Medien | Media - Part 18

posted by PP on 2005/12/01 05:25

[ Medien | Media ]

Wie vor kurzem schon angeführt und aktuell auch im Newsletter +51 [.pdf] vorgestellt, findet von heute bis Samstag der zweite Workshop unserer Emergenzen-Reihe in Budapest statt:

Emergenzen am Rande // Medienkonfigurationen 1900/2000 [Programm im .pdf]

Einige der Vortragenden haben sich sogar schon...
 

... imstande gesehen, Abstracts bzw. erweiternde Hinweise, Links und ähnlich zweckführende Annotationen zu ihren Beiträgen online zu stellen, so etwa:

Mein eigener Vortrag, ohne Rücksicht auf stilistische Verluste mit einem von Douglas Adams geklauten Titel - Per Gutenberg durch die Turing-Galaxis - versehen, wird im Wesentlichen dreigeteilt sein (so zumindest die augenblickliche "Planung"):

  1. Kittlers "Nacht der Substanz"
  2. Arno Schmidts Zettelkästen
  3. Data Retention und Rauschen

 

Aufgespannt wird dieser Entwurf zwischen (wie könnte es bei einer allmählichen Verfertigung der Gedanken sehr viel anders sein?) Kleists "Der Griffel Gottes":

In Polen war eine Gräfin von P..., eine bejahrte Dame, die ein sehr bösartiges Leben führte, und besonders ihre Untergebenen, durch ihren Geiz und ihre Grausamkeit, bis auf das Blut quälte. Diese Dame, als sie starb, vermachte einem Kloster, das ihr die Absolution erteilt hatte, ihr Vermögen; wofür ihr das Kloster, auf dem Gottesacker, einen kostbaren, aus Erz gegossenen, Leichenstein setzen ließ, auf welchem dieses Umstandes, mit vielem Gepränge, Erwähnung geschehen war. Tags darauf schlug der Blitz, das Erz schmelzend, über den Leichenstein ein, und ließ nichts, als eine Anzahl von Buchstaben stehen, die, zusammen gelesen, also lauteten: sie ist gerichtet! – Der Vorfall (die Schriftgelehrten mögen ihn erklären) ist gegründet; der Leichenstein existiert noch, und es leben Männer in dieser Stadt, die ihn samt der besagten Inschrift gesehen.
(Heinrich von Kleist: Der Griffel Gottes. Berliner Abendblätter Nr. 5 v. 05.10.1810)

und einem Zitat, das Marshall Mc Luhan zu Beginn von "Understanding Media" heranzieht:

James Reston wrote in The New York Times (July 7, 1957):
A health director . . . reported this week that a small mouse, which presumably had been watching television, attacked a little girl and her fullgrown cat . . . Both mouse and cat survived, and the incident is recorded here as a reminder that things seem to be changing.
(In: Marshall McLuhan: Understanding Media. The Extensions of Man. 1964)

 

Zwischendurch soll kurz, entgegen Kittlers (natürlich rhetorisch wohlgezielter) scheinbar möglicher Flappsigkeit beim Zitat darauf verwiesen werden, woher das von ihm eingangs seines Vortrags/Textes/Buches "Die Nacht der Substanz" erwähnte "King Crimson"-Album "Starless and Bibleblack" seinen Titel bezieht (ohne dass er dies anführen dürfte): von Dylan Thomas' "Under Milk Wood":

It is Spring, moonless night in the small town, starless and bibleblack, the cobblestreets silent and the hunched, courters’-and-rabbits’ wood limping invisible down to the sloeblack, slow, black, crowblack, fishingboat-bobbing sea. [...] And all the people of the lulled and dumbfound town are sleeping now.
(Dylan Thomas: Under Milk Wood. A Play for Voices [Original: The Town that was Mad.] 1953/54)

Das geht natürlich schwerlich mit Kittlers Bemühen zusammen, im Rahmen seiner Überlegungen die Nächte in jene des unablässigen Datenstroms überzuführen. So eine These; latent gegen einen (teleo?)logischen Technikdeterminismus gewendet (und dabei, das wird ein wenig schwierig, dessen Optionen und Relevanzen nicht missachtend). Denn die Literatur zeigt sich überaus hartnäckig in diesen Zusammenhängen. Philosophie und Denken sträuben sich, wie Uwe Jochum und Gerhard Wagner unter Verweis auf Hans Blumenberg in "Cyberscience oder Vom Nutzen und Nachteil der neuen Informationstechnologie für die Wissenschaft" ausführen:

Nun ist aber gerade ein solcher Tempogewinn für die Wissenschaft ein zweifelhaftes Ideal. Hans Blumenberg hat vor Jahren darauf hingewiesen, daß die populäre Vorstellung, Denken sei "die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten", "zwischen einem Problem und seiner Lösung, zwischen dem Bedürfnis und seiner Befriedigung", eine Generalisierung des biologischen Reiz-Reaktions-Schemas und Motor einer Ökonomie ist, die ausschließlich auf Zwecke abstellt. Demgegenüber zeichnet sich Wissenschaft gerade dadurch aus, daß es ihr gelingt, diese Ökonomie zu suspendieren. [...] Nachdenklichkeit wird von Wissenschaftlern sogar mehr oder weniger bewußt inszeniert. So wird etwa in dem für Geistesarbeiter typischen Ritual des Rauchens ein Aufschub erreicht, der das bereits Gedachte noch einmal gründlich zu überlegen erlaubt. [...] Ebensolche Gnadenfristen gewähren auch jene Schreibinstrumente, deren Absatz mit der Zahl der verkauften Personalcomputer kontinuierlich wächst: die Füllfederhalter.
(Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 43)

Anders, konkreter und vielleicht weniger sich wie das Foucault'sche Gesicht am Meeresufer im Sand verlierend:

Mensch zu sein, hieß schon immer, durch die symbolischen Strukturen, das Unbewußte, die Technik und die Ökonomie konstituiert und formiert, wenn auch nicht monokausal ausdeterminiert zu sein. Das "menschliche Wesen" war immer schon nur in Relationen faßbar, die dieses "Wesen" irreduzibel mit der Spur seines Anderen versehren. Was sich historisch wandelt, sind die komplexen Netze, die "Kräfteverhältnisse" (Deleuze), in denen sich dies ereignet.
Jens Schröter: Der König ist tot, es lebe der König. Zum Phantasma eines technologischen Subjekts der Geschichte

 

Ein letztes Zitat noch, aus dem eigenen Zettelkasten und immerhin von einem Ungarn:

Das größte Mißverhältnis in alle Bewegungen hat die Maschine gebracht. Dadurch, daß sie das Bewegende beliebig zusammenschrumpfen ließ, oder gar unsichtbar machte, bewirkte sie eine völlige Anarchie unserer eingepflanzten Proportionalforderungen. Früher erlebte man nur Proportionen, die organische Möglichkeiten ausdrückten, erlebte daher sozusagen immerfort eine Proportion.
(Leó Popper: Zur Ästhetik des Aeroplans)

Und der Zettelkasten Arno Schmidts (cf. Abbildung unten, zu finden auf der Website der Arno-Schmidt-Stiftung und v. Friedrich Forssmann fotografiert), der wird lediglich, denn mehr kann es nicht sein wollen, zum Vazieren geöffnet, für den anderen Gedankenstrom, der ein solcher bleibt und sich nicht und nicht den Datenbanken und deren hierarchischen Verfügungsgewalten einordnen lässt. Die nächsten Schritte der öffentlichen Verwaltungen im Sinne der Data Retention werden, was sich anhand der Literaturen paradigmatisch zeigen lassen könnte, mit der Nicht-Homogenisierbarkeit, der Eigenwilligkeit der "Daten", dem Rauschen zwischen den Spalten und in den Kanälen, gröbere Hürden als nur die Frage passender Datenmigration erfahren.

 

 


 

 

http://www.kakanien.ac.at/static/files/30175/zettelkasten.gif

 


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Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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