Ungarn | Hungary - Part 23
[ Ungarn | Hungary ]
Dem ungarischen Premierminister Ferenc Gyurcsány reicht es sichtlich (bisherige Blogs: 1, 2): Laut Agenturmeldungen empfiehlt er, die
Demonstrationen in Budapest weiterhin - wie von verschiedenen Kräften empfohlen - nicht als Wahlveranstaltungen einzustufen. (Damit hätte die Polizei das Recht, derartige Kundgebungen
aufzulösen. Wahlveranstaltungen wären angesichts der Kommunalwahlen am 1. Oktober nicht genehmigungspflichtig.) Eine diesbezügliche Entscheidung macht er jedoch von den anderen Parlamentsparteien abhängig (und wie die FIDESZ das sieht, kann man sich vorstellen). Nach Ansicht des Regierungschefs war die vergangene die "längste und dunkelste Nacht" in der Geschichte der dritten ungarischen Republik.
"Wir haben mit angesehen, wie aus einer friedlich beginnenden Demonstration eine gemeine Straftat wird", sagte er am Dienstag nach der Sitzung des Kabinetts für Nationale Sicherheit. Er werde der Polizei alle Mittel zur Verfügung stellen, damit "ähnliche Ereignisse wie vergangene Nacht nicht noch einmal geschehen".
Angesichts dessen, dass die Rechten hier eindeutig den Mob auf die Straße stellen und semifaschistoide Methoden einsetzen, um neuwahlen zu erzwingen, ist die Reaktion, sehr freundlich formuliert, höchst moderat. Gyurcsány betonte im Sinne einer Kritik lediglich, dass Demokraten nicht in das
öffentlich-rechtliche Fernsehen einbrechen, nicht randalieren und nicht stehlen würden (was nun so neu nicht ist). Wer Polizisten angreife, sei kein Demokrat, sondern ein gemeiner Straftäter, so der Regierungschef laut ungarischer Nachrichtenagentur MTI in seiner (an sich berechtigten) Reklamation des staatlichen gewaltmonopols gegenüber derartigen Umsturzfantasien. In der Nacht auf Dienstag hatten
sich bekanntlich gewalttätige Demonstranten mehrstündige Straßenschlachten mit der Polizei geliefert und schließlich das Gebäude des ungarischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks angegriffen, teilweise sogar besetzt.
Die Polizei hatte viel zuwenig Kräfte für diesen Sturm abgestellt, war überrascht worden und konnte nur höchst notdürftig versuchen, nicht völlig einzubrechen. Der Premier bezeichnete dies folgerichtig als Niederlage, meinte aber auch, dass man der Polizei jede Hilfe leisten zukommen lassen müsse, damit sie ihre Aufgaben erfüllen könne.
Hinsichtlich der Frage nach seine persönlichen Verantwortung betonte Gyurcsány (und da wandelt er nun an der Grenze zu den offensichtlich notwendig erscheinenden Phrasen), dass auf der gesamten ungarischen Politik eine "umfassende und breite Verantwortung" laste, und auch er davon betroffen sei. "Ich will mich dieser Verantwortung nicht entziehen. Und
diese Verantwortung verpflichtet zu Veränderungen." Mit den politischen Lügen und Halbwahrheiten der vergangenen 15 Jahre (also seit 1991? - und welche genau meint er?) müsse gebrochen werden. Aus der Verantwortung ergebe sich der Zwang zur Veränderung. "Ich habe so gehandelt und möchte, dass auch andere das Gleiche tun." Also fort mit den Lügen, hin zur neuen Deftigkeit oder so. Ludwig Greven fand das in der Zeit ja schon gar nicht mal so schlecht.
UPDATE: Ein Kommentar aus der Süddeutschen - Gelogen, gesiegt, gestanden (Im Kommentar ist online eine Bilderstrecke eingebettet, aus der untenstehendes Foto stammt).
1 Attachment(s)
< previous Posting next >
<< previous Topic next >>
Senior Editor

(Weitere Informationen hier)

[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]


Antworten