Des Portiers Seitensprung

posted by Katalin Teller on 2008/03/19 16:35

[ Big Portier is Watching You ]

Dieser Meldung hätte sich eigentlich eine fotografische Beweisführung gesellen sollen, mangels eines entsprechenden funktionstüchtigen Gerätes muss man sich jedoch mit einer Deskription mithilfe des alten und natürlich wenig zuverlässigen Werkzeugs Sprache zufrieden geben:

Man lenke also seinen Blick auf das schwarzweiße Bild links von diesen Zeilen. Man stelle sich vor, die tiefe Grube nimmt eine beinahe regelmäßige Kreisform mit einigen schlauchartigen Ausläufern an. Das gesamte Areal sei jedoch mit einem undurchdringlichen und wenig sympathischen Holzzaun umgeben und da man ein ganz schlichter, anspruchsloser Budapester Fußgänger ist, verabschiedet man sich von der vorhin angebotenen fotografischen Vogelperspektive und begibt sich auf die Wege, die tagtäglich von mehreren Besuchern und Bewohnern der Gegend um den Móricz Zsigmond körtér begangen werden. Man nähere sich der Baustelle von der rechten Seite, dort, wo der Platz in der Tat eine schwache Erinnerung an seine Kreisförmigkeit zulässt. Ein Optiker, eine Bäckerei, irgendeine Krämerei flankieren den Weg, um dann plötzlich in ein bautechnisches Nonplusultra einzumünden: Dort, wo man bereits zwischen der oben erwähnten faszinierenden Holzzaunvorrichtung, zig Passanten und Gackerln bzw. dürftigen Baumjünglingen versucht, mit halbwegs glatten Nerven diese Sektion des Weges zurückzulegen, kommt eine zusätzliche und in gewisser Hinsicht (deshalb erfindet man ja Blogs!) lustige Kombination von Realität und virtuoser Vorstellungskraft zum Vorschein. Ein Wohnhaus hat sich nämlich entschieden, die Bauarbeiten vor ihm zu übertreffen und sich in die Höhe, auf die Fassade zu konzentrieren und somit ein dilettantisch zusammengebasteltes Gerüst (den herkömmlichen Budapestern bereits vertrautes Phänomen, s. Astoria!) aufstellen zu lassen. Der Unternehmenslust nicht genug: Ans Ende des Gerüstes musste auch noch eine Holzbude mit einer Tür kommen, deren Bestimmung den zukünftigen, mit mehr Erfahrung gewappneten Generationen überlassen werden muss. Es handelt sich nämlich um eine Kreation, deren Grundriss etwa 0,4x0,4 Meter misst und ganz genau 1,35 Meter hoch ins Vertikale schießt. Die Bauherren müssen entweder an Liliputanerwächter oder aber an Kinderarbeit gedacht haben, auf jeden Fall haben sie für diese eigenartige Konstruktion die gleiche Holzsorte benutzt, die etwa ein halbes Meter vor ihrem Werk als Holzzaun Aufstellung fand - eine Schöngeistigkeit ohnegleichen. Wie gesagt, die Zweckbestimmung des Baus liegt im Dunkeln. Hier hat doch kein arbeitsfähiger Erwachsener Platz, hier kann nicht einmal gesessen werden; sollte dies jemand trotz allem und dank seinen physiologischen Gegebenheiten können, ist das Fenster zu hoch geraten, um eine radikal begrenzte Ausschau auf die vorüberhuschenden, potentiell als Kriminelle auftretenden Passanten zu halten. Die einzige Erklärung für eine derartig entwickelte Meisterhaftigkeit kann nur im Prinzip des l'art pour l'art liegen: Eine innovative und hochpostmoderne, selbstlose, nur der ästhetischen Aufheiterung der Fußgänger dienende Installation, die nicht mehr sein will als sie schon ohnehin ist: Der Beweis für die Sinnlosigkeit der Überwachung.


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01 by ush at 2008/03/28 12:46 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten

Wunderbar! Dies beweist wieder mal, dass Budapests Transformationen noch lange nicht zu Ende sind. Jetzt ziehen also auch die Hobbits ein. Es lebe die Postmoderne, - also, ich liebe sie.

Budapest

A picture from the heydays of liberal Budapest - when a whole (though short) underground line could be built within two years. And M1, the famous "Földalatti", Budapest's yellow line, still works. I have never seen this image of the construction on Andrássy before, so be full of admiration - and I am not telling your where it is from...

The M1-line so is a memento to both: a liberal mayor (for what Budapest was capable of) and the Siemens company, who more than a hundred years ago was capable of producing faultless underground trams (not like today's Combino crap...)

Budapest has – together with St. Petersburg and Vienna – one of the largest tramway networks of the world. The tramway type "UV" – standing for "Új villamos - New tramway" and pictured above – was designed in the early forties and is still a symbol for Hungary's once high-tech railway-carriage industry. With the arrival of the new low-floor-trams in spring 2006 – built by Siemens in Vienna and not too beautiful – this landmark of Budapest will vanish from the cityscape.
György Petri: Imre Nagy

Du warst unpersönlich wie die anderen bebrillten Führer
im Sakko, deine Stimme war nicht metallen,
denn du wußtest nicht, was du eigentlich sagen solltest,
so unvermittelt den vielen Versammelten. Gerade das Plötzliche
war ungewohnt für dich. Du alter Mann mit dem Zwicker,
ich hörte dich, ich war enttäuscht.
Ich wußte noch nichts

vom Betonhof, wo der Staatsanwalt
das Urteil gewiß heruntergeleiert hat,
ich wußte noch nichts von der groben Reibung des Stricks, von der letzten Schmach.

Wer will sagen, was sagbar gewesen wäre
von jenem Balkon aus, Möglichkeiten, unter Maschinengewehren
verfeuert, kehren nicht zurück. Gefängnis und Tod
wetzen die Schärfe des Augenblicks nicht aus,

wenn der eine Scharte bekommen hat. Aber wir dürfen uns erinnern
an den zögernden, verletzten, unentschlossenen Mann,
der gerade seinen Platz zu finden schien,

als wir davon aufwachten,
daß man unsere Stadt zerschoß.

Übersetzt von Hans-Henning Paetzke

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