Von der Eigenmächtigkeit der Medien (II)

posted by PP on 2013/12/05 16:32 | Tags: KPQ Medienverbund Budapest Konferenz Kriegspressequartier

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Während der Zeit seines Bestehens durchlief das KPQ (mit letztlich bis zu 880 MitarbeiterInnen – nicht zu vergessen das ebenfalls von Hoen geleitete Kriegsarchiv) wesentlich drei Phasen: Bis Ende 1914 lässt sich von Aufbau und einer gewissen Indifferenz sprechen, bis Ende 1916 erfolgten Ausbau und die Wahrnehmung klassisch zu nennender Funktionen (Information für die Öffentlichkeit, Kriegsberichterstattung, Zensur etc.), ab 1917 bis zum Kriegsende kam es unter neuer Leitung (ObstdG Wilhelm Eisner-Bubna) zu Neuorientierung und durchaus aktiv zu nennender Propaganda. Das KPQ war zur machtvollen Mediendrehscheibe der Monarchie geworden (so wurde etwa 1917 auch der Pressedienst der allerhöchsten Herrschaften dem KPQ unterstellt). Das Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie mit ihren zahlreichen »K«s bedeutete auch das Aus für das KPQ und die Kunstgruppe des Kriegsarchivs

 

Die Geschichte dieser Einrichtung auf Basis gründlicher Archivrecherche, einem Verständnis für ihre systemische Komplexität und seine medienhistorischen Nahtstellen würde es in Summe ermöglichen, die medialen Erfahrungen und Mediennutzungen der 1910er Jahre als Propädeutikum mit hoher Anschlussfähigkeit für die Medienverbünde der Moderne in der Zwischenkriegszeit zu extrapolieren. Die 1910er Jahre und die aus den Erfahrungen der Kriegsführung auch resultierenden neuen Verständnisse für die Möglichkeiten der Kommunikation jeder Art sind Vorbedingung für den kategorialen Wechsel von quasi parataktisch gestellten Vermittlungsapparaturen aus 1900 hin zu deren beginnenden Zusammenschlüssen noch vor dem Zweiten Weltkrieg. Was seitens des Militärs nicht mehr für eigene Zwecke und auf unbestimmte Rechnungslegung hin usurpiert werden kann, erfährt nach dem Ersten Weltkrieg einen anders gerichteten Massengebrauch und dessen folgerichtig kommerzielle wie künstlerisch orientierte Nutzung (Einführung und Verbreitung des Tonfilms, Ausbau der Möglichkeiten des Radioempfangs und der Telefonie, neue Druck- und Distributionsverfahren für Tages- wie Wochenzeitungen, noch stärkere Engführung von Printprodukten und Fotoberichterstattung, …). Aus der intensiven Nutzung medialer Möglichkeiten durch das Militär und seine publizistischen Einflussbereiche gehen (jene, die überlebt haben) zahlreiche neue, im medialen Umgang nun bedeutend versiertere Proponenten in ein neu zu konsumierendes Zivil- und neu distribuierendes Wirtschaftsleben über, in dem ihr Nutzungsverhalten künftig neu aufgestellt und bedient wird.

Die Darstellung des KPQ und des hier wesentlich mit angeschlossenen Kriegsarchivs (dieses verlagerte seine ursprünglich wissenschaftliche Tätigkeit mit den Jahren immer mehr hin zu Publikationen populären und propagandistischen Inhalts) erschöpft sich oft in der Frage, welche prominenten KünstlerInnen hier eingezogen, freiwillig eingetreten, zur Teilnahme eingeladen worden waren oder bei der Entscheidung zwischen einschlägigen Tätigkeiten und dem Frontdienst zuungunsten des letzteren sich entschieden hatten (bzw. nach diesem überstellt wurden). Dieser Effekt der Prominenz, den späterhin Glamourdarstellungen neuen Zuschnitts in Zeiten unsicherer republikanischer Verhältnisse aufgreifen werden, ist auch einer der Ersatzhandlung, wobei der Effekt des Schauers, welche Geister und großen Namen der Kultur sich dem medialen Schützengraben nicht oder nur schwer entschlagen konnten, stets ein beliebter war, ist und bleiben wird.

