Neue Texte - Part 27

posted by PP on 2006/05/31 22:55

[ Neue Texte ]

H|Soz|u|Kult publiziert dzt. erfreulich intensiv Texte, die sich mit Themen Ost(mittel)europas beschäftigen. Nach den hier, an dieser Stelle, dort und erneut da bereits angeführten ist nun hinzuweisen auf: Ausschnitt zu Schenk:
Der Begriff des "spatial turn", der seit einigen Jahren durch die Theoriedebatten in den Kultur- und Sozialwissenschaften geistert, ist in mehrfacher Hinsicht irreführend. Erstens suggeriert er, wie auch die anderen vergleichbaren Wendebezeichnungen wie z.B. der "linguistic", der "cultural" oder der "iconographic turn", dass sich HistorikerInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen oder SoziologInnen wie eine Gruppe Skifahrer verhalten, die den Berg der Erkenntnis im Gleichschwung mal links herum, mal rechts herum befahren und auf die eine Modewende zwangsläufig die nächste folgt. Der Begriff verschleiert, dass es meist nur wenige WissenschaftlerInnen sind, die versuchen, mit ihren neuen Fragen und methodischen Ansätzen bislang vernachlässigtes oder unbearbeitetes Terrain zu betreten während sich die meisten KollegInnen zunächst in skeptischer Zurückhaltung üben. Zweitens erweckt speziell der Begriff des "spatial turn" den Eindruck, als habe man sich in den Sozial- und Kulturwissenschaften in den vergangenen Jahrzehnten kaum mit räumlichen Fragen befasst und hole dies nun in der Folge einer neuen paradigmatischen Wende nach. Es stimmt zwar, dass die Vokabel "Raum" bis vor kurzem in der deutschsprachigen historischen Literatur eher gemieden denn erkenntnisleitend genutzt wurde. Gleiches gilt für bestimmte Zweige der englisch-sprachigen Sozialwissenwissenschaften. In beiden Bereichen dominierten bis vor kurzem – grosso modo – Erklärungsmuster und -modelle für historische und soziale Prozesse, die dem Faktor "Zeit" eine relativ große und dem Faktor "Raum" eine relativ kleine Rolle zumaßen. Blickt man jedoch auf Wissenschaftskulturen anderer Länder, z.B. nach Frankreich, so bietet sich ein ganz anderes Bild: Hier haben HistorikerInnen keine vergleichbaren Berührungsängste mit raumorientierten Nachbardisziplinen, wie z.B. der Geografie und die Traditionen der Schule der Annales wirken hier ungebrochen bis heute fort. Von einem umfassenden "Verlust" bzw. einer "Wiederkehr des Raumes" kann also in internationaler Perspektive keine Rede sein. Drittens schließlich erweckt der Begriff des "spatial turn" den Anschein, als gebe es eine Gruppe von überzeugten Raumtheoretikern, deren Interesse es ist, die gesamte scientific community auf ein neues Paradigma einzuschwören, dem nun alle wissenschaftliche Erkenntnis zu folgen habe. Dies ist – zumindest aus meiner Sicht – kaum der Fall. Den meisten WissenschaftlerInnen, die sich für eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Themengebiet "Raum" einsetzen, ist nicht an einer neuen Wende, sondern nur nach einer verstärkten Berücksichtigung eines vernachlässigten Aspektes kultureller und sozialer Prozesse gelegen.[...]
Wenn es gelänge, unser Wissen um die "Erfindung Osteuropas" in die Debatte um die Beschreibung Europas als Strukturraum und globale Geschichtsregion einzubringen, wäre das nicht nur für unser Fach, sondern auch für die europäische Geschichte ein großer Gewinn.




Ausschnitt zu Boyer:

Noch nicht lange zurück liegt der Medienskandal, den der Sohn des britischen Thronfolgers durch seinen Auftritt in Wehrmachtsuniform mit Hakenkreuzbinde ausgelöst hat. Als Reaktion hierauf hatten die EU-Justizminister in Brüssel über ein europaweites Verbot von Symbolen beraten, die "zu Haß und Gewalt aufrufen". Zwei Beobachtungen knüpfen sich an diese Begebenheit: zum einen forderten die Europaabgeordneten aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten ein analoges Verbot der Parteiinsignien des Kommunismus, von Hammer und Sichel. Schließlich seien die millionenfachen Morde unter Stalin und die Gewalt in Berlin 1953, Budapest 1956 und Prag 1968 eng mit ebendiesen verknüpft. Zum anderen reagierten die indischen Medien mit Besorgnis auf ein mögliches Verbot der Swastika in Europa. Im Hinduismus, ebenso wie im Buddhismus steht das Hakenkreuz nämlich für Güte und für das Gute. Buddha soll der Legende zufolge Fußspuren in Form der Swastika hinterlassen haben, und man heiratet in den großen asiatischen Religionen nach wie vor unter dem Hakenkreuz als gutem Omen für eine glückliche Zukunft. [...]
Wichtig ist: wo solche Verschränkungen von Politik und Lebenswelt in den Blick kommen, können wir uns wieder der oben skizzierten komparativen Versuchsanordnungen bedienen. Vieles erschließt sich ja gar nicht im Blick auf die Länder, sondern erst mit Fokus z.B. auf Regionen, Kommunen, auf die kleinen Welten. Die Fragen lauten jetzt: Wie werden, zum einen, unterschiedliche Mikromilieus im Osten bzw. Westen durch ein- und dieselbe Systemlogik, durch ein- und dasselbe Makromodell geformt? Und wie verhalten sich, zum anderen, ungefähr ähnliche Mikrokosmen in Ost und West unter verschiedenen Systembedingungen? Man könnte so die Straßenkarte auch auf der Mikroebene nachzeichnen: man könnte auch im kleinen Maßstab Westen und Osten im Hinblick auf ihre gemeinsame Europäizität in je spezifischen Konfigurationen komparativ verklammern.


Antworten

Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
> RSS Feed RSS 2.0 feed for Kakanien Revisited Blog Senior Editor

Calendar

Links