Ungarn | Hungary - Part 27

posted by PP on 2006/09/25 02:04

[ Ungarn | Hungary ]

Zu den zahlreichen Verweisen der letzten Zeit (nicht zu vergessen: jene im Budapest-Weblog!), die unter obgenanntem Thema sich mit den Vorgängen in Ungarn und nach der Veröffentlichung der Gyurcsány-Rede auseinandersetzen, gesellt sich nun noch ein durchaus interessanter Kommentar von Franz Schandl: Angelogen, ausgelogen?. Abgesehen von den hier gebrachten "neuen" Zitaten aus dem Redenausschnitt, die bislang im deutschsprachigen Raum ja kaum jemand zu berücksichtigen imstande war (die meisten waren allein scharf auf deftige Worte), wäre tatsächlich einmal danach zu fragen, in welchem Kontext die so inkriminierten Worte von der "Lüge" fielen - und ob da nicht noch ein bisschen Substanz auch dabei war.
Béla Rásky bringt wiederum ...
 

... einen kleinen Rundgang durch die Stadt samt Einschätzung der Lage und dem Verweis auf zwei höchst interessante ungarische Beiträge.

Und wenigstens verlief die gestrige Demonstration relativ friedlich, auch wenn die Rechten nun wie selbstverständlich eine "Ausweitung" derselben auf das ganze Land planen. Dazu Franz Schandl:

Auch wenn die Demonstranten es nicht verstehen, sie demonstrieren nicht gegen die Lüge, sondern gegen die Wahrheit. Das ist schlecht. Besser wäre es, sie demonstrierten gegen die Wirklichkeit, die solche Wahrheiten und Lügen erzwingt.

Und weiter:

Die Rede Gyurcsánys ist übrigens die mit Abstand interessanteste, die ich in den letzten Jahren von einem etablierten Politiker gelesen habe. Schwach wird sie bloß dort, wo er meint, er spreche von einem ungarischen Phänomen. Das ist weder ein ungarisches, noch ein kakanisches Problem, aber auch kein europäisches oder gar ein importiertes amerikanisches, sondern eines, das die moderne Politik insgesamt auszeichnet und damit auch ihre strukturellen Schranken offen legt. Nicht politische Krisen erleben wir, sondern Krisen der Politik. Und diese schiere Verzweiflung des Politikers an der Politik angesichts ihrer Mittel, wird dezidiert angesprochen

 

Béla Ráskys Einschätzung teile ich da vollkommen:

Bin aber trotzdem optimistisch: Hinter all dem kann sich etwas formieren, was neu ist. Vielleicht. So geht es nicht weiter, oder wenn, dann geht es das nächste Mal noch ärger rund, denn dann werden auch ganze soziale Schichten unruhig, nicht nur wie jetzt jene, die paradoxerweise vom Sparpaket wohl am wenigsten spüren werden: Die randalierende Borugeoisie – als hätte sie nicht genug randaliert in diesem Land.

 

Dazu passt auch sehr gut, was der Standard mittels Weitergabe einer Agenturmeldung reportiert:

Einen Höhepunkt bildete der Auftritt eines vermummten Redners. Dabei handelte es sich um György Budahazy, der unter den Randalierern war, die in der Nacht auf Dienstag auf dem Szabadsag-Platz das sowjetische Ehrenmal demoliert hatten. Nach ihm läuft eine landesweite Fahndung. Der vermummte Mann forderte vor den Demonstranten, die Polizei solle "nicht ihn, sondern Premier Ferenc Gyurcsany verhaften". Unter Beifallssturm tauchte er in der Menge unter.

Und in Köszeg wurde ein Parteilokal der MSZP mittels Molotowcocktail in Brand gesteckt. Soviel zum gern behaupteten friedlich-demokratischen Bedürfnis der Demonstrierenden.

 

Viktor Orbáns Rechte erinnern ja momentan frappierend an Goethes "Zauberlehrling", wenn ihnen von den Leuten, für die sie das Klima bereiteten, bereits ausgerichtet wird:

Die Demonstranten erwarten von den Oppositionsparteien, dass sie sich den Aktionen anschließen. Tamas Molnar forderten den Vorsitzenden des rechtskonservativen Fidesz-Ungarischer Bürgerverbandes, Viktor Orban, auf, an den Protestaktionen auf dem Kossuth-Platz teilzunehmen. Laut Molnar müsse der Parteichef "von all seinen Ämtern zurücktreten" und vor dem Parlament erscheinen, damit die Demonstranten "darüber entscheiden können, ob sie ihm verzeihen". Orban hatte nämlich die Großdemonstration auf dem Heldenplatz abgesagt.

 


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Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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