Sport | -s - Part 6
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Gestern war am Abend die Präsentation eines Fußballfanbuchs fällig. Aus unerfindlichen Gründen kam einer der Autoren auf die Idee, den Schreiber dieser Zeilen zwingend als Vorredner einzubinden. Die nachstehende Rede handelt auch davon.
Claus Farnberger, Gerald Simon: Beruf: Fußballfan. Eine Passion - Literarische Doppelpässe. Wien: Molden 2005. 220 pp. [EUR 19,80; ISBN 3-85485-145-6]
Sehr geehrte Damen und Herren, geschätzte Fans,
Die meisten von Ihnen kennen mich nicht und das wird sich im Ablauf der nächsten paar Minuten kaum als notwendigerweise zu schließende Lücke in Ihrer Lebensführung darstellen.
Claus Farnberger hingegen kennt mich.
Dachte ich zumindest bis heute morgen, als er mir kurz nach 11 Uhr die schonungslose Aufforderung zukommen ließ, heute Abend eine Art Vortrag, eine Einleitung zu dem von ihm mitverantworteten Buch zu halten. Wie üblich noch wattiert vom Vorabend und angesichts des Umstands, dass wir im Zuge unseres zweiten Champagnerfrühstücks den Flüssigkeitshaushalt wieder halbwegs in den Griff bekommen hatten, sagte ich zu. Welcher Teufel ihn da geritten haben mochte, war mir zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst.
Im Verlauf des heutigen Tages erkannte ich in einem lichten Moment, der leider nur kurz währte und mit dem die Abfassung des zu referierenden Textes in weiterer Folge nichts mehr zu tun hatte, den tieferen Sinn.
Ich hätte es wissen müssen: Claus Farnbergers Strategie ist, wie so oft, in Wahrheit eine brillante (vermutlich deshalb ist auch der Aufbau ihres Werkes dermaßen raffiniert).
Zuerst verfasst er mit seinem Freund Gerald Simon ein mehr als lesenswertes, unterhaltsames und in vielerlei Hinsicht richtiges Buch, ein passender Verlag wird gefunden, eine Website hochgezogen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird die erste Präsentation angesetzt, auf Basis der somit ansatzweise gewonnenen Erfahrungen bittet er beim ersten öffentlichen Auftreten seine Frau nach vorne, um zusätzliche Credits zu sammeln, lässt mich dann Schiffbruch mit Zuschauern erleiden - denn was kann die Wissenschaft da noch entgegensetzen? - um anschließend mittels Doppelconference zu verdeutlichen, was wirklich zählt. Und sowohl in St. Hanappi als auch in einer beispiellosen Aufführungsserie wird das dann in weiterer Folge verdeutlicht. Ich bin also nur ein kleines Zahnrad in dieser perfekt geplanten Kampagne, die medial versiert wie literarisch beispiellos ist. Und das ist gut so.
Die beiden Autoren, Waldviertler Autoren, verbindet seit zwei Jahrzehnten eine gemeinsame Leidenschaft für Fußball und Schreiben. Gemeinsam haben Sie in den 90ern das Waldviertler Literaturprojekt "Schmale Spuren", das zeitweilig auch in tschechischer Sprache erschien, mitgestaltet. Außerdem bildeten sie die Redaktion des im Lande weitum gerühmten Fanzines "Pro & Konter" des damaligen Regionalligisten EPSV Gmünd. Leichte Unterschiede gibt es bei der farblichen Ausgestaltung ihrer Lebensführung: Grün-weiß gegen Schwarz-weiß, Gerald Simon ist Rapid-Enthusiast (also mit der Last des Erfolgs beschwert), Claus Farnberger gebürtiger LASK-Fan (zum Leiden geboren).
Somit eines enormen Leidensdrucks gewärtig, rechnen die beiden entsprechende Potenziale offensichtlich auch ihren Frauen hoch an. Die m.E. berührendste (und auch im Sinne der Textproduktion höchst spannende) Stelle des Buches stammt von Gerald Simon und lautet wie folgt:
Erzgebirge Aue gegen den VfL Osnabrück, zweite deutsche Bundesliga, unverzichtbares Sportereignis, Premiere Sport 1. Ich bin gerade damit beschäftigt, aus lauter Langeweile auf der Wohnzimmercouch liegend eine halb leer getrunkene Bierflasche auf meinem Bauch zu balancieren, als Esposa del Afficinado den Raum betritt.
Leicht ungeduldiger Unterton: "Was soll das werden?"
Gelassene Antwort: "Buchrecherche!"
Ihre Aufforderung, an meiner Glaubwürdigkeit zu arbeiten, höre ich nur mehr sehr gedämpft, weil die im selben Augenblick meiner Replik in den Schlund eingefüllte zweite Bierhälfte meine akustische Wahrnehmung kurzfristig irritiert.
Auch der Umstand, dass es - wie im anzitierten "Himmelfahrtskommando Fußballfanfrau" kolporiert - Claus Farnbergers Frau vor der Eheschließung oblag, den aktuellen LASK-Kader (Vor- wie Zuname, Geburtsdatum wie -ort), auswendig, "by heart", zu wissen, lässt ahnen, dass herkömmliche Interpretationskriterien kaum ausreichen dürften, um die zahlreichen und in jeder Hinsicht verfänglichen Fallstricke der beiden Autoren unfallfrei aufzudröseln. Alleine der Umstand, dass der Untertitel nicht ganz klar ist ("Eine Passion - Literarische Doppelpässe"), zugleich aber in sich keinen wesentlichen Ausschließungsgrund erkennen lässt, deutet zwanglos die Probleme an. Es ist ein Doublebinding in so ziemlich jeder den beiden Autoren blitzartig verfügbaren Hinsicht, ihr Doppelpass ein permanenter - und ob er nun durch die mala ulica oder aus der Tiefe des Raums heraus erfolgt, soll dem jeweils kreativen Anfall des gerade am Wort befindlichen überlassen bleiben.
Das ist die Authentizität: Freuds Schamanentum wird in das Fansein übersetzt, wie die NobelpreisträgerInnen Canetti und Jelinek haben die beiden Rapidgesänge im Ohr und wissen sich zu Recht fernab der zwar enthusiastischen aber dennoch unbedarften Rapidanhängerschaft Alban Bergs. Der Zersetzungskanon eines Ror Wolf interessiert sie wohl nur als therapeutisches Problem. Und Hornby soll seine Listen schreiben.
Es geht um mehr.
Franz Beckenbauer, diese Lichtgestalt des deