Schockstarrer Verbalkonter

posted by NP on 2008/06/12 22:44

[ Sport | -s ]

Es gibt genau zwei Weisen, auf das eben Gesehen zu reagieren: schweigende Schockstarre oder sofortiger Verbalkonter. Da Kommunikationsmedien im allgemeinen und der Internetblog im besonderen sich etwas sperrig gegen die erste Option verhalten, seien hier umgehend die zehn entscheidenden Fragen aufgeworfen: 

1. Warum spielt das Team, dessen Trainerstab die Wortprägung 'Vertikalpaß' patentiert hat, 90 Minuten lang nur quer?
2. Warum läßt man nach zumindest 60 Minuten erstklassigem Pressing gegen Polen nun ein ganzes Spiel lang alle 11 Kroaten ohne Gegenwehr durchs Mittelfeld und vor allem über die Flügel spazieren?
3. Warum darf Marcel Janssen Abwehr spielen?
4. Warum vergißt Michael Ballack die Kapitänsbinde in der Kabine?
5. Warum spielt Michael Ballack so viele Fehlpässe in einem Spiel?
6. Wer ist eigentlich Mario Gomez?
7. Wie kann es sein, daß eine Mannschaft den Schwung des Anschlußtreffers nicht zum sprichwörtlichen Ruck nutzt, sondern einfach so weiterspielt wie vorher, nämlich gar nicht?
8. Wie kann man gegen ein so durchschnittliches und obendrein behäbiges Team wie Kroatien verlieren?

Gut, das waren jetzt nur acht Fragen, aber ein bißchen Schockstarre darf ja wohl noch sein. So was habe ich wirklich noch nicht gesehen, und das hat auch nichts mit dem 0:3 gegen Kroatien vor 10 Jahren mit dem Buhmann Wörns zu tun. Zu tun hat es damit, daß außer in Ansätzen Klose und Lahm sowie den halbwegs zuverlässigen Metzelder und Lehmann niemand im weißen Hemd Fußball gespielt hat heute, nicht einmal, horribile dictu, unsere vielgelobte Doppelsechs. The Horror, the Horror.

Insofern, werter Kollege Plener, streichen wir Deutschland mal rasch aus der Favoritenliste, denn selbst wenn es zu einem Sieg gegen Österreich reichen sollten, harren bei Platz 2 in der Gruppe die Portugiesen im Viertelfinale. Ich steh dann schon mal auf und mach das Licht aus ...

Und was das bedrückenste ist: An jedem anderen Tag hätte ich, nach wie vor werter Kollege Plener, Ihre so subtilen wie prägnanten Invektive gegen den Spektakelneid der Kunst  mit übervollem Herzen embraced, wie der Engländer gesagt hätte (wenn er was sagen dürfte bei dieser EM ) und noch einen draufgesetzt, und draufgetreten, und den Deckel zugemacht. Aber nach dem, was ich grade gesehen habe, frag ich mich, ob ich nicht mal wieder ins Theater gehen sollte ...

Und SO WEIT darf es nicht kommen.

Schockstarre, jetzt.

Und den Österreichern gleich alles Gute.

 


Antworten

01 by PP at 2008/06/13 11:18 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten
4 replies (click to show/hide)

Der Anfrage/n will ich mich nicht verschließen, wenngleich ich noch mehr an Fragen hätte, die sich ganz simpel in einer zusammenfassen lassen: Wieso hat Österreich bisher nur einen Punkt und nicht sechs? Den Deutschen kann man wohl viel Vergnügen im Viertelfinale wünschen (aber bis dahin werden wir diese Thematik noch hinreichend besprechen), denn wenn eine Mannschaft zwei Spiele - die gegen Kroatien und Polen - derart nicht gewinnt, wenn also trotz teils drückender Überlegenheit Chancen nicht verwertet werden und Möglichkeiten im Ansatz noch nicht mal erkannt werden, dann dürfte gegen Deutschland kaum Land in Sicht sein. Geschweige denn der Torraum hinter Herrn Lehmann. Selbstverständlich werden die nächsten Tage damit vergehen, dass wir den Übermut der Sekunde nützen und "Wien wird Cordoba - Scha-la-la-la-la!" sowie "Schade, Deutschland, alles ist vorbei!" intonieren; doch dies passiert im steten Bewusstsein um die wahren Kräfteverhältnisse (und somit genau deshalb). Wirklich originell wäre ja: ein naturgemäß knapper Sieg Österreichs gegen Deutschland, während Polen das kroatische Team mit 3:0 paniert. Denn dann, Damen und Herren, reisen die Polen in die Schweiz, die Kroaten bleiben in Wien, die Deutschen fahren auf Mallorca/Ibiza und die Österreicher schaffens vielleicht noch bis Caorle/Rimini/Jesolo/Bibione/Cesenatico. Wo wir möglicherweise auf die (ok, warten wir den heutigen Abend ab, dennoch:) Italiener treffen und in einer ausgefliesten, dafür schummrig gehaltenen "Pizzeria Mare" die Koalition der Verlierer bilden.

Das mit dem Theater, werter Herr Kollege, würde ich jedoch als Verhaltensmaßnahme streichen. Soweit darf und wird es nun wirklich nicht kommen. Dringende Empfehlung für den Sommer: Thomas Pynchons "Gegen den Tag" (darauf wird nach der EM näher eingegangen). Dann wirds einem gleich ganz anders ums Herz...

01 by NP at 2008/06/13 12:40 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten

Das mit dem Theater hat sich beruhigenderweise angesichts der österreichischen Tragikkomödie gleich wieder erledigt, denn anders kann ich mir das in irgendwelchen Volkstheaterstücken auch nicht vorstellen: Der sympathische Tolpatsch berennt ungestüm die Angebetene, sieht vor lauter Pfosten das Tor nicht mehr, bekommt, als er sich unter dem anhaltenden Applaus seiner treuen Freunde auf der Woge des Erfolgs wähnt, einen üblen Stich durch den Nebenbuhler versetzt, beklagt sich noch jämmerlich, wie ungerecht (und übrigens Abseits) das alles sei, und wird, als alle schon die Hoffnung fahren lassen, ganz am Ende und ein wenig ex machina doch noch beschenkt. Aber recht so: So haben wir am Montag ein veritables Endspiel, und ich verteile schonmal die Hauaufgaben zur Vorbereitung:
1. Bitte noch einmal des ersten Torschützen für Österreich beim 2:0 gegen Reichsdeutschland beim letzten Länderspiel 1938 gedenken.
2. Bitte alle Torschützen beim 6:1 im Halbfinale 1954 auswendig lernen.
3. Bitte Berti Vogts nochmal zu seinem wunderbaren Eigentor 1978 gratulieren.'
4. Bitte nicht immer vergessen, daß 1981 ein gewisser Pierre Littbarski sein Debut gegen Österreich mit 2 Toren feierte.
5. Bitte dann noch einen Anruf zu tätige, und zwar bei Eberhard Stanjek für seine dem unwürdigen Spiel würdige Gjon-Kommentierung von 1982.
6. Bitte in diese Serie der deutsch-österreichischen Begegnungen auch einmal das zu unrecht vergessene Einweihungsspiel des Ernst Happel-Stadions 1985 mit dem dreifachen Toni integrieren.
7. Bitte einmal fragen warum dann bis zu Klinsmanns Amtsantritt 2004 (Kuranyi, Kuranyi, Kuranyi) Deutschland und Österreich zumindest gefühlt nicht mehr gegeneinander gespielt haben?
8. Und nun: Ihre Tips für Montag bitte!

01 by PP at 2008/06/13 13:03 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten

Nur rasch seis der guten Ordnung halber vermerkt - mehr dazu gerne wie später: Es war der 29.10.1986, als Herr Völler (zur Pause wars noch 0:0 gestanden!) zwar zweimal fürs deutsche Team, jedoch die Herren Polster und Kienast - der Onkel des aktuellen A-Team-Spielers Roman K. - (ebenfalls "Doppelpacks") viermal fürs österreichische netzten. Und am 3. April 1938, beim Match "Ostmark" gegen "Altreich" verwandelte zunächst Sindelar und anschließend tat es ihm Sesta gleich, was letztlich auf ein in den Annalen des ÖFB nicht geführtes 2:0 hinauslief.

Und - wenngleich ebenfalls hastig - noch der Hinweis auf eine aktuelle Rezension des Pynchon-Romans durch Erich Klein, geschrieben für den Falter.

01 by NP at 2008/06/13 16:57 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten

Echt? Ich hätte schwören können, daß das ein 4:1 war und Toni Polster dreimal getroffen hat, das letzte Mal per Elfmeter. Aber egal: Das Prinzip dieses Blog muß ja darin bestehen, aus dem Kopf zu zitieren, deshalb kann so etwas schon mal passieren.

Und ist Pynchon nicht auch ein wenig kulturverdächtig in diesen Tagen? Das schaff ich frühestens nach der EM ...

01 by PP at 2008/06/13 17:06 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten

Pynchon (die Sommergrippe half entscheidend weiter...) ist natürlich schwerst unter Kulturverdacht zu stellen, aber eben genau deswegen einzubringen, usw. etc. ff.

Das mit dem Polster-Elfer könnte der endgültigen Torversion übrigens tatsächlich sehr nahe kommen, ich meine mich nämlich zu erinnern, dass er sogar deren zwei in die Maschen setzte. Aber das ist schon mal folgsam ganz ungeprüft. Das Datum selber war hingegen einfach, denn soweit ich mich erinnern kann, gabs außer dem 21.6.1978 und eben diesem (Freundschaftsspiel, ha!) keine weiteren ballestrischen Erfolge Österreichs gegen die vormals BRD und dann eben Deutschland.

Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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