Literatur | -e - Part 42

posted by PP on 2006/11/19 18:13

[ Literatur | -e ]

Gestern vor 100 Jahren wurde Klaus Mann (gestorben am 21. Mai 1949 in Cannes) geboren. Auch in der Kritischen Ausgabe weist man darauf hin, Daten finden sich in der Wikipedia zuhauf. Und ganz Kind seiner Zeit hinterließ er ein umfangreiches und in seiner Vielfalt kaum hinreichend gewürdigtes Werk. Hier der Versuch einer Annäherung an dieses (unter Heranziehung mehrere Biografien), wobei sich die Frage stellt: "Wo beginnen?"
Mit dieser Frage leitet Mann seine autobiographische Schrift "Kind dieser Zeit" ein, in der er zentrale Probleme und Fragestellungen entlang seiner Lebenslinie/n ausfaltet.

Immer wieder wird ihm die Bürde des Vaters aufgeladen, wird er in das Prokrustesbett der Familie eingespannt. Dass und wie sehr die Literaturgeschichte seine Homosexualität und Drogensucht als wesentliche Elemente hervorkehren würde, zumeist ohne auf die ästhetische Relevanz seines Schaffens gebührend Bezug zu nehmen, erlebte er nicht mehr.

Er war sicher kein 'leichtes' Kind, kein 'einfach' zu erziehender Pubertierender. 1906 geboren, begann er schon sehr früh, sich in die Weltliteratur einzulesen, Tagebuch zu führen, künstlerische Ansätze zu entwickeln. Die frühen Tagebücher liegen noch bis 2010 unter Verschluss. Lediglich die Journale von 1931 bis zu seinem Tod sind veröffentlicht und gleich der erste Eintrag vom Oktober 1931 verweist, prototypisch für die Gattung, auf den Grund seines Neuanfangs: "9.X. [...] Durch die (übrigens sehr amüsante und aufschlussreiche) Lektüre der alten Tagebücher (1919-20) für Kindheitsbuch auf den Einfall gekommen, wieder Tagebuchartiges aufzuschreiben. [...]" Weniger "amüsant" dürften seine Eltern die Lektüre empfunden haben - Thomas Mann notiert im Mai 1920 im eigenen Tagebuch: "[...] Gestern abend erschütterndes Vorkommnis mit K[atia]. Sie hatte Klaus’ Tagebuch offen liegend gefunden und gelesen. Ohne gerade eigentlich Schlechtigkeit zu offenbaren, zeugt es von so ungesunder Kälte, Undankbarkeit, Lieblosigkeit, Verlogenheit, abgesehen von den literarisch-radikalistischen Flegeleien und Albernheiten, daß das arme Mutterherzchen tief enttäuscht und verwundet war. [...]" Wieviel väterliche Sorge hinter dieser Notiz stecken mag, oder ob es sich nicht vielmehr um das Notat von einem Störfall in der erwünschten Ruhe handelt, muss dahingestellt bleiben, waren doch die Vorgänge im Haus auf die Ruhebedürfnisse und Arbeitsbedingungen des "Zauberers", wie seine Kinder ihn nannten, abgestellt.

Gerade die unterschiedlichen Umgangsformen zwischen den Kindern und Eltern sind ein wesentlicher Teil der Biographie von Klaus Mann. Deren literarische Umsetzung stellt jedoch keine simple (oder gar launige) Aneinanderreihung vergangener, erinnerter und allenfalls etwas geschönter Erlebnisse dar, wie sie sich in der autobiographischen Literatur immer wieder findet. Klaus Manns Schriften gehen darüber hinaus, sind Zeugnisse des Lebens und zugleich Ergebnis angestrengter Arbeit. Gerade in den in ihren Anforderungen häufig missverstandenen Genres autobiographischen Schreibens entwickelt er eine Präzision des Wortes, entfaltet Analysen auch des historischen Geschehens. So erinnern verschiedene atmosphärische Details in "Kind seiner Zeit", Raumdarstellungen und Wiedergaben des Erinnerungsvorganges, an Walter Benjamins "Berliner Kindheit um Neunzehnhundert", gibt es intertextuelle Bezugnahmen auf Marcel Prousts "Recherche", geraten die Darstellungen der ersten Lebenshälfte zu einem der wesentlichsten literarischen Zeugnisse dieser, seiner, Zeit. Bereits die Berichte über die Jugendkultur der Weimarer Republik gehen über den Vorgang einer bloß selbstbezogenen Wiedergabe von Ereignissen hinaus, legen die Ambivalenz einer Bewegung, die bald darauf zu großen Teilen in den Nationalsozialismus eingehen sollte, jedenfalls auf eine tief greifende Polarisierung zusteuerte, von den Wurzeln her bloß.

