Medien | Media - Part 65
[ Medien | Media ]
Die an dieser Stelle deponierten Hinweise und Überlegungen in Sachen Zettelkatalog erfahren aktuell zum einen durch einen Telepolis-Beitrag von Frank Hartmann über "Paul Otlet, Architekt des Weltwissens" eine schöne Ergänzung. Andererseits gibt es seit gestern meinen eigenen Aufsatz zu diesem Thema,
Per Gutenberg durch die Turing-Galaxis [.pdf]
im Rahmen der kakanischen Emergenzen-Reihe online.
Worum es darin geht:
Der Beitrag versucht verschiedene Aspekte zusammenzuspannen: Zum einen soll darauf verwiesen werden, wie sehr sich Muster und medial bedingte Formen der Wahrnehmung, ob nun bei der Beschreibung von Grabsteinen, Cartoons oder dem vom Fernsehen beeinflussten Narrativ an sich, in Fragen der Kunst, Abbildung von "Realität", der Rezeption von Texten und anderen Kulturphänomenen etc. verändern. Die Frage der Substanz, für die Sichtbarkeit gedruckt bei Gutenberg und in die Unsichtbarkeit elektrifiziert bei Turing, steht immer wieder im Mittelpunkt.
Zum anderen wird anhand des Übergangs vom aus Holz gefertigten Zettelkasten und dem nach Jahrzehnten und Jahrhunderten schließlich halbwegs vereinheitlichten Sortierungssystem hin zu unterschiedlich formatierten Festplatten mit ebenso uneinheitlichen Programmen jene Mischung aus Data Retention und Rauschen angedeutet, die mit als zentrales Probleme aktueller Medienverbünde angesetzt werden muss.
In weiterer Folge wird anhand von Friedrich Kittlers Text Die Nacht der Substanz jene These angesprochen, wonach die Substanz im 19. Jahrhundert mit analogen Aufschreibe- wie Aufzeichnungssystemen wohl noch sichtbar ist, sie im 20. jedoch zunehmend in ihrer Unmittelbarkeit schwindet und im 21. nicht mehr greifbar erscheint (fast so, als hätte sie ihre Materialität verloren). Literatur erweist sich in diesen Zusammenhängen als durchaus hartnäckig, als widerständig. Und nicht jede Technik braucht gleich als Medium deklariert und mit dem passenden Strichcode versehen zu werden, sondern möglicherweise nur jene, deren Funktionen die Kulturtechniken Speichern, Übertragen und Verarbeiten von Informationen umfassen, d.h. anregen und ermöglichen. Paradigmatisch wird in diesem Kontext auf die Enigma des Zweiten Weltkriegs verwiesen, die tatsächlich für die "Nacht der Zeichen" stehen sollte. Doch bleibt stets ein widerständiges Drittes. Eines, das die Verrechnung und den Warenstrom, das funktionierende Rauschen, stört.
Möglicherweise hilft die Verabschiedung eines rein technikfixierten Zugangs zur Medientheorie zumindest partiell: Gerade beim Katalogsystem und seiner wechselvollen Geschichte obsiegen letztlich nicht ausschließlich technisch-mediale Vorleistungen, entsprechende Eigendynamiken und materielle Bedingungen. Vielmehr treffen derart zu bestimmende Grundlagen auf höchst wirkungsmächtige Anforderungen der Zeit, denen sie unterworfen werden.
Abstract:
This contribution is an attempt to combine various approaches: On the one hand, the author will point out the extent to which patterns and forms of media-led perception - be that the inscription of gravestones, cartoons or the TV-governed narrative itself - change in questions of art, depiction of "reality", the reception of texts and other cultural phenomena, etc. The question of substance, printed into visibility by Gutenberg and electrified into invisibility by Turing, are repeatedly placed at the centre of this question.
On the other hand, the transition of the wooden slip box and a sorting system that has after decades and centuries finally reached a more or less unified state to differently formatted hard-drives with as different, non-uniform programs will be used to indicate that mixture of data retention and noise which also has to be understood as a central problem of contemporary media networks.
Further, the author will use Friedrich Kittler's text Die Nacht der Substanz ("The Night of Substance") to address a thesis that says that while the substance was still visible in the 19th century via analogue writing and recording systems, its immediacy vanished increasingly in the course of the 20th century and in the 21st no longer appears graspable (almost as if it had lost its materiality). Literature in this context proves to be very stubborn and refractory. Not every technology immediately has to be declared as a medium and equipped with the matching barcode. Rather, this would more appropriately apply only to those that include the functions of the cultural techniques of storage, transmission and manipulation of information, i.e. that can stimulate and facilitate. In this context, a paradigmatic reference will be made to the Enigma machine of the Second World War, which really ought to represent the "Night of Signs". However, there remains a refractory third party: It disrupts the consumption and the flow of commodities, the efficient noise.
At least partially, the departure from a purely technology-oriented approach to media theory may help: Especially in the catalogue system and its changing history, it is not exclusively the technological-medial achievements, their own dynamics and material conditions that win out. Rather, these fundamentals are confronted with highly influential contemporary demands that they are subjected to.
1 Attachment(s)
< previous Posting next >
<< previous Topic next >>
Senior Editor
(Weitere Informationen hier)
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Antworten