Ruhestadium
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Jetzt ist er wirklich da, der Tag der Leere, und die Nachrichten auf dieser Seite über bevorstehende Stadiongänge muten nahezu zynisch an, wenn einem aus der Ferne nicht einmal mehr der Fernseher hilft. Interessant aber, wie den Fußballdiskurs angesichts solcher Spiel/nicht-Spiel bzw. dabei/nicht dabei-Unterscheidungen mit einmal durch Stadionmythen (Woltron) und Medientheorien (Plener) die Präsenzdebatte einholt, die man fast für erledigt gehalten hätte ...
Vorab und pro domo sei allerdings zunächst der Hinweis auf den EM-gemäß greinenden Darijo Srna (Croatia) eingestreut, der es nicht fassen wollte, daß alle seine Kumpels zu blöd waren, ihre Elfer reinzutun. Und dann die Selbstkorrektur, daß Portugal nicht wie neulich behauptet mit 9 Punkten ins Viertelfinale eingezogen ist. Ist aber natürlich jetzt schon wieder egal und Geschichte. Schließlich noch die Frage, wie es kommt, daß nur einer von vier Gruppenersten nun auch im Halfinale steht. Da scheint mir dieses Turnier so langsam das Ende seiner Prognostizierbarkeit erreicht zu haben, oder umgekehrt: die einzige Prognose, die halbwegs stabil wirkt ist, daß Spanien nicht Europameister wird.
Jetzt aber zurück zu den Medien: Daß es großartig ist im Stadion sei hier nicht bestritten, daß der behauptete Präsenzvorsprung theoretisch haltbar ist, allerdings sehr wohl. Zum einen nämlich können ironischerweise die Rituale, die Ute Woltron beschreibt, just Fanmeilen und Public viewing durchaus reprouzieren. Zum anderen guckt man ja auch im Stadion nicht unmittelbar oder unvermittelt -- wie jede strittige Abseitssituation beweist, ist gerade auch der 'natürliche' Blick auf Dinge ein höchst restringierter.
Kein Fußball ohne mediale Rahmung mithin (denn auch das Stadion ist vermutlich als Medium treffender beschrieben denn als Kelch), wobei ein Rahmen wie stets auch hier Ermöglichung und Begrenzung zugleich ist. Für die Analyse eines Spiels ist dabei das Medium Stadion dem Medium Fernsehen in der Tat unendlich vorzuziehen -- was viel damit zu tun hat, daß die Kamera meist am Ball, die taktisch entscheidenden Bewegungen aber immer vor oder hinter ihm stattfinden -- sei es in der Verschiebung einer Abwehrreihe, sei es im antizipierenden Kreuzen einer Sturmspitze. Das hat auch Plener im Sinn, wenn er schreibt, daß man Fußball erst dort, im Stadion nämlich, sieht. Umgekehrt zeigt seine feine Studie zu den Medien des Fußballs in "Seitenwechsel", daß die Dinge damit keineswegs erledigt sind. Mich würde zum Beispiel interessieren, ob die zunehmende Dominanz von Halbfeldtotalen (gegenüber der früher üblichen schrägen Viertelseitenansicht) etwas mit der seit der WM 1994 immer weiter zunehmenden Aufwertung der Sechser-Position (Dunga 94, Sammer 96, Dechamps 98 usw.) zu tun hat. Oder möglicherweise umgekehrt? Wobei die Dinge nicht komplett zur Deckung kommen, wenn man z.B. bedenkt, daß ein Gutteil der in Deutschland üblichen Ballack-Kritik lediglich darauf zurückzuführen ist, daß Ballack 80% des Spiels hinter dem Kamera-Kader verbringt und also gerade in seiner Wirksamkeit nicht zu sehen ist.
Ein letzte Gedanke dazu: Zu den Medien des Fußballs gehören natürlich auch die Diskurse post festum, also a) die Elogen über Präsenzeffekte, b) Blogs wie diese, die die fernsehvermittelte Wahrnehmung nochmal medial vermitten und c) die ganzen Statistiken, die den Ereignis-Fluß des Spiels bzw. der Turniere in Vergleichskategorien bündeln. Diese letzte mediale Übersetzung (die ja dazu führt, daß man weiß, daß Spanien nicht gewinnen wird und ähnliche Dinge mehr) ist eigentlich die interessanteste, weil sie eine Realität des Fußballs generiert, die allein in medialer Gestalt existiert: Zahlen wie Torquoten, EM-Teilnahmen oder scorer points erzeugen eine objektive Ebene, die in sich stimmt und die nirgends außerhalb ihrer selbst existiert. Wirklich unmittelbar wird der Fußball mit anderen Worten nicht im Stadion sondern auf dem Papier, auf dem die Tabelle steht.
Das kann man gut an einem Manager-Spiele wie "Hattrick" sehen, bei denen man eine virtuelle Fußballmannschaft coacht und bei denen die gleichen Statistiken entstehen wie in der so genannten Wirklichkeit. Zwar ist unbenommen, daß im einen Fall Menschen in Fleisch und Blut über den Rasen laufen und im anderen nur gerechnet wird. Interessant ist aber eben, daß der Effekt für den Mediennutzer der gleiche ist: Leistungs- wie Spannungskurven (bei Hattrick laufen die Spiele in Echtzeit über einen live ticker) lassen sich virtuell 1:1 simulieren, und da ich die Spieler der deutschen Nationalmannschaft ja nun auch nicht alle persönlich kenne, verstehe ich sie eben so gut oder schlecht wie die lustigen kleinen Männer mit den Kunstnamen in der Hattrick-Welt.
