Postings mit Schlagwort "Walser" (2)
Kakanische Stimmen hören
Die sogenannten "stillen Tage" liegen heillos in sich verschränkt hinter uns und waren überstehbar. Ausgehend von einer Rezension Sascha Michels in der FR ("Mit dem Körper schreiben"), in der er von
Müller, Lothar: Die zweite Stimme. Vortragskunst von Goethe bis Kafka. Berlin: Wagenbach 2007, 157 pp. + CD
handelt, kommt die keineswegs Post-X-Mess taugliche Erinnerung an eine Darstellung von Max Brod dazwischen (diese findet sich in: Brod, Max: Kafka liest Walser. In: Über Robert Walser. Bd. 1. Hg. v. Katharina Kerr. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1978, p.85f.):
Ich erinnere mich, wie er Walsers Skizze Gebirgshallen mit ungeheurer Lustigkeit, ja geradezu saftig vortrug. Ich war allein mit ihm, aber er las wie vor einem Publikum von Hunderten. Er unterbrach manchmal: "Jetzt aber höre mal, was nun kommt." - Eine besondere Redewendung kostete er aus, es machte ihm Freude, sie oft zu wiederholen. [...] Hatte er nun das Werkchen auf Details hin vorgelesen, sagte er, am Ende angelangt: "Und jetzt höre einmal das Ganze." Nun las er ohne Unterbrechung. Er hatte dann Lust, noch ein drittes Mal anzufangen. Sah mich aber quasi bemitleidend an: "Nun hast du genug, nicht wahr?"
Franz Kafka las somit Brod (offen bleibt, ob er genug hatte) zufolge Robert Walsers kongeniale "Gebirgshallen", die in Ausschnitten u.a. wie folgt sich darstellen:
Literatur | -e - Part 47
Heute vor 50 Jahren machte sich Robert Walser (1878–1956), einer der wichtigsten deutschsprachigen Schriftsteller, von der Heilanstalt Herisau aus alleine auf einen Weihnachtsspaziergang, von dem er nicht mehr zurückkam.
Immer wieder scheinen bei ihm Sätze von der eingeschlagenen Richtung abzukommen, blitzen Wörter auf, die von einander losgelöst unterschiedliche Assoziationen auslösen imstande sind (wobei die Textebenen eine höchst präzise Führung aufweisen). Textuelle Interferenzen treten auf, die "passieren" und scheinbar nicht beabsichtigt sind, dennoch in einem engen Zusammenhang miteinander stehen. Reinhard Lettau hat hinsichtlich ähnlicher Verfahrensweisen bei einem der literarischen und oft auch so herbeizitierten "Verwandten" Walsers, einem seiner Bewunderer, bei Franz Kafka, auf die Wirkung derart transportierter Unsicherheiten verwiesen: "Die prüfende Wahrnehmung korrigiert in Fällen, in denen sie mit der erinnerten Wahrnehmung nicht übereinstimmt [...], diese [...] nicht hinweg, sondern läßt sie dissonierend bestehen."
Senior Editor
(Weitere Informationen hier)
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]