Mehr oder weniger ruiniert - Moosbrugger

posted by PP on 2007/12/06 13:13

[ Literatur | -e ]

Der so lesenswerte rumänische Schriftsteller Mircea Cartarescu hat Erich Klein im Falter ein ausführliches Interview gegeben, welches schließlich mit dem Zitat "Der Osten hat uns zerstört" übertitelt wurde.

Überdies hat Klein auch gleich mit einer kurzen Rezension von Cartarescus Buch "Die Wissenden. Roman" (erster Teil der Romantrilogie "Orbitor") einen weiteren informierten Beitrag nachgelegt.

In einem sich zumindest nominell  "kakanisch" gebenden Weblog darf zumindest das Zitat folgender Interviewpassage nicht fehlen:

Sie haben eine Reihe von Essays über die literarischen Säulenheiligen des 20. Jahrhunderts geschrieben - Joyce und Proust müssten Ihnen schon allein vom Umfang her naheliegen. Wer steht Ihnen näher?

Das ist einfach zu beantworten: Musil.

Den Sie als eine Art Prinz Hamlet der europäischen Kultur bezeichneten. Im "Mann ohne Eigenschaften" gibt es aber trotz aller "tagheller Mystik" einen ganz klaren Plot: die Satire der "Parallelaktion".

Es gibt zahlreiche Plots. Der berühmteste, an den die Kritiker meist nicht denken, ist die Geschichte dieses Massenmörders.

Moosbrugger.

Das ist der Strang, den ich am meisten mag. Musil entgrenzt den menschlichen Geist, so wie das auch Kafka oder Wittgenstein taten. Ich glaube, in den Zwanziger- und Dreißigerjahren geschah in Wien etwas höchst Interessantes. Es war eine visionäre Kultur, die dem übrigen Europa weit voraus war. Man kann auch noch Mahler oder Broch nennen. Ich habe ein Buch über die Postmoderne geschrieben und ziemlich bewundert, was man damals in Wien schon alles wusste. Eines der wichtigsten Motive bei Musil ist die Geschichte mit dem genialen Rennpferd: Jemand bemerkt in einer Sportzeitung, dass ein Pferd als Genie bezeichnet wird. Ich glaube, damit begann die Postmoderne: Die Werte lösen sich auf, etwas kann genial oder Trash sein, und manchmal beides zugleich.

Das Problem des heutigen Wien ist, dass es mit dieser Stadt nicht mehr viel gemeinsam hat.

Trotzdem: Es gab und gibt da Leute wie Thomas Bernhard oder Elfriede Jelinek. Bernhard ist bei uns gerade sehr populär, die jüngere Generation schätzt seine schwarze Art zu schreiben.

Aber auch zahlreiche andere, zuspitzende (und so oft die Dinge auf den Punkt bringende) Anmerkungen Cartarescus verlohnen die Lektüre, zumindest den Klick oder gar den Kauf des Blattes, allemal.


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Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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