Ich komme nochmals an den Ausgangspunkt:

Es wird mit der Mobilisierungsinstruktion von 1909 nicht weniger verfügt, als dass es einen ärarisch-militärischen Medienverbund zu geben habe. Zu diesem Zeitpunkt kann natürlich niemand absehen, was die Moderne der 1920er Jahre aus den Kunst- und Publizistikrichtungen, ihren spezifischen Formaten und deren Möglichkeiten machen wird. Aber die Vorbereitung für diese dann veritablen Medienverbundsysteme im heutigen Sinn, so die These, ist wesentlich den 1910er Jahren, den Vorbereitungen für einen Kriegsfall sowie der Durchführung im Rahmen eines ›learning by doing‹ geschuldet. Am Anfang steht also keine Eigenmächtigkeit von Medien, die auf ein Etwas hin treibend sich beziehen und bewegen, am Anfang steht … der Verwaltungsakt. Mächtige ›Nutzer‹ ordnen die systematische Verschaltung der noch parataktisch gestellten medialen Formate aus 1900 an.

Robert Musil schreibt im bekannten 8. Kapitel seines »Mann ohne Eigenschaften« einen vielfach zitierten Satz: »So oft man in der Fremde an dieses Land dachte, schwebte vor den Augen die Erinnerung an die weißen, breiten, wohlhabenden Straßen aus der Zeit der Fußmärsche und Extraposten, die es nach allen Richtungen wie Flüsse der Ordnung, wie Bänder aus hellem Soldatenzwillich durchzogen und die Länder mit dem papierweißen Arm der Verwaltung umschlangen.« Ich schlage vor, diese Sentenz des »Kakanien«-Kapitels zumindest auch dahingehend zu lesen, dass Robert Musil nach seinem Fronteinsatz ab 1916 Schriftleiter der »Soldaten-Zeitung« war (die in Tirol erschien!). Auch scheint er als Redakteur der »Heimat« auf, die vom KPQ ab März 1918 (Musil  wird am 18. März 1918 in den Stand des KPQ genommen - Quelle: AT - OeStA/KA/FA/AOK/KPQ, Karton 22, Kommandobefehl Nr. 77 vom 18.03.1918)  herausgeben wurde. Dieses Produkt sollte versuchen, das »allgemeine Vertrauen in die Kraft der Monarchie zu festigen«, die Auflage belief sich auf 31.000 Stück, es gab auch eine ungarische (»Üzenet«) und eine tschechische Ausgabe (»Domov«). Anders gesagt: Musil wusste zum Zeitpunkt der Abfassung seines MoE sehr genau, wie eng sich die Verbindung von Verwaltung und Militär darstellen konnte, wenn es um die Verfertigung einer Gesamtdarstellung ging, wenn es sich sozusagen um die Parallelaktion zweier Systemstrukturen zum Zwecke der Beförderung eines großen Ereignisses handelte. Der umschlingende »papierweiße[] Arm der Verwaltung« meint wohl auch das Zeitungspapier, auf dem das KPQ und seine Organisationsgrade sich zu drucken wussten.

 

Unter den genannten Medienverbünden wird somit nicht allein die bloße Addition oder Kombination bestehender medialer Techniken zu verstehen sein, sondern eine neue Form der systematischen Verbindung, die auch neue Effekte zu setzen, anders geartete Kulturtechniken hervorzubringen vermochte. Derartig abgeleitete Formatierungen (und ihre Auslöser) können nicht hinlänglich begriffen werden, wenn nicht zwischen dem (in seiner Strukturierung nur schwer fassbaren) Material und dem Prozess seiner jeweiligen Zurichtung differenziert wird. (Überdies wird auch von Dysfunktionalitäten und Kontrolle zu sprechen sein.) Es ging und geht mithin nicht allein darum, unterschiedlichste Medien um 1900 weiterhin gediegen nebeneinander zu stellen und entsprechend den jeweiligen Verfahrensweisen und Auswirkungen simpel zu erläutern. Es müssen die Zusammenhänge, Auswirkungen u.v.a. Kulturtechniken erfasst werden – das Wechselspiel jener Verbindungen ist herauszuarbeiten, um in weiterer Konsequenz Aufschluss erlangen zu können hinsichtlich heutiger Vernetzungsformate – auch und gerade im Zusammenhang mit Krieg, Kriegspropaganda, Kriegsberichterstattung, Selektion und Nachrichtenfiltern, gezielten Informationsstörungen und zensorischen Maßnahmen. Deshalb lässt sich am Prototyp KPQ veranschaulichen, wie eine systematische (militärisch-bürokratisch gelenkte!) Engführung von medialen Formaten zu einer Zeit umzusetzen versucht wurde, als diese Formate gerade noch kein Medienverbund im Sinne von Tonfilm, Fernsehen oder Internet waren, sondern ihre Verbindung einfach nur ein großer Verwaltungsakt sein konnte.

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01 by lolaa at 2015/11/10 11:50 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten
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Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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