Big Portier is Watching You

posted by Katalin Teller on 2007/10/19 00:34

[ Big Portier is Watching You ]

Es lebe der kleine Mann und selbstverständlich ihre namhaftesten Verdichter Tolstoj und Čehov, allerdings in einem modernen Pester Setting.

Denn der Portier ist doch nach wie vor der Herr: Die leiseste Unregelmäßigkeit, die winzigkleinste Ausschreitung, eine kolibrigroße Diskrepanz in der Ordnung der Dinge veranlasst ihn, die alt bewährte, zuverlässige, nestwarme Ordnung sofort wiederherzustellen, koste was es kostet. Nachdem die Erbsünde Rauchen vor die Tore von jeglichen öffentlichen Gebäuden (in ungarischen Übersetzungen oft fälschlich als „nyilvános ház“ recte Bordelle aufscheinend) gedrängt wurde, taucht man halt hin und wieder ins Gewimmel der Aus- und Eingehenden, verankert sich neben einem – übrigens nagelneu erstandenen – Aschenbecher und überlegt, ob doch vielleicht mit dem Rauchen aufgehört werden soll. Nun aber raucht man noch immer, sei es dumm und stinkig oder nicht, und man kriegt zu den Aus- und Eingehenden und dem nagelneuen Aschenbecher auch noch einen Portier dazu. Schön. Man findet Halt, die feindliche Donnerstagswelt mit ihren gefährlichen Bazillen oder zumindest einem für Wochen bösen Schnupfen garantierenden Virus scheint nun beträchtlich abgeschirmt zu sein, denn der Portier, ein langer, starker, statthafter Herr, schütz. Er schützt beinahe als eine Betonwand, ein unzerstörbarer Bunker, er ist bereit, man sieht es ihm an, eine gewaltsame Attacke mit aller Kraft abzuwehren, ob es eine konkrete Faust oder ein geistig-moralisches Verderbnis oder eben – eine Zwittergattung – ein Bazillus ist. So steht man da in einer beneidenswerten Harmonie mit dem Portier und dem Zigarettenrauch und wird auf eine Studentengruppe im Hof aufmerksam, lauter junge, noch kraftvolle und begeisterungsfähige Leutchen, die drei Videokameras mit Gestell mit sich schleppen. Der knospende und noch disziplinierte Innovationsdrang zuckt in ihren Muskeln, die Blicke schweifen vom Baum, vom Auto, von Mitstudenten und von fallenden Herbstblättern hinaus in einen weiten Horizont, der gar nicht abzumessen ist, den sie aber wohl mit ihren Kameras einzufangen versuchen müssen. Nun zuckt aber etwas auch im Portierkörper, ja, vielleicht ein Horizontmuskel, einer, der innerhalb des Regelorganismus einen Reiz empfangen hat, der offensichtlich stört. Na ja, man dürfte hier eigentlich keinen Film drehen. Nur wenn man eine Erlaubnis hat. In der Tat? Ja, man muss eine Erlaubnis haben. Auch die letzte Woche kamen da Studenten, die haben in einem Seminar die Aufgabe bekommen, etwas zu filmen. Und ich musste es ihnen verbieten. Na, wie kommt es denn? Ja, halt diese Lehrer wissen eben nicht, was sich gehört. Sie sollten doch im Klaren sein: Man muss eine Erlaubnis haben. Vom Rektor. Echt? Vom Rektor selbst? Für die zwei Minuten? Ja, die Sache ist an die Erlaubnis vom Rektor selbst gebunden. Hűha. Na ja, was soll man tun. Es sind halt die Vorschriften. Auch die letzte Woche, da hat die Institutionsleiterin irgendeine Feierlichkeit hier unten im Saal veranstaltet, da kamen Kameraleute vom Fernsehen. Eine ganze Drehtruppe. Ich habe sie gar nicht reingelassen. Man darf nicht ohne Erlaubnis drehen. Und sind sie dann einfach weg? Na, ja, ich habe sie solange nicht reingelassen, bis ein Telefonat kam, vom Rektorat, dass sie doch drehen dürfen. Nun, man kann natürlich eine Erlaubnis auch telefonisch austeilen, dann habe ich sie reingelassen. Man ist sprach- und nunmehr auch noch rauchlos. Ach, was soll ich denn mit denen machen? (Es geht ja wieder um die zuchtlosen Studenten, die ihre Kameras an einen mit Efeu bewachsenen Baum gerichtet hatten, um anscheinend die spärlich fallenden und – fast hört man – von den innenstädtischen Benzinwolken lungenkrank keuchenden Herbstblätter zu filmen.) Ach, lassen Sie sie doch, bald sind sie eh fertig, und wenn es ihre Aufgabe war… Ja, es geht eigentlich schon. Solange sie nicht ins Gebäude kommen. Da sind doch die Sicherheitskameras, da darf man wirklich nicht ohne Erlaubnis, sonst muss ich das ins Registrierbuch eintragen. Ja, sie filmen doch bloß die Blätter und den Baum. Nana, schauen Sie doch hin, jetzt drehen sie eine Kamera zu uns, und ich soll darauf? Soll ich im Bild stehen, mit dem weitesten Lächeln um den Lippen?
In der großzügigen Portierloge – wir sind doch in einer Seifenoper – erklingt das Telefon. Auf Wiedersehen. Auf Wiedersehen, machen Sie’s gut.


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01 by anonymous at 2007/10/19 18:35 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten

Es lebe der kleine Mann und selbstverständlich ihre namhaftesten Verdichter Tolstoj und Čehov, allerdings in einem modernen Pester Setting.
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Budapest

A picture from the heydays of liberal Budapest - when a whole (though short) underground line could be built within two years. And M1, the famous "Földalatti", Budapest's yellow line, still works. I have never seen this image of the construction on Andrássy before, so be full of admiration - and I am not telling your where it is from...

The M1-line so is a memento to both: a liberal mayor (for what Budapest was capable of) and the Siemens company, who more than a hundred years ago was capable of producing faultless underground trams (not like today's Combino crap...)

Budapest has – together with St. Petersburg and Vienna – one of the largest tramway networks of the world. The tramway type "UV" – standing for "Új villamos - New tramway" and pictured above – was designed in the early forties and is still a symbol for Hungary's once high-tech railway-carriage industry. With the arrival of the new low-floor-trams in spring 2006 – built by Siemens in Vienna and not too beautiful – this landmark of Budapest will vanish from the cityscape.
György Petri: Imre Nagy

Du warst unpersönlich wie die anderen bebrillten Führer
im Sakko, deine Stimme war nicht metallen,
denn du wußtest nicht, was du eigentlich sagen solltest,
so unvermittelt den vielen Versammelten. Gerade das Plötzliche
war ungewohnt für dich. Du alter Mann mit dem Zwicker,
ich hörte dich, ich war enttäuscht.
Ich wußte noch nichts

vom Betonhof, wo der Staatsanwalt
das Urteil gewiß heruntergeleiert hat,
ich wußte noch nichts von der groben Reibung des Stricks, von der letzten Schmach.

Wer will sagen, was sagbar gewesen wäre
von jenem Balkon aus, Möglichkeiten, unter Maschinengewehren
verfeuert, kehren nicht zurück. Gefängnis und Tod
wetzen die Schärfe des Augenblicks nicht aus,

wenn der eine Scharte bekommen hat. Aber wir dürfen uns erinnern
an den zögernden, verletzten, unentschlossenen Mann,
der gerade seinen Platz zu finden schien,

als wir davon aufwachten,
daß man unsere Stadt zerschoß.

Übersetzt von Hans-Henning Paetzke

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