Balkan | -s - Part 57

posted by PP on 2006/11/06 11:42

[ Balkan | -s ]

Lidija Klasic schreibt heute in der NZZ über ihre Erinnerungen an das Ende Jugoslawiens, das formal vor etwas mehr als 15 Jahren mit der Unabhängigkeitserklärung von Slowenien und Kroatien seinen Lauf nahm - und offensichtlich auch in Jugoslawien selbst in seiner Tragweite relativ schwer zu erkennen war. Aus ihrer Sicht brachte v.a. auch die "Systemblockade" jenen einen Punkt, von dem aus sich der nationalistische Furor entzünden konnte:
 

Die Politik ihrerseits verlor allmählich die Kontrolle über die immer offener sich äussernde Gesellschaft. Die Routine der jährlichen Ablösung des "Präsidenten der Republik" - von Tito erdacht, um die Hegemonie einer einzigen Republik in der Föderation zu vermeiden - verhinderte in Wirklichkeit die Übernahme von Verantwortung. Das System blockierte sich selbst. Ab 1982 stand erstmals eine Frau an der Spitze der jugoslawischen Regierung, Milka Planinc im kroatischen Turnus, die wirtschaftlichen Probleme begannen sich zu häufen.
Die ökonomische Krise war das Thema der achtziger Jahre, das Geld verlor an Wert, die Gehälter fielen - noch ohne grosse Auswirkungen auf den Lebensstandard. Wir nahmen Kredite auf, kauften mit Checks auf Raten, und die Inflation machte in kürzester Zeit die Schulden unsichtbar. Noch gab es Geld. Ausländische Währungen kauften wir zwar "schwarz", zahlten sie dann jedoch ganz legal auf unsere Bankkonten ein - vielleicht die banalste der Dualitäten unseres Lebens im Sozialismus.
Manchmal gab es in den Geschäften tagelang keine Milch und keinen Kaffee zu kaufen, Bananen waren nur an privaten Kiosks zu finden, welche Kosovo-Albaner auf den Märkten von Zagreb betrieben. Für Waschpulver musste man in langen Reihen anstehen. Anstatt in Protesten entlud sich die kollektive Frustration in Witzen. Am Ende ging auch das Benzin aus, man durfte das Auto nur jeden zweiten Tag benutzen. Doch auch das hielt uns nicht davon ab, auf einen Kaffee nach Graz oder zum Einkaufen nach Triest zu fahren. Die Jugoslawen liessen in diesen Jahren in den Geschäften an der italienischen und österreichischen Grenze Millionen von Dollars liegen. Ein armer Staat von reichen Individuen - noch ein Widerspruch, den wir nicht beachteten.

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01 by TM at 2006/11/06 20:29 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten
Ja, es war einmal... It was exactly as it is said in the article by Lidija Klasić, exactly like that - with no gas, with permission to drive the car on Monday, Wednesday, Friday, and Sunday if the last number is even; with salaries in millions, billions, but enough for only a pair of stockings, etc. - and it is
hard to believe even for us who passed through this bizzare nightmare it was possible at all - in Europe, in the 20th century. But it was, and, moreover, with majority of people´s blind adoration of so-called socialists, for their President (including the Wife too, because they were always One), with insane determination to follow Der Führer, who was claiming that the proud (of course, special Serbian proud) is more important than life (there was also a famous slogan "we can rather eat roots of the plants than betray our national proud")... Sometimes, deep suffering in all respects (in this case, mainly from
unbearable humiliation), results in strong spirit, ability to face with all possible problems, and the best sense of humour one can imagine. But sometimes it is a destroying force, leaving no possibility for recovering and go on. Who survived and stayed more or less healthy (I mean, mentally healthy) can be called a real winner, but majority of the winners, brilliant minds, left the
country (if not at the first possible moment, then after Djindjic's
assassination), and again the country is left to the "socialist" and their patrons, bystanders, even partners in some cases. We can only hope they won't produce the same dark memories. The good ones - belive it or not, there were happy ones too - we will always keep with us.

Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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