Im Stadion
[ Sport | -s ]
Wie Ute Woltron, eine der versiertesten ArchitekturkritikerInnen, in Seitenwechsel schon so treffend schrieb:
Keine Superzeitlupe, keine Wiederholung, kein hautnahes Interview, kein Kameraschwenk über die Zuschauerscharen kann vor der Glotze die echte Stadionstimmung ersetzen. Mir jedenfalls nicht. Vielleicht bin ich aber auch nur verdorben. Ich will beim Fußballschauen schreien, singen, die Fahne und den Hintern schwingen. Ein Sieg ist nur ein Preis, die Freude aber der Gewinn, das Stadion bleibt der Kelch, aus dem sie getrunken wird.
Und so zieht es uns heute ins Happel-Stadion, woselbst wir dem Viertelfinale zwischen Spanien und Italien nicht einfach nur beiwohnen werden (obwohl: das mit dem Hinternschwenken überlassen wir dafür Berufeneren).
Nun ließe sich einwenden, dass man eben das Feld mitdenken muss, wenn man ein Spiel im Fernsehen sieht. Nur: Wenn man nicht (mehr) das gesamte Geschehen erfassen kann, somit kaum noch sich bietende Lücken erkennen kann, man nur sehr bedingt sieht wie sich eine Mannschaft aufstellt, welche Varianten sie aufzubieten versucht – lassen sich der Erkenntnisgewinn und damit die Freude am passiven Spiel nur vermittels spezifischer Rezeptionsbedingungen (seien sie sozialer oder ausschließlich liquider Natur) als gleichwertig nominieren.
Kurz: Hier kommt das Problem der Perspektive ins Spiel und beginnt die Entscheidung für die eine oder die andere Konsumationsform eines Live-Spiels: Vor dem Apparat oder auf der Tribüne? Wenn es bei der Rezeption wesentlich um Erkennen geht, mithin um Erfahrung, die angewandt werden kann, so handelt es sich dabei um Vorbedingungen für Verstehen. Diese in der Gleichzeitigkeit zu ermöglichen könnte sich, vorsichtig formuliert, als schwierige Herausforderung erweisen. Die Zentralperspektive, die in den meisten Kulturen als wesentlicher Wahrnehmungsfaktor sich durchgesetzt hat, gestattet die Selektion nach bestimmten, individuell abänderbaren Regeln. Dies muss im Sinne angewandter Komplexitätsreduktion nicht zwingend von Nachteil sein.
Aber für den Fußball bleibt die Gültigkeit bestehen, dass es ohne den Platz, ohne das Stadion nicht geht. Erst dort siehst du, verstehst du alles.
Und dieses Bild hier unten stammt aus dem Jahre 2005, wurde aufgenommen von Johannes Zinner.
(Wie ich soeben dank dem Budapest-Weblog sehe: Fußball wird nahezu überall gespielt... Wunderbar.)
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Senior Editor
(Weitere Informationen hier)
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Antworten
(Ähem, wie ich soeben dank dem aktuellen Budapest-Weblog lerne: Fußball wird immer noch nahezu überall gespielt, aber nicht mehr auf YouTube, sondern nunmehr nur noch auf Index. Eh klar. Einzige Frage: wie viele Kameraperspektiven gibt es noch?)