Ungarn | Hungary - Part 15

posted by PP on 2006/08/07 18:37

[ Ungarn | Hungary ]

Vorankündigung für eine Ausstellung, an deren Zusammenstellung Béla Rásky (u.a. Budapest-Weblog) als einer der Kuratoren wesentlich beteiligt war:

FLUCHT NACH WIEN. UNGARN 1956 (7. September bis 26. November 2006; Wien Museum)

Aus dem Pressetext:

Budapest brennt - Wien hilft!

"Budapest brennt!": Was am 23. Oktober 1956 mit einer Studentendemonstration begann, entwickelte sich innerhalb weniger Tage zum landesweiten Aufstand. Die Revolution gegen das stalinistische Regime in Ungarn war zugleich die erste Nagelprobe für die Zweite Republik. Mehr als 180.000 Menschen flohen vor den sowjetischen Panzern über die burgenländische Grenze in den Westen – ein einschneidendes Ereignis mitten im Kalten Krieg, das auch für Wien weit reichende Folgen hatte. Die Ausstellung "Flucht nach Wien – Ungarn 1956" konzentriert sich erstmals auf diesen spezifischen Aspekt.

Als Flüchtlinge noch willkommen waren

Die Solidarität mit den "Nachbarn in Not" war in Österreich zunächst enorm, die junge Republik konnte ihre Großzügigkeit, aber auch ihre Eigenständigkeit und Neutralität im Konflikt beweisen. Doch schon bald wurden kritische Stimmen laut. Ausgehend von den blutigen Ereignissen dokumentiert die Ausstellung zunächst Flucht und Aufnahme in Wien. Wie wurden die Flüchtlinge untergebracht? Wovon lebten sie? Die Schau gibt Antwort auf diese Fragen und beleuchtet zugleich die innerösterreichischen Folgen des Krisenfalls. Daraus ergeben sich weitere Fragen: Was ist dran an der Legende von der nationalen Hilfsbereitschaft? Und wie wurde aus "Ungarn '56" ein Medienereignis?
Auch das "danach" wird thematisiert: Für die meisten Flüchtlinge war Österreich nur Durchgangsstation, mehr als 80 Prozent entschieden sich für eine Weiterwanderung. An die 15.000 Ungarn blieben schließlich in Wien. Deren Integration und dem Leben der Zweiten Generation ist ein eigener Bereich gewidmet.

"Die Russen lassen die Leute ohne weiteres ziehen

Bis Anfang 1957 war die ungarische Grenze zum Westen offen, "die Russen lassen die Leute ohne weiteres ziehen", berichtete Innenminister Oskar Helmer im Ministerrat. Nur wenige Habseligkeiten konnten die Menschen mitnehmen, neben Alltagsgegenständen war auch Außergewöhnliches dabei – so etwa die Partitur des 1. Streichquartetts des Ungarnflüchtlings György Ligeti. Sie steht stellvertretend für den kulturellen Exodus im Jahr 1956. Bemerkenswert ist auch die Ikonisierung der Flucht. In den Medien wurden hauptsächlich Frauen und Kinder gezeigt, während es in der Mehrzahl junge Männer waren, die in Wien ankamen.
Die Ausstellung dokumentiert weiters, wie die spontane private Hilfe sukzessive von organisierter Unterstützung seitens der Behörden und der Hilfsorganisationen abgelöst wurde – aus Anlass der Massenflucht wurde zum Beispiel das Flüchtlingslager Traiskirchen gegründet.

Die Krise als Katalysator für Österreich

"Wir haben uns durch die Flüchtlingssache in der ganzen Welt einen Namen gemacht", bilanzierte Innenminister Helmer die Ereignisse. Tatsächlich diente die Ungarnkrise als Katalysator für die Identität des jungen neutralen Staates. Endlich konnte Österreich nicht nur seine demokratische Reife, sondern zugleich den schnell erworbenen Wohlstand zur Schau stellen. Zugleich bekannte sich das neutrale Land eindeutig zum freien Westen. Auch die österreichischen Parteien waren direkt vom Konflikt betroffen: Die ÖVP betonte einmal mehr ihren strammen antikommunistischen Kurs, die sowjetfreundliche KPÖ sah sich mit Demonstrationen und Verwüstungen ihrer Parteilokale konfrontiert.
In Österreich selbst wollten nur die wenigsten Flüchtlinge bleiben: Rund 80 Prozent wanderten in den "richtigen Westen" weiter, allen voran in die USA, nach Kanada, Großbritannien oder Australien. Dieser Aspekt wird ebenso angesprochen wie die Rückkehr einiger Flüchtlinge nach Ungarn. Erst nach einer Säuberungswelle setzte sich dort ab 1963 der liberalere "Gulaschkommunismus" durch. Unter dem Motto "Wiener werden – Ungar bleiben" geht es schließlich noch um jene Ungarn, die hier ihre neue Heimat fanden. Die Integration gelang in vielen Fällen relativ rasch, ein spezifisch ungarisches Milieu existierte nur kurze Zeit. Für die zweite Generation der Ungarnflüchtlinge ist das Schicksalsjahr 1956 heute oft nur noch Familienmythos, der mit ambivalenten Gefühlen verbunden ist.

Kuratiert wurde die Ausstellung von den Zeithistorikern Béla Rásky, Peter Eppel (Wien Museum) und Werner Michael Schwarz (detto).


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Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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