Medien | Media - Part 57
[ Medien | Media ]
Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts verbinden sich die Techniken der Aufzeichnung und Übertragung optischer und akustischer Reize zu einer neuen Gesamterfahrung der Welt. Walter Benjamin in der Berliner Kindheit um Neunzehnhundert darauf Bezug: "[D]er Apparat [hielt] den königlichen Einzug in die gelichteten und helleren, nun von einem jüngeren Geschlecht bewohnten Räume." Die Konfusion der elektronischen Stimmen und Schwingungen zeichnet Kafka in einem Tagebucheintrag vom 28. Februar 1912 nach, als er gegen "Flüsterstimmen offenbar von Tagblattredakteuren" mit der Bohemia Kontakt aufzunehmen und das Postfräulein zur Herstellung der Verbindung zu bewegen versucht. Insofern (die beiden nicht ganz taufrischen Hinweise mögen für den Moment reichen) war es also an der Zeit, bei medienwissenschaftlich motivierten Untersuchungen auch der akustischen Problemlage - neben der optischen - größeren Platz einzuräumen, was erst in den letzten Jahren vermehrt geschah. Wie es nun auch, der H|Soz|u|Kult-Rezension von Harun Maye zufolge, in gewisser Weise auch der Fall ist bei
Harro Segeberg, Frank Schätzlein: Sound. Zur Technologie und Ästhetik des Akustischen in den Medien. Marburg: Schüren 2005 (Schriftenreihe der Gesellschaft für Medienwissenschaft 12), 388 pp.
[ISBN 3-89472-405-6; EUR 29,90,-]
wiewohl "Personal, Themen und Methoden der deutschen Film- und Fernsehwissenschaft dieser Variante von Medienwissenschaft erhalten geblieben sind".
Der dominante Inhalt des Bandes ist in jeder Beziehung an einem Satz aus der Einleitung von Frank Schätzlein ablesbar. Der Begriff "Sound", obwohl er selbstverständlich die gesamte Tonebene eines Mediums umfasst, verweist hier vor allem auf "das Sounddesign, also die gezielte (künstlerische) Gestaltung des Akustischen in den Medien (Tonspur bei Film und Fernsehen, Hörfunk, Tonträger, Internet, Software/Computerspiel/Multimediaanwendung), den charakteristischen Klang der Produktionen eines Komponisten, Tonmeisters, Sounddesigners und/oder Regisseurs" (S. 28). Der Satz steht im Kontext einer informierten Einführung in den Soundbegriff von Frank Schätzlein und enthält einige implizite Voraussetzungen des vorliegenden Projekts, die Inhalt und Stil des Bandes prägen. [...]
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Medien hier vor allem dann von Interesse sind, wenn sie in Form von Medienästhetik und Medienkunst thematisiert werden können. Ein solcher Fokus scheint zunächst kompatibel mit einer geläufigen Definition von "Sound" als einem Begriff aus der Populärmusik, womit der unverwechselbare Klang eines Stils oder eines Komponisten bezeichnet wird. Entscheidend für die bevorzugte Betrachtungsweise des Sammelbandes ist demnach keine medienwissenschaftliche Perspektive, sondern der Fokus auf die althergebrachte musikästhetische Unterscheidung zwischen Klang und Geräusch: "In diesem Beitrag wird Sound im Folgenden als charakteristischer (zumeist gestalteter) Klang definiert – hingegen nicht als Schall jeglicher Art, als Geräusch oder Klangeffekt" (S. 27). Die überwiegende Mehrzahl der Beiträge dieses Bandes übernimmt wie selbstverständlich diese Unterscheidung. Es geht dieser Medienwissenschaft um die Interpretation von Medienprodukten, um Fragen nach wertvollen Inhalten (Hörspiel, Fernsehspiel, Max Ophüls, Richard Wagner u.a.) und deren Form (Gestaltung von Sound), letztlich also um Kunsthermeneutik und/oder Medienpädagogik – wenn man auf bisher unterschätzte Potentiale oder Hörerziehung aufmerksam machen will. [...]
Erwartungsgemäß bleibt, bei allen Verdiensten des damit vorgestellten Bandes, noch viel zu tun:
Der vorliegende Band macht nicht zuletzt deutlich, dass die Annäherung an das Akustische in den Medien seitens der deutschen Medienwissenschaften derzeit sehr unterschiedlich betrieben wird. Eine Tagung zur Akustik, die unterschiedliche Paradigmen medienwissenschaftlicher Forschung als Theoriediskussion an einem gemeinsamen Gegenstand entfalten könnte, wäre daher wünschenswert.
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Senior Editor
(Weitere Informationen hier)
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
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