Bücher | Books - Part 59
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Was vor knapp zwei Monaten schon (inkl. Inhaltsverzeichnis) angekündigt wurde, gelangte nun auch tatsächlich zur Veröffentlichung:
Vom Zweck des Systems. Beiträge zur Geschichte literarischer Utopien. Hg. v. Árpád Bernáth, Endre Hárs u. Peter Plener. Tübingen: Francke 2006, 230 pp.
Den hier dokumentierten Analysen ist eine internationale Tagung vorausgegangen, die im Rahmen des Sonderprogramms zur Förderung des regionalen Wissenschaftsdialogs in Südosteuropa im Oktober 2003 in Szeged (Ungarn) mit freundlicher Unterstützung der Alexander von Humboldt-Stiftung in der Absicht organisiert wurde, den Teilnehmenden aus Bulgarien, Deutschland, Österreich, Rumänien und Ungarn - auch mit Blick auf die neue politische und kulturelle Situation Europas - ein weiteres Forum des Austausches über kulturspezifische Entwürfe zu eröffnen. Für die Veröffentlichung wurden darüber hinaus im Sinne einer Erweiterung der von den TagungsteilnehmerInnen vertretenen Forschungsrichtungen und Schwerpunkte weitere BeiträgerInnen eingeladen. Insgesamt werden in den Fallstudien und theoretischen Entwürfen - ohne den Anspruch einer erschöpfenden Systematik - nun mehrere Aspekte der Utopieforschung berührt:
Erstens wird die Frage gestellt, welche utopischen (bzw. dystopischen) Entwürfe die Epochengliederungen der Literaturgeschichte bestimmen, worauf derartige Ideen und ihre Umsetzungen rekurrieren bzw. welche Bezüge zwischen den Texten einerseits und deren Bezügen zu den Kontexten andererseits sich kenntlich machen lassen. Kontinuitäten lassen sich dieser Fragestellung zufolge auch als Abbrüche der verschiedenen Utopiekonzeptionen verhandeln.
Zweitens wird den beiden Antipoden Utopie und Dystopie, ihren wechselseitigen Bezugnahmen, Konzepten und Vorstellungen nachgegangen. Als Arbeitshypothese dient dabei die Beobachtung, dass weder die "klassischen" Utopien am Ende der Aufklärung bzw. Beginn der Klassik und Romantik an Bedeutung verloren und ihre poetologische Nachhaltigkeit (auch hinsichtlich der jeweils gegenwärtigen Rezeptionsweisen) eingebüßt haben, noch die Vielzahl der dystopischen Romane des 20. Jahrhunderts sich in bloßer Negativität erschöpft. Gleichwohl hinterlassen die Erfahrungen der Moderne, der Genozide, Diktaturen und der Weltkriege unübersehbare Spuren in der Literatur: "[...] das Menschenkind hat noch kein Zuhause", wie es Walter Benjamin in einer Rezension zu Hannah Arendt formuliert. Hier ist die Wirkungsmächtigkeit außerliterarischer Bedingungen - gerade im Kontrast zur Renaissance wie Aufklärung - präzise nachzuzeichnen.
Drittens wird in den Beiträgen jenen Überlegungen Raum gegeben, die die Fiktionalität und die innerliterarische Wertigkeit, aber auch die betreffs grundsätzlicher Aspekte der Existenz festzustellende Wertigkeit des Utopischen der Literatur an sich betreffen. Roland Barthes' "vielleicht perverse, also glückliche [...] Utopiefunktion" bekommt durch dystopische Konzeptionen zwar ihren Spiegel vorgehalten, erfährt jedoch keine Entwertung. Ganz im Gegenteil.
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Senior Editor
(Weitere Informationen hier)
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
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