Wesentliche Bezugspunkte in den 20er Jahren und teilweise über diese hinaus waren die enge und lebenslang existentielle Beziehung zu seiner Schwester Erika, die Freundschaft mit Ricki Hallgarten, der sich 1932 erschießen sollte und Pamela Wedekind, die spätere Frau Carl Sternheims, auch sie ein Künstlerkind, mit der er sich 1924 verlobte.

1934 wird Klaus Mann, der lange vor seinem Vater die politische Lage in ihrer ganzen Tragweite erfasst hatte, die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen (mit ein Grund war die von ihm in Amsterdam herausgegebene antifaschistische Zeitschrift "Die Sammlung"); im selben Jahr erscheint "Flucht in den Norden", der erste im Exil entstandene Roman. Er handelt von der Geschichte einer jungen Kommunistin und ihrer Flucht ins finnische Exil. Dass sie dieses und ihre große Liebe aufgibt, ins unsichere Paris zurückkehren will, um den Kampf aufzunehmen, nimmt sich phasenweise wie ein Begleittext zu Klaus Manns eigenen Ansichten aus: "Uns bleibt keine Wahl mehr. Unser ganzes Heldentum wird sein, unser Schicksal zu akzeptieren." Das Rilke-Zitat "Wer spricht von siegen? Überstehn ist alles..." klingt auch hier an, es wird 1942 (ein Jahr nach dem ersten Suizidversuch) dem "Turning Point" vorangestellt.

Weniger an der Klippe des Pathos entlang - und weitaus präziser in der Beobachtung - erweist sich "Mephisto" (1936) nicht so sehr als eine Abrechnung mit dem einstigen Freund Gustav Gründgens (obwohl die Figur des Hendrik Höfgens deutliche dessen Züge trägt), sondern in erster Linie als ein Panorama des Dritten Reichs. Bei allen ironischen Zwischentönen wird der schauspielernde Mephisto zum Handlanger der Mörder, biedert sich den Mächtigen an und wird zum funktionierenden Mitläufer. Die Weinerlichkeit nach der Heimsuchung ("Unser Gedächtnis ist gut [...]! Wir vergessen keinen!") erweist die Lächerlichkeit der stolzen Herrenmenschen-Fassade, der Mutterschoß fängt die wehleidige Klage auf.

Im "Wendepunkt" werden die Jahre 1940-42, die Jahre des Triumphs der Nationalsozialisten, in Tagebuchform abgehandelt. Es scheint, als würde jede andere Form der Darstellung vor der Macht des Faktischen versagen. Nach verschiedenen Versuchen der Zeitschriftengründung tritt Klaus Mann im Dezember 1942 in die U.S. Army ein, die Jahre 1943-45 lassen den zeitlebens brillanten Briefschreiber im nächsten Kapitel seines "Wendepunkt" zu seinem Recht kommen. Im Italienfeldzug führt er Thomas Manns "Joseph, der Ernährer" im Tornister mit sich; der große Roman des Vaters wird ihm, beinahe eine Ironie des Schicksals, zum "väterlichen Freund". Die von außen verstärkte Belastung des Vater-Sohn-Verhältnisses wird bereits im "Kind dieser Zeit" angesprochen: "Man beurteilt mich als den Sohn."

Hans Wißkirchen ist es in seiner schmalen Biographie "Die Familie Mann" ein besonderes Anliegen, gerade auf eine allfällige Fehleinschätzung der Problematik zu verweisen: Wie sehr die höchst spezifische Form der Erziehung den Kindern von Thomas Mann auch geschadet oder genützt haben mag, ist es doch nicht dessen literarisches Werk gewesen, an dem sie zum Teil zerbrachen. Wißkirchen unternimmt die an sich unmögliche Aufgabe, die Familienchronik des Mann-Clans mit allen Verdiensten und Verstrickungen, mit seinen Vorgaben und Ansprüchen darzustellen. Die wesentlichsten Züge, notwendige Differenzierungen und einige aufschlussreiche Details werden zumindest im Ansatz nachgezeichnet. Dass die Spezifik des Schaffens von Klaus Mann nicht hinreichend ausgeleuchtet werden kann, ist angesichts des Umfangs verständlich; als erste Einführung in sein Familienleben scheint der Band jedoch geeignet.

