
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Budapest
The M1-line so is a memento to both: a liberal mayor (for what Budapest was capable of) and the Siemens company, who more than a hundred years ago was capable of producing faultless underground trams (not like today's Combino crap...)
Du warst unpersönlich wie die anderen bebrillten Führer
im Sakko, deine Stimme war nicht metallen,
denn du wußtest nicht, was du eigentlich sagen solltest,
so unvermittelt den vielen Versammelten. Gerade das Plötzliche
war ungewohnt für dich. Du alter Mann mit dem Zwicker,
ich hörte dich, ich war enttäuscht.
Ich wußte noch nichts
vom Betonhof, wo der Staatsanwalt
das Urteil gewiß heruntergeleiert hat,
ich wußte noch nichts von der groben Reibung
des Stricks, von der letzten Schmach.
Wer will sagen, was sagbar gewesen wäre
von jenem Balkon aus, Möglichkeiten, unter Maschinengewehren
verfeuert, kehren nicht zurück. Gefängnis und Tod
wetzen die Schärfe des Augenblicks nicht aus,
wenn der eine Scharte bekommen hat. Aber wir dürfen uns erinnern
an den zögernden, verletzten, unentschlossenen Mann,
der gerade seinen Platz zu finden schien,
als wir davon aufwachten,
daß man unsere Stadt zerschoß.
Übersetzt von Hans-Henning Paetzke
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