Bücher | Books - Part 96

posted by PP on 2006/08/14 12:16

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Offensichtlich ist es dem Autor gelungen, in zwei sehr unterschiedlichen kulturellen Phänomenen – der Beichte und der Selbstkritik - ein "gemeinsames Drittes" aufzuzeigen, welches durchaus dazu anregen kann, über die Beschaffenheit eigener wie fremder Kulturen nachzudenken. Es handelt sich um ein gut lesbares Buch - Unfrieds Formulierungen erreichen mitunter feuilletonistische Eleganz, ohne an Ernsthaftigkeit einzubüßen.
Lorenz Errens mit einigen Abstrichen positiv ausgefallene Rezension handelt von einer Wiener Habilitation:
Berthold Unfried: "Ich bekenne". Katholische Beichte und sowjetische Selbstkritik. Frankfurt/M.: Campus 2006, 420 pp.
[ISBN 3-593-37869-8; EUR 45,-]
Auszüge:
Die Gegenüberstellung kommunistischer und katholischer Praktiken mag auf den ersten Blick plakativ wirken, doch glücklicherweise verzichtet der Autor auf vordergründige Parallelisierungen. Weder möchte er "frappierende Ähnlichkeiten" aufzeigen noch heimliche Traditionslinien nachweisen, sondern vielmehr auf dem Wege der Untersuchung der Rede des Einzelnen über sich selbst, insbesondere der "Selbstthematisierung anhand von Fehlerthematisierung", herausfinden, was die jeweilige Gesellschaft "im Innersten zusammenhielt" (359). In Anlehnung an Foucault und eine moderne konstruktivistische Anthropologie unterscheidet Unfried sorgfältig zwischen "Selbst", "Subjekt" und "Individuum". [...]
Doch zur Erforschung jener politischen Ratio, die solche und andere "Techniken" [Subjektivierungstechniken, die "direkte Begegnung des atomisierten Einzelmenschen mit den übermächtigen Großinstitutionen"; Anm.] operativ zur Anwendung brachte, kann die gewählte Fragestellung nur wenig Anreiz bieten. Das konsequente Festhalten Unfrieds an seinem Konzept überrascht umso mehr, als er dessen wichtigste Prämissen gar nicht zu teilen scheint. Im Gegensatz zu hartgesottenen Konstruktivisten besteht er ja keineswegs darauf, dass die "Subjekte" die von ihnen akzeptierten Identitätsangebote auch vollauf verinnerlicht hätten bzw. mit jenen "verschmolzen" seien – vielmehr billigt er ihnen zu, dass sie bald nur noch auf die Wahrung der "äußeren Form" geachtet hätten. Daher wird nicht recht verständlich, weshalb Unfried stereotypen "Ego-Texten" eine so viel intensivere Beachtung schenkt als allen anderen biographischen Aspekten, die uns über die Sozialisierung, die charakterliche Entwicklung und das Verhalten der Akteure etwas mitteilen könnten. Oder können wir über die Sozialisierung, die innere Entwicklung und das Verhalten österreichischer Emigranten wirklich nichts Interessanteres herausfinden, als dass sie dem extremen Druck nachgegeben und sich stalinistischen Normen äußerlich angepasst haben?

Antworten

Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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