Nicole Schaenzlers Biographie versucht auch den Schriftsteller Klaus Mann in den Mittelpunkt zu rücken. Ohne den familiären Hintergrund beiseite zu lassen, und mit einer Unzahl an Verweisen ausgestattet, unternimmt sie eine detailfreudige, gelegentlich schlampig formulierte Darstellung dieses Lebens. Dass ihre bisweilen unnachsichtig kritischen Anmerkungen vor allem den frühen Werken vorbehalten sind, mag dem Zwang oktroyierter wissenschaftlicher Diskursformen geschuldet sein; eine poetologisch orientierte Lektüre hätte möglicherweise eine andere Gewichtung erbracht. Insgesamt bietet die chronologisch ausgerichtete Arbeit jedoch manche Möglichkeiten, einen genaueren Blick auf Leben und Werk zu gewinnen.

Der von Uwe Naumann reichhaltig ausgestattete Band "Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß" liefert umfangreiches Bildmaterial zur diesjährigen verlegerischen Offensive des Rowohlt-Verlags in Sachen Mann (neben den Biographien von Wißkirchen und Naumann werden von Klaus Mann die Bände "Flucht in den Norden", "Mephisto", "Der Wendepunkt" und der gemeinsam mit der Schwester Erika verfasste Reisebericht "Rundherum" als Sonderausgaben ediert). Dabei fasziniert immer wieder der unterschiedliche Blick auf gestellten Aufnahmen und flüchtigen Momentphotographien.

Sieben Romane, zwei Autobiographien, Erzählungen, Gedichte, Aufsätze, Dramen, Reisebücher, Aufrufe, Flugblätter, Vorträge, Briefe, Tagebücher - es sind Werke, die in ihrer Vielfalt, ihrem Rhythmus und ihrer Rastlosigkeit aus einer pedantischen Disziplin wie der seines Vaters nicht hätten entstehen können.

Die Literatur war für Klaus Mann von Anbeginn eine Heimstatt, die andere ist ihm die Welt geworden. Deutschland kommt nicht mehr in Frage: "Die alte Heimat findest du nicht mehr. [...] Die Welt ist deine Heimat: Eine andre hast du nicht." Diese Erfahrung muss er auch bei seinem letzten Deutschland-Besuch, ein Jahr vor seinem Tod, machen. Der Verlust zumindest der Möglichkeit intellektueller Unabhängigkeit und Integrität, die Wahrnehmung, zwischen den Blöcken des Kalten Krieges langsam aufgerieben zu werden, lässt ihn trotz unermüdlicher Arbeit und zahlreichen Reisen ins Leere fallen.

Am 1. Jänner 1949 notiert er in seinem Tagebuch lapidar: "Ich werde diese Notizen nicht weiterführen. Ich wünsche nicht, dieses Jahr zu überleben." Das Journal wird ab nun in zwei Spalten geführt, eine für private Angelegenheiten, die andere ist der Arbeit vorbehalten. Am 20. Mai folgt die letzte knappe Eintragung, tags darauf nimmt Klaus Mann eine Überdosis Schlaftabletten und stirbt in Cannes.

Jean Améry hat in "Hand an sich legen" zwischen dem Suizidanten und dem Suizidären unterschieden, demjenigen, der freiwillig in den Tod geht - und dem, der sich für sein Werk aufbraucht, dessen Freiwilligkeit stets nur eine halbe ist.

Der "Wendepunkt" endet lakonisch, unentschlossen, fast resignativ: "Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß. Und dann? Auch am Schluß steht noch ein Fragezeichen."

 


 

Verwendete Literatur:

  • Klaus Mann: Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999.
  • Klaus Mann: Flucht in den Norden. Roman. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999.
  • Klaus Mann: Mephisto. Roman einer Karriere. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999.
  • Klaus Mann: Tagebücher 1931-1949. 6 Bde. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1995.
  • Erika und Klaus Mann: Rundherum. Abenteuer einer Weltreise. Mit Originalfotos. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999.
  • Hans Wißkirchen: Die Familie Mann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999.
  • Nicole Schaenzler: Klaus Mann. Eine Biographie. Frankfurt/Main, New York: Campus 1999.
  • "Ruhe gibt es nicht, bis zum Schluß." Klaus Mann (1906-1949). Bilder und Dokumente. Hg. v. Uwe Naumann. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1999.

 

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Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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