Literatur | -e - Part 55
posted by peter on 2007/07/13 12:42
[ Literatur | -e ]
Nicole Henneberg hat für die Frankfurter Rundschau ein hiermit dringend zur Lektüre anempfohlenes Interview ("Die Wette Gottes") mit Imre Kertész geführt, aus dem hier in der Folge einige wenige Passagen zitiert sein sollen. Zusammen mit der Rezension "Selbstbefragungen" von Jörg Plath - über Kertész' neuesten Band "Opfer und Henker" - ergibt sich eine feine Doppelseite.
Aus dem Interview:
Zur Frage, weshalb er vornehmlich in Berlin lebt und welche Unterschiede er zu Budapest sieht:
Mein erster Roman hatte hier großen Anklang, und ich habe mich in einer Kultur gefunden, wo das, was ich schrieb, ein wirkliches Echo fand; in Ungarn interessierte das niemanden. Das ist eine andere Kultur in Mittelosteuropa, da war das Problem Holocaust überhaupt nicht da - oder nur in einer schablonenhaften Weise. Ich denke, ich habe hier in Deutschland etwas zu tun, obwohl ich ungarisch schreibe. Kommen wir zurück zum neuen Buch: diese Geständnisse aus "Ich, der Henker" sind in eine Kultur eingebettet, die viel mehr deutsch als ungarisch ist. Ich muss mich damit abfinden, dass ich als geistiger Arbeiter in meiner Muttersprache weniger präsent sein kann als hier, wo das, worüber ich spreche, eine aktuelle und konkrete Kultur ist. Das habe ich 1992 das erste Mal erfahren, in Wien, bei einem Symposium über Jean Améry; da musste ich einen Essay schreiben zum Thema "Der Holocaust als Kultur"; das dünkte mich damals problematisch und herausfordernd. Ich dachte, sie würden mich nicht verstehen, aber es war nicht so. Das ist ein Zeichen dafür, dass es hier eine Denkweise gibt, einen Kontext, wo ich nicht in die Luft spreche. Wie sich das weiterentwickelt weiß ich natürlich nicht - aber Europa braucht diese Erfahrung und muss heute, gegen den Terror, seine Kräfte bündeln: wie es zwei Diktaturen, zwei Totalitarismen überwunden hat.
Zum Existentialismus, der Philosophie und den ungarischen Intellektuellen:
Tja, die ungarischen Intellektuellen … die Ungarn haben keine Sprache für die Philosophie, keine exakte, philosophische Begrifflichkeit. Die ungarische Sprache ist sehr sinnlich - wenn man philosophieren will, muss man zu anderen Sprachen gehen. Ich brauchte immer ein radikales Lebensgefühl, nicht nur eine Philosophie; im Rückblick war das Wichtige, ein erregendes Spiel zu finden - aber das Spiel war wirklich wahr, und man konnte sehr schnell daran kaputtgehen. Das Leben in diesen beiden Diktaturen, der nationalsozialistischen und später der sozialistischen, war voll mit Erscheinungen, die für einen Künstler sehr fruchtbar sind. Ich habe Glück gehabt mit Ungarn, da gab es in den sechziger Jahren, als ich schrieb, keinen Gulag. Aber russische Künstler, wie Brodsky, haben das auch so gemacht. Diktatur kann das Leben nehmen, aber nicht das literarische Spiel töten.
Zur Frage des Stils, des Arbeitens an den Romanen, den künstlerischen Aufgabenstellungen:
Das waren jeweils Momente des aktiven Ausruhens - das ist das Beste für eine größere Arbeit. Später, wenn die Arbeit stockte, habe ich übersetzt. Das ist sehr gut, eine Art Spiel, wie eine Etüde. Je größer der stilistische Abstand, umso besser, umso sicherer finde ich zu mir selbst. Meine Lieblingsübersetzungen Nietzsches, Hofmannsthals, Joseph Roths waren sehr anspruchsvolle Aufgaben, das Spiel dauerte immer so lange, dass ich eines schönen Tages erwachte und zu mir zurückgefunden hatte und das konnte, was ich vorher nicht gekonnt hatte; es war dann leicht, einen eigenen Stil zu entwickeln. Wenn man lange an einem Roman arbeitet, wird man sich selbst schwierig - man ist an den eigenen Stil gebunden und kann nicht heraus; und man verliert die Urteilskraft. Ein Maler kann von seinem Bild zurücktreten, dieses Zurücktreten in Prosa ist Zeit, ein halbes Jahr manchmal.
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Senior Editor
Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
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Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
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