Druck, Diktat und keine Gewissheit
[ Erinnerung | Memory ]
Wie vor knapp eineinhalb Jahren h.o. bereits angemerkt wurde, ist hinsichtlich der früheren Geheimdienstmitarbeiter ehemals sozialistischer Bürokratiesysteme noch viel zu wenig geklärt, ist die Frage einer adäquaten Aufarbeitung der Vergangenheit noch keineswegs zu all den vielen unaufgearbeiteten Akten zu legen. Andrea Corbea-Hoisie hat sich nun zu einer öffentlichen Stellungnahme entschlossen, die Beachtung verdient. Näheres im Beitrag "Unter Druck und Diktat" für die NZZ.
In Markus Bauers ausgesprochen lesenswertem Artikel heißt es u.a.:
In einer im angesehenen Bukarester «Observator Cultural» veröffentlichten Entgegnung führt er aus, dass es der Mangel an Kraft für «zermürbende und äusserst kostspielige Prozesse» und «eine noch rücksichtslosere Aggression der Medien» gewesen seien, die ihn davon abhielten, gegen den aus seiner Sicht «willkürlichen und unberechtigten» Entscheid der CNSAS vorzugehen. Herta Müller und Richard Wagner hält er weniger «die Heftigkeit ihrer Diktion mir gegenüber» vor, als dass er in ihren «Artikeln sowohl den Rufmord wie auch die unmissverständliche Forderung des Berufs- und Publikationsverbots» herausliest, da er eine Einschüchterung möglicher deutscher Partner befürchtet, was eine Zusammenarbeit mit ihnen ausschliessen würde.
Im Kern widerspricht Hoisie den Vorwürfen: «Ich habe mich nie verpflichtet, für die <politische Polizei> zu arbeiten. Als ich bei der CNSAS verlangte, meine persönliche Akte zur Einsicht zu bekommen, wurde mir geantwortet, dass es eine solche nicht gebe. Ich erhielt ein paar Notizen von Offizieren und die wenigen <Texte> – von denen ich zwei durchaus bereue –, die ich unter schwerem psychischem Druck und fast nach Diktat schreiben musste und die mit einem ebenso fremden Namen signiert sind.»
Hoisie gesteht die «schnell zum Albtraum gewordene und aus heutiger Sicht unverzeihliche Schwäche, einmal das Gespräch mit einem Boten der <Institution> akzeptiert zu haben». Er bestreitet aber, «dass ich die Oppositionellen, mit deren hartem <Kern> ich allerdings keine privaten Beziehungen unterhielt, <bespitzelt> habe; wahr ist dagegen, dass ich mich in der Redaktion einer kleinen studentischen Zeitschrift, die ich damals betreute und von der ich Anfang 1989 entfernt wurde, ständig und konsequent bemühte, im Kampf mit der Parteizensur für ihre Unbotmässigkeit bekannte Autoren aus diesem Kreis und aus dem ganzen Lande zu veröffentlichen». Das moralische Argument, das Hoisie anführt, besteht in der Frage, «ob jemals eine vermeintliche <Sünde> von dem geleisteten, von der Gesellschaft anerkannten <Guten> nicht doch ausgeglichen werden kann».
Richard Wagner lehnt eine Kommentierung dieser Entgegnung ab, da sie nichts Neues bringe. Die ersten Ansätze zum historischen Verständnis des Phänomens «Securitate-Mitarbeit» im intellektuellen Milieu von Iasi in den achtziger Jahren sind wohl nur bei weiterer Akteneinsicht und einer fortschreitenden Diskussion in der rumänischen Gesellschaft über die Bedingungen moralischer Differenzierung zu erwarten.
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Senior Editor
(Weitere Informationen hier)
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
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