Neue Texte - Part 29
[ Neue Texte ]
Dietmar Müller über Staatsbürgerschaft und Minderheitenschutz - "Managing diversity" im östlichen und westlichen Europa auf H|Soz|u|Kult:Zusammenfassung:
Trotz reichhaltiger Empirie von den Nordiren über die Basken zu den Korsen, von den Schweden in Finnland, über die Dänen in Deutschland und die Burgenlandkroaten in Österreich ist das Thema Minderheitenschutz in der öffentlichen Wahrnehmung osteuropäisch konnotiert. Auf der Homepage der OSZE wird Südosteuropa als erste Schwerpunktregion aufgeführt, gefolgt von Osteuropa und dem Kaukasus, während im westeuropäischen Kontext jetzt immerhin ein Rundtischgespräch über die Wahrnehmung der Muslime in Europa angekündigt wird, das allerdings in Warschau stattfindet. Auch das fraglos drastischste Ereignis im 20. Jahrhundert, das auf das Minderheitenproblem im europäischen Nationalstaat aufmerksam gemacht hat, nämlich der Holocaust, wird in gewisser Weise durch die Hintertür seiner Territorialisierung "osteuropäisiert". In der Perspektive der folgenden Überlegungen besteht die "Europäizität Ostmittel- und Südosteuropas" darin, "managing diversity" als gesamteuropäisches Anliegen zu verstehen und dementsprechend wissenschaftlich zu bearbeiten.
Schlussbemerkungen:
Grundsätzlich kann aber mit Holm Sundhaussen nachgefragt werden, wie ein Recht vernünftigerweise individuell eingefordert werden kann, das durch die Natur der Sache bedingt nur kollektiv praktiziert werden kann, wie z.B. der Gebrauch der Muttersprache oder die Versammlungs-, Koalitions- sowie Glaubensfreiheit, wenn sie sich auf Zusammenhänge bezieht, die distinkt von denen der Titularnation sind.
Wie die Zeitenwende von 1918 für Osteuropa so hat auch die von 1989 wieder auf den ethnischen Exklusivismus als Kern vieler Nationalstaatsprojekte hingewiesen. Das Beharren darauf, in einem Staat solchen Zuschnittes genügten Individualrechte zur Gleichbehandlung auch Angehöriger ethnischer Minderheiten, kommt einem systematischen Übersehen der Tatsache gleich, dass das demokratische Mehrheitsprinzip, auf ethnische Minderheiten angewendet, diese in zentralen Lebensbereichen zu strukturellen Minderheiten macht. Insbesondere an der kanadischen Problematik geschult, hat Will Kymlicka diese alte Einsicht der "Volksgruppenrechtstheoretiker" um die Zeitschrift Ethnos aufgegriffen und ist nun seit Mitte der 1990er-Jahre um den Nachweis bemüht, dass "group differentiated citizenship" mit der liberalen politischen Tradition nicht nur vereinbar, sondern für den Liberalismus so zentralen Werten wie Freiheit des Handelns sogar zuträglich ist.
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Senior Editor
(Weitere Informationen hier)
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
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