CfP: Narrative der Arbeit und Arbeitskulturen in medialer Reflexion

posted by Amalia Kerekes on 2011/09/23 15:45

[ Call for Papers ]

Vom 30.05.-01.06.2012 findet die Tagung "Omnia vincit labor? Narrative der Arbeit und Arbeitskulturen in medialer Reflexion" an der Universität Leipzig in Kooperation mit dem GWZO statt.

I.
"Arbeit ist ein Verhängnis", beginnt Robert Menasse ein Lamento über die unbefriedigende Relation von (literarischer) Produktion und (literarischem) Produkt. Menasse macht damit nachdrücklich deutlich, dass künstlerische Produktion und Erwerbsarbeit keine zwei voneinander getrennten Sphären markieren. Deshalb fragt der österreichische Schriftsteller: "Kann man all die Stunden als Arbeitsstunden bezeichnen, in denen nicht einmal das Produkt 'erster Satz' hergestellt wurde?" Was also bedeutet Arbeit heute? Diese Frage bekommt zusätzliche Brisanz, wenn man sie nicht mono-, sondern interkulturell im europäischen Ost-West-Dialog stellt. Denn so wird deutlich, dass die Arbeitskulturen der westeuropäischen Länder schon seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erodieren, während die sozialistischen Länder einen statischen, sanktifizierten Arbeitsbegriff und -ethos subventionieren. Infolgedessen provoziert der Einschnitt um 1989 in Ost und West unterschiedliche (semantische) Umschichtungen von Arbeit, die einerseits als Bruch, andererseits als Katalysator eines langwierigen Transformationsprozesses beschrieben werden können.
 
II.
Der Prozess der Arbeit kann im Deutschen sprachlich nicht adäquat vom Produkt derselben getrennt werden, sondern korrespondiert mit diesem. Der Prozess wird erst durch das Produkt legitimiert und bewertet. Wird das Produkt als objektivierte und visualisierte Arbeit definiert, kollidiert diese Bewertung von Arbeit zwangsläufig mit geistiger, nicht objektivierbarer Produktion. Hier liegt ein erster Angriffspunkt der künstlerischen Auseinandersetzung. 
Auch auf gesellschaftlicher Ebene ergibt sich in mehrfacher Hinsicht das Desiderat einer Re-Definition von 'Erwerbsarbeit', die nicht nur den beständigen Wandel von Arbeit mitreflektiert, sondern ihre gegenwärtige Krise auf breiter Ebene zur Kenntnis nimmt. Die angesichts der Globalisierung entortete und/oder verlagerte Arbeit offeriert mindestens zwei mögliche Reaktionen: Entweder wird sie affirmativ zu einer individualisierten und flexibilisierten Arbeit als work in progress einer Kreativ-Generation stilisiert, oder sie wird als Verlust betrauert. Arbeit wird also zunehmend mobilisiert und dezentralisiert, zu einer gleichermaßen begehrens- wie ablehnenswerten Ressource und damit auch terminologisch 'vakant'. In jedem Fall tritt damit aufs Schärfste zutage, dass sich der Begriff 'Arbeit' seinem gesellschaftlichen Wandel nicht angepasst hat.
Auch diese implizite Differenz von Signifikant und Signifikat ruft den Widerspruch all jener auf den Plan, die programmatisch mit Sprache arbeiten.
Darüber hinaus ist noch im neuen Jahrtausend der Arbeitsbegriff nicht gendered, sondern nach wie vor an einer männlichen Vollbeschäftigungsbiographie orientiert. Dies impliziert eine diskursive Verfestigung stereotyper Rollenmuster und das Fortschreiben spatialer Ordnungen von männlicher Öffentlichkeit und weiblicher Intimität, gegen das nicht erst Schriftstellerinnen wie Elfriede Jelinek oder Marlene Streeruwitz aufbegehren.
Auf literatur- und medienwissenschaftlicher Ebene schließlich verweisen etwa Poetik und Selbstreferenzialität paradigmatisch darauf, dass jede künstlerische Arbeit einem Arbeitsprogramm und einem Arbeitsethos folgt, dass Arbeit mithin nicht nur künstlerisches Sujet sein kann, sondern dass Theater und Literatur, Film und bildende Kunst umgekehrt Produkte von Arbeit sind, die ihre Produktion(sbedingungen) bisweilen metadiskursiv ausstellen.
Angesichts dieses Spannungsbogens, den die Arbeitsproblematik heute offeriert, fragt die Tagung nach künstlerischen Strategien zur Erfassung, Bewältigung und Verwindung von Arbeit und deren Narrativen.
    