Womit bewiesen wäre, daß Hüftschaukeln und Fernsehgucken einander nicht ausschließen.
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Senior Editor
(Weitere Informationen hier)
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Antworten
Den Hintern beim Fernsehen zu schwingen, sollte wirklich nicht ausgeschlossen sein. Umso mehr jedoch ein Stadium der Ruhe im (eben nicht: Ruhe-) Stadion. Weshalb es vom schalen Wortwitz, für den die momentanen Außen- wie Innentemperaturen nur bedingt als Erklärung hinreichen können, zur Tatsachenfeststellung und Bestätigung der Bestätigung des Kollegen Pethes zu kommen gilt: Was man beispielsweise gestern im Stadion sehr gut sehen konnte war, dass Spanien um keinen Preis ins italienische Messer laufen wollte und insofern bei Vorstößen nur sehr sehr selten mehr als zwei, drei Spieler mitgingen, man sich also alleine auf Schnelligkeit und technik verlassen wollte. Jaja, aus der gesicherten Abwehr heraus... Und ebenfalls fiel deutlich auf, dass es mit der Kondition bei den Spaniern nicht übermäßig gut bestellt war (ein größerer Teil hatte im dritten Vorrundenspiel pausiert - wie soll das gegen Russland gutgehen?). Ab Minute 90 war bis auf gelegentliche Entlastungen die Luft draußen und schien Italiens Taktik aufzugehen. Doch kam Del Piero viel zu spät ins Spiel...
Jedenfalls: Ich sehe im Fernsehen nicht (und höre allenfalls bei einem wirklich sein Medium verstehenden und dessen Möglichkeiten umsetzenden Radioreporter), wie sich ein Spiel entwickelt, es fehlen wesentliche Teile der Anschauungsmöglichkeit. Dass es nicht allein um den Präsenzeffekt gehen kann, ist dabei selbstverständlich. Andererseits: Wie oft im Leben bekommt man in dieser Leistungsklasse ein Elfmeterschießen genau auf das Tor serviert, hinter dem man postiert ist?
(Und ja, stimmt: In meinem oben freundlicherweise anzitierten Beitrag fehlt der Bereich der Videospiele vollkommen; Grund für den Ausschluss ist meine Annahme ["These wäre zu hoch gegriffen"], dass diese mediale Form nicht als Übertragungsform eines Live-Geschens geltend zu machen ist - was aber schon noch eines eigenen Aufsatzes bedarf, um einigermaßen stabil gemacht zu werden; die aktuelle Nike-Werbung legt es eben genau auf die Erschütterung dieser Annahme an. Jedenfalls: Wenn wir das mal alles beisammen haben, wenden wir uns nochmals einer Frage zu, die besonderer Aufmerksamkeit bedarf: Inwiefern beeinflußen mediale Übertragungsformen - vom Fernsehen bis hin zum Videospiel - die Umsetzungen des Ballspiels auf dem Feld? Meine Vermutung wäre, dass dies kaum der Fall ist, sondern hier ein medialer Loop seiner selbst stattfindet.)
2 replies (click to show/hide)
Turk, Turk, Turkiye
Stimmt, jetzt noch ein Finale Russland-Türkei ("'tschuldigung!" in Richtung Deutschland, es geht nur um die Entwicklung eines Gedankens) und dann bitte die Frage, wo eigentlich die Europäische Union sich ballestrisch-europäisch - und obendrein bei einem in der Schweiz residierenden Verein (UEFA)! - anstellen möchte...
(Ist aber den geltenden wie nicht festgeschriebenen Regulativen zufolge ausgeschlossen, da derzeit die Spekulationen nur mehr dahin gehen, ob die Türkei nun neun oder bloß sieben Spieler - von Stammelf ist aufgrund des fortschreitenden Erosionsprozesses nicht mehr die Rede - vorgeben wird müssen.)
Ja, das wäre super - die "Randl"europäer im Finale, obwohl ich ja entweder zu TR oder ESP halte, aber auch im Randleuropäerfinale gilt: "Turk, Turk, Turkiye" und "Putin's Boys go home!!!!"
Eigentlich ärgere ich mich ja seit in der Früh, seitdem ich den Gratismist "Heute" mit der Schlagzeile in türkisch "Liebe Türken, haut die Deutschen in die Pfanne" gesehen habe und gleichzeitig auch, dass im Türkischen "liebe" fehlt. Aber nicht das ist der Grund meines Ärgers, sondern dieses hypertrophe Anti-Deutsche das jetzt alles in Österreich so einhellig und unwidersprochen umgarnt. Liebe MitbürgerInnen: Wären Eure Großeltern im März `38 so antideutsch gewesen, es wäre hier vielen anderen Großeltern viel erspart geblieben. Jetzt ist es zu spät – und wenn dann "Heute", der Gratis-Ableger der Kronen-Zeitung, noch dazu die Türken, sonst auch Islamisten genannt, als Vehikel für diese neue Identitätsstiftung nimmt, kommt mir nur das Kotzen – vor allem, wenn man dann auf Seite 4 nämlicher Postille auch noch liest, dass HC mit seiner Partei nach einigen Umfragen schon vielleicht bei dreißig Prozent liegt: Antideutsch samma, aber antifaschistisch no net ganz. <o:p></o:p>
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Und fast würde ich so jetzt doch noch zum Fritz halten. Aber nein: Türk, Türk, Türkiye.... Schießt sie raus...<o:p></o:p>
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Und Cordobá war vor dreißig Jahren. "Fuit", wie der Lateiner sagt.<o:p></o:p>