Sport | -s - Part 11
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Zwei der schönsten Fußballbücher überhaupt sind erschienen, beide von ungarischen Autoren. Schätzungen zufolge kommen heuer - angeblich zweckgebunden - um die 500 Neuerscheinungen auf den Markt. Aber die Prognose sei gewagt: Kaum ein anderes wird den beiden zu nennenden einen Spitzenplatz streitig machen können:
Peter Esterházy: Deutschlandreise im Strafraum. Aus d. Ungar. v. György Buda. Berlin: Berlin Verlag 2006, 185 pp.
Die Zusammenstellung zahlreicher Texte Esterházys (cf. auch Gottvaters Marginalien; ein, zwei Zitate weiter unten) bringt manche Wiederholungen mit sich, dennoch sind diese niemals langweilig, handelt es sich doch bei genauerer Betrachtung um je diffizile Verschiebungen. Und die v.a. auf literarischem Feld allemal vertretbare These, dass 1954 Ungarn Weltmeister geworden wäre und daraus sich Zukunftsperspektiven [!] ableiten ließen, verbindet ihn - neben anderen Leidenschaften – mit dem noch gelungeren Band
László Darvasi: Wenn ein Mittelstürmer träumt. Meine Weltgeschichte des Fußballs. Aus d. Ungar. v. László Kornitzer. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2006, 184 pp.
Zitat aus Darvasis "Wenn ein Mittelstürmer träumt":
Michael Parkinson, Sportreporter des Jahres, stellt im Daily Telegraph Betrachtungen an, wonach sich die Heldenepoche des Fußballs noch auf Legenden von dessen Schönheit stützte. Der heutigen Generation bleibe es aber verwehrt, die Geschichten auszuschmücken. Heute könne man eine ungewöhnliche Variante oder ein herrliches Tor jederzeit nachprüfen, da es Videoaufnahmen gibt. Ausschmücken ist nicht mehr möglich.
Der Zauber der Legende und der mündlichen Überlieferung stirbt.
Dies trefflichst zu widerlegen ist eines der Verdienste dieses Buches.
Auf beide Bände wird noch öfter zurückzukommen sein. Peter H. sei einstweilen aus Darvasis Buch die kurze Erzählung "Ein Fußballplatz bei Srebrenica" (p. 56f.) empfohlen.
Gleichfalls auf Politik und Fußball, genauer auf Fußball im Nationalsozialismus: Kultur – Künste – Medien bezogen, findet sich auf H|Soz|u|Kult ein Tagungsbericht von Markwart Herzog, der ausführlich eine Mitte Februar stattgefunden habende Konferenz wiedergibt. Insbesondere die Sektion über "Künste und Medien" dürfte einiges an neuen Ergebnissen bereitgestellt haben.
Doch zurück zur Literatur, zurück zu Esterházy, zurück zum Blick Gottes und seinen Marginalien, wie in der Zeit (an und für sich?) eingeschrieben, es geht folgerichtig um "Eine ungarische Einführung in die Schöpfungsgeschichte":
Zwar ist dies hier die beste aller Welten, doch vollkommen würde ich sie nicht nennen. Die Welt ist noch nicht fertig, ihr fehlen noch Sätze, das legitimiert das Schreiben. Ich bin nicht voreingenommen (es stimmt nicht, was die Ungarn über mich kolportieren, ich sei, was meine Abstammung betrifft, einer von ihnen, ein Ungar), doch ist dieses Fußballspiel einfach die Schande der Schöpfung, ein skandalöses Loch im Firmament der Gerechtigkeit. Nun habe ich eine gute Gelegenheit, Ordnung zu schaffen. Was die Deisten auch immer behaupten mögen, ich bin sehr beschäftigt. [...]
Hier angekommen muss ich den Ereignissen Halt gebieten und Bilanz ziehen. Auf der einen Seite haben wir diese unerwartete Wendung, nicht wahr, die untergegangene Menschheit, die emsige Arbeit einiger Tausend Jahre ist dahin, auf der anderen Seite jenes die Gerechtigkeit der Welt ins Gleichgewicht bringende 3:2, ganz zu schweigen vom zugeknöpften peruanischen Hosenschlitz. Was nun, wie weiter? Ich musste erkennen, meine Freunde, und das hätte ich schon früher tun können, sollte diese Welt tatsächlich die beste aller Welten sein, dann wäre sie per definitionem nicht mehr verbesserbar, denn wäre sie zu verbessern, dann würde jene verbesserte fortan die beste sein, das heißt, sie könnte dann nicht existieren, denn jene Welt ist nicht diese Welt.
Also notierte ich es mir auf einem Zettel, um es nicht zu vergessen und um nicht noch einmal in Versuchung zu geraten: DIE WELT IST NICHT ZU VERBESSERN. Die Welt ist kein Palimpsest, sie ist nicht radierbar und nicht neu beschreibbar. Damit gab ich zurück an Zimmermann, zog mich in die klassische Pose zurück, hinter und über den Wolken, und ich hörte noch, wie er außer sich heulte: "Aus! Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!" Und ich sah, dass es gut war.
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Senior Editor
(Weitere Informationen hier)
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
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