III.
Der Zugang zur Arbeit wird zunehmend von den Faktoren Bildung, Alter, Geschlecht, Ethnizität und Mobilität determiniert. Hier können Instrumentarien der Cultural und Gender Studies sowie der Interkulturalitätsforschung einen Zugang zur Analyse der medialen Reflexion von Arbeitsdiagnosen auf dem Theater, in Spiel-, Dokumentarfilm und Literatur eröffnen. 
Beispiel für die mediale Präsenz von Arbeitslosigkeit ist etwa das (englische) Sozialdrama mit Filmen wie Brassed Off (Mark Herman), das dabei auch nach den geschlechtlichen Stereotypen der Erwerbsarbeit fragt, so in Made in Dagenham (Nigel Cole). Im tschechischen Film legt bspw. Vratné lahve (dt. Leergut) von Jan Sverák einen Fokus auf das Alter, während die polnischen Produktionen Edi von Piotr Trzaskalski und Rezerwat von Łukasz Palkowski auf die gesellschaftliche und spatiale Randständigkeit durch Arbeitslosigkeit verweisen. 
Dieses Umschlagen von Arbeit in Arbeitslosigkeit wird auch im deutschsprachigen Film um die Jahrtausendwende zu einem wichtigen Narrativ, so in Schulze Gets the Blues von Michael Schorr und wird, wenngleich verhalten, zum literarischen Sujet vor allem in Prosatexten ostdeutscher Autoren der älteren (Volker Braun) und der jüngeren Generation (Ingo Schulze, Clemens Meyer). Die dramatische Bearbeitung des Themas entdeckt ab Ende der 1990er Jahre nach den unteren und mittleren Einkommensschichten nun auch das Scheitern der Top Dogs (Urs Widmer).
Dass schließlich im Zeitalter der Globalisierung eine neue Qualität von Arbeitsmigration und -prostitution auftritt, reflektieren wiederum jüngere Filme, z.B. von Ken Loach (It’s a Free World) oder die deutsch-polnische Co-Produktion Swinki/lch, Tomek (Robert Glinski). 
 
IV.
Über die affirmative Bejahung der Arbeitswelt hinaus sind andererseits Strategien einer subversiven Verweigerungshaltung in einer Nischenexistenz zu beobachten, die sich nicht zufällig in den Literaturen der (post-)sozialistischen Länder herausgebildet haben, denkt man an Bohumil Hrabal oder Wolfgang Hilbig. Dass auch die Verweigerung immer an die Arbeit als Metanarrativ gebunden bleibt, machen – diskursiv gewendet – Kollektive, Performances und konzeptualistische Interventionen wie Die glücklichen Arbeitslosen, Die Überflüssigen oder nicht zuletzt die von Christoph Schlingensief initiierte Arbeitslosenpartei Chance 2000 deutlich.
So stellt sich im Rahmen der Tagung schließlich auch die Frage, wie literarische und filmische Werke den Transformationsprozess der Arbeit inszenieren. Antworten sie direkt auf die aktuelle Situation ungesicherter Arbeitsverhältnisse oder konterkarieren sie diese erinnernd mit vergangenen Arbeitstopoi? Verhandeln sie Arbeit kontrapunktisch über deren Abwesenheit oder fokussieren sie autopoietisch die eigene künstlerische Arbeit? Bieten sie Verweigerungsstrategien an, die den Ethos oder nur den Topos der Arbeit kritisieren? Wie lassen sich, zusammengefasst, Narrative der Arbeit formulieren, und woraus bestehen sie?
 
Willkommen sind Beiträge von WissenschaftlerInnen der (Vergleichenden) Literaturwissenschaft und Slawistik, der Kultur- sowie Theater- und Medienwissenschaft. 
Die geplanten Vortragsblöcke umfassen max. drei 20-minütige Beiträge, Tagungssprache ist Deutsch. Das Tagungsprogramm wird von zwei Plenarvorträgen und einer Autorenlesung eingerahmt.
Im Anschluss an die Tagung ist die Veröffentlichung der Beiträge in einem Sammelband geplant, der im Frank & Timme-Verlag Berlin erscheinen wird.

Für die Verpflegung vor Ort wird eine Tagungsgebühr in Höhe von 30 Euro erhoben. Reise- und Übernachtungskosten werden im Rahmen der finanziellen Mittel übernommen. 
 
Bitte schicken Sie Ihren Vorschlag für einen Beitrag in Form eines Abstracts von maximal 300 Worten samt einem kurzen Biogramm an: 
narrative.arbeit@uni-leipzig.de
Einsendeschluss ist der 14. 12. 2011.
Eine Rückmeldung erfolgt bis zum 27. 01. 2012.
 
 
Prof. Dr. Ilse Nagelschmidt, 
M.A. Inga Probst,
M.A. Torsten Erdbrügger
 

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