Prozess Imre Nagy 1958

posted by Béla Rásky on 2008/06/05 00:06

[ 1956 remembered ]

Aus Anlass des 50. Jahrestages wollte das Open Society Archive in der Centrális Galeria in Budapest die Originaltonbänder des Prozesses gegen Imre Nagy vom 9. bis 15. Juni 1958 einem breiteren Publikum zugänglich machen.

In das audiovisuelle Material konnte bis jetzt - erstaunlich genug, ist doch 1956 einer der fundamentalen Bezugspunkte der freien ungarischen dritten Republik - nur mit einer Forschergenehmigung des Ungarischen Staatsarchivs Einsicht genommen werden. Allein die denunziatorische Zusammenfassung des Prozesses durfte im - museumspädagogisch und politisch so umstrittenen -  Haus des Terrors gezeigt werden.

Als das OSA für ein zeitgleiches public hearing and viewing - die Bänder sollten am jeweils selben Junitag zur gleichen Zeit wie der Prozess 1958 ablief abgespielt werden - sich die Genehmigung vom Staatsarchiv einholte, erteilte die Direktion diese auch - um sie dann auch sehr rasch wieder zurückzuziehen: Natürlich mit den hier so üblichen fadenscheinigen Argumenten des Daten- und Persönlichkeitsschutzes - und das kein öffentliches Interesse an der Veröffentlichung dieses Materials bestünde.

Die Argumentation des Archivs, die auf ungarisch auf der Homepage der OSA aufliegt:

 1. Das komplette Material des Prozesses gegen Imre Nagy enthält personenbezogene (und darin besondere) Daten, ind das lt. den gesetzlichen Vorschriften während der Sperrfrist nicht jedermann Einsicht nehmen kann. Dies abzuwägen steht weder dem Archiv noch irgend jemand anderen zu bzw. kann man nicht in einer selektiven Weise Daten schützen oder nicht schützen.

2. Die personenbezogenen Daten des Imre-Nagy-Prozesses wurden von Gesetzes wegen nicht als Daten allgemeinen Interesses klassifiziert.

3. DasTonmaterial des Imre-Nagy-Prozesses können nicht in einer anonymisierten Kopie präsentiert werden, eine solche Kopie wurde auch nicht angefertigt.

4. Anbetracht all dessen verfügt das Ungarische Staatsarchiv über keinerlei Rechtsgrundlage, das Tonmaterial des Imre-Nagy-Prozesses herauszugeben, damit es das Open Society Archiv und das Institut zur Erforschung der Revolution 1956 in voller Länge der Öffentlichkeit vorführe.

Budapest, 28. Mai 2008

Nun, die Vorführung findet nun - siehe beiliegendes Programmheft - doch statt. Wie es dazu kam, weiß man nur über Gerüchte: Das Archiv soll schließlich erklärt haben, es könne halt nicht verhindern, wenn ein Forscher eine Kopie des Materials anfertige, und wer das gemacht habe, könne es auch nicht feststellen.

Die Erklärung dient wohl nur der rechtlichen Absicherung. Skandalös ist und bleibt es, dass in der Republik Ungarn fünfzig Jahre nach 1958 noch immer Angst herrscht, jenes Material öffentlich vorzuführen, auf dem einer der Grundmythen der Republik besteht: der Achtung und Ehrerbietung gegenüber den Märtyrern der Revolution.

Kádár kichert sich - nicht in seinem Grab, denn aus diesem wurde er ja geraubt - aber sonst irgendwo sicher ins Fäustchen. Wie hieß es doch bei Bibó: "Demokratie ist, wenn man keine Angst zu haben braucht." Das Ungarische Staatsarchiv hat sie auf jeden Fall.

Aber trotzdem: Gehen wir schon aus Protest gegen diesen skandalösen Zustand ins alte Goldberger-Kaufhaus,um uns wenigstens ein Stück dieses schmählichen Prozesses anzuhören und uns zu erinnern, worauf das Kádár-System beruhte...

 

 


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Budapest

A picture from the heydays of liberal Budapest - when a whole (though short) underground line could be built within two years. And M1, the famous "Földalatti", Budapest's yellow line, still works. I have never seen this image of the construction on Andrássy before, so be full of admiration - and I am not telling your where it is from...

The M1-line so is a memento to both: a liberal mayor (for what Budapest was capable of) and the Siemens company, who more than a hundred years ago was capable of producing faultless underground trams (not like today's Combino crap...)

Budapest has – together with St. Petersburg and Vienna – one of the largest tramway networks of the world. The tramway type "UV" – standing for "Új villamos - New tramway" and pictured above – was designed in the early forties and is still a symbol for Hungary's once high-tech railway-carriage industry. With the arrival of the new low-floor-trams in spring 2006 – built by Siemens in Vienna and not too beautiful – this landmark of Budapest will vanish from the cityscape.
György Petri: Imre Nagy

Du warst unpersönlich wie die anderen bebrillten Führer
im Sakko, deine Stimme war nicht metallen,
denn du wußtest nicht, was du eigentlich sagen solltest,
so unvermittelt den vielen Versammelten. Gerade das Plötzliche
war ungewohnt für dich. Du alter Mann mit dem Zwicker,
ich hörte dich, ich war enttäuscht.
Ich wußte noch nichts

vom Betonhof, wo der Staatsanwalt
das Urteil gewiß heruntergeleiert hat,
ich wußte noch nichts von der groben Reibung des Stricks, von der letzten Schmach.

Wer will sagen, was sagbar gewesen wäre
von jenem Balkon aus, Möglichkeiten, unter Maschinengewehren
verfeuert, kehren nicht zurück. Gefängnis und Tod
wetzen die Schärfe des Augenblicks nicht aus,

wenn der eine Scharte bekommen hat. Aber wir dürfen uns erinnern
an den zögernden, verletzten, unentschlossenen Mann,
der gerade seinen Platz zu finden schien,

als wir davon aufwachten,
daß man unsere Stadt zerschoß.

Übersetzt von Hans-Henning Paetzke

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