Fundstücke | Finds - Part 14

posted by PP on 2005/08/04 15:45

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Wir sind keine Insel der Seligen, aber wir haben ein erfolgreiches Modell der Integration, und zwar schon seit 1913. Das hat mit der Integration Bosniens in die Monarchie zu tun; [...]
Wir schreiben 2005, es spricht der österreichische Bundeskanzler in der Info-Postille News.
Ohne hier den Lehrmeister spielen zu wollen oder zu dürfen - jedoch: War da nicht noch ein bisserl was?

Irgendwie kommen Zweifel auf, ob man nicht erwähnen sollte, dass es hier nicht um eine auch nur im Ansatz mit Integrationspolitik im heutigen Sinne vergleichbare Frage ging, sondern um militärische wie politische Interessen. Bereits 1878 erfolgte die militärische Okkupation, 1908 kam es zur Annexion, auch die 1881 neu geregelte Strukturierung der muslimischen Eliten geschah nicht unbedingt aus Gründen der "Integration" (cf. dazu neben dem Umstand, dass die Monarchie Migrationspolitik nur für die Eliten machte, UnterschichtenmigrantInnen aber Verfolgung ausgesetzt waren, so diese als unbequem eingestuft wurden, auch die Debatten rund ums damalige "Heimatrecht" oder die recht zwanglosen wie auch exekutierten Möglichkeiten der Ausweisung).

Diese en passant vorgenommenen Verklärungen (eines demokratisch legitimierten Regierungschefs gegenüber dem System der Habsburger-Monarchie), dieses "wir" des BK, dieses Übersehen von "Strafexpeditionen" der habsburgischen Militärmaschinerie mit tausenden Toten, ... "Im Jahr 2005 aus der Annexion mit vorangegangener Okkupation Bosniens so etwas wie eine Legitimation unserer Integrationspolitik herzuleiten, ist skurril", so die prompte Reaktion aus der SPÖ-Bundesgeschäftsführung (in der Austria Presse Agentur). Eigentlich ist das eine sehr höfliche Reaktion, zieht man etwa ins Kalkül, dass diese Expansionsbestrebungen der Monarchie dazu angetan waren, mit den 1. Weltkrieg auszulösen.

Vielleicht entnahm der BK die Weisheit des Jahres 1913 und der segensreichen österreichischen Integrationspolitik einem Beitrag (Otto Klambauers) des Kurier v. 02.08.2005, in dem es unter dem Titel "Vom rotweißroten Halbmond zur ersten Wiener Moschee" (die Fehlleistungen bleiben in der Folge unkommentiert) u.a. hieß:

Die Türkenkriege haben der Wiener Tradition viele kulturelle Anregungen aus dem Islam gebracht - an erster Stelle Kaffee und Kaffeehaus. [...] 1878 erhält die Habsburger-Monarchie am Berliner Kongress die "Erlaubnis", Bosnien-Herzegowina zu okkupieren. Erstmals kommen geschlossene islamische Gebiete unter österreichische Verwaltung - mit rund einer Million Moslems. 1908 wird Bosnien annektiert. Dazu wird es nötig, die Gesetzeslage anzupassen.
Bereits 1874 erkennt Österreich den Islam als Religion an. 1912 wird dies im "Islamgesetz" bekräftigt und verstärkt. Österreich ist damals führend in Europa, was die Beziehung zum Islam betrifft.
Bosnien spielt eine Sonderrolle bei der Europäisierung der Moslems.

Na dann ist ja eh alles bestens.




UPDATE nach Hinweis einer Kollegin:

Derart luzides Geschichtsverständnis wie oben angedeutet bewies der österr. BK bereits am 01.08. d.J. in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel (Hervorh. durch den Verf.):

Spiegel:Und das reicht, um den islamistischen Terror zu stoppen?
Schüssel: Die Mitarbeit der Islamischen Gemeinschaft ist entscheidend. Da haben wir übrigens uralte Erfahrungen. Seit 1908, als Bosnien in die k. u.k. Monarchie integriert wurde, ist die islamische Gemeinschaft anderen Religionsgruppen rechtlich gleichgestellt.
Nein, kein weiterer Kommentar. Nur eine Bitte: Kann mir jemand nochmals den Terminus "Integration" erklären? Vor soviel Historie wird man schon ganz wirr im Kopf.


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Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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