Cultural Studies - Part 20

posted by PP on 2006/07/14 02:08

[ Cultural Studies ]

Jörn Rüsen ist einer der bekanntesten weil einflussreichsten Theoretiker zur Geschichtswissenschaft, die es im deutschen Sprachraum gibt. Und neue Publikationen, sintemal wenn diese mit programmatischen Titeln versehen werden, wie nun
Jörn Rüsen: Kultur macht Sinn. Orientierung zwischen Gestern und Morgen. Köln: Böhlau 2006, 269 pp.
[ISBN 3-412-29605-8; EUR 29,90,-]
erregen insofern Aufsehen, worauf auch Rüdiger Graf in seiner Rezension für H|Soz|u|Kult eingeht. Es handelt sich im wesentlichen um "Aufsätze und Gelegenheitsschriften, die Rüsen seit dem Jahr 2000 verfasst und für die Neupublikation noch einmal überarbeitet hat". Dennoch lohnt sich der genaue Blick.
[...]Rüsens Aufsätze sind allesamt hochkomplexe Analysen, die eine Vielzahl von Themen über das allgemeine Konzept der „menschlichen Sinnbildung“ miteinander verknüpfen. Sie eröffnen neue Perspektiven auf altbekannte, aber noch nicht gelöste Probleme, die hier unmöglich erschöpfend behandelt werden können. Daher konzentriere ich mich auf drei Aspekte, die in verschiedenen Texten leitmotivisch auftauchen und ins Zentrum von Rüsens Überlegungen zu Kultur, Macht und Sinn führen: erstens den Zusammenhang von Zeit und historischer Sinnbildung, zweitens die Probleme des Konstruktivismus und der historischen Wahrheit und drittens schließlich die Herausforderung des Ethnozentrismus für die Kulturwissenschaften im Zeitalter der Globalisierung.
  1. Rüsens Überlegungen zur Geschichts- und Erinnerungskultur profitieren ungemein von seiner Ausweitung der Perspektive auf generelle Prozesse kultureller Sinnbildung. Er kritisiert die "Zukunftsvergessenheit des memory-Diskurses" [...] in den Kulturwissenschaften und betont stattdessen [...], dass kultureller Sinn sich in der Gegenwart erst durch die Vermittlung von Vergangenheit und Zukunft konstituiere. [...]
  2. Rüsens Überlegungen kreisen wiederholt um die Möglichkeiten historischer Wahrheitserkenntnis. Dabei argumentiert er gegen die "mittlerweile üblich gewordene Rede" vom Konstruktionscharakter historischer Erkenntnis [...]. So bedenkenswert Rüsens Kritik eines radikalen Konstruktivismus auch ist, so fragwürdig sind seine Ausführungen zur Möglichkeit und zum Charakter historischer Wahrheit. [...]
  3. Einen etwas ambivalenten Eindruck hinterlässt schließlich auch Rüsens vehemente, in nahezu jedem Aufsatz geäußerte Ablehnung des Ethnozentrismus, dessen Überwindung er als wichtigste Aufgabe der Kulturwissenschaften im Zeitalter der Globalisierung bestimmt.
Alles in allem spricht Rüsens Essaysammlung "Kultur macht Sinn" mit ihrer Fokussierung auf Zeit, Wahrheit und Ethnozentrismus bzw. Globalisierung elementare Fragen an, denen sich die Kulturwissenschaften in der Gegenwart zu stellen haben. Zudem offeriert der Band eine gute Einführung in das komplexe Gedankengebäude eines bedeutenden Geschichtsdenkers unserer Zeit. Denjenigen, die sich darin schon auskennen, wird die Sammlung allerdings nicht viel Neues bieten.

http://www.kakanien.ac.at/static/files/29555/ruesen.gif


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Antworten

01 by usha at 2006/07/14 20:30 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten
Obwohl ich selbst Sinnfragen lieber gar nicht mehr stelle und von daher auch nichts mit "Wahrheit" zu schaffen haben sollte, ärgert mich dennoch, die Äußerung Grafs in seiner Rezension, dass Rüsens Frage nach Wahrheit "falsch gestellt" sei u. dass man Wahrheit keinesfalls mit dem Prozess ihres Auffindens gleichsetzen könne. Mir scheint hingegen dies die beste Lösung zu sein, wenn man nichtimperialistisch über Sinn und Wahrheit sprechen will. Dagegen die Analytische Philosophie mit ihren wahren Sätzen als Neuheit zu verkaufen (wie wenig neu das ist u. wie widersrpüchlich zeigt bspw. Kristóf Nyíri) u. Wahrheit als Sinn darauf zu reduzieren halte ich für baren Unsinn. Logik und Sprachanalytik dieser Form hat wenig mit Erfahrungswahrheiten und noch weniger mit Sinnbildung außerhalb von Sprache zu tun.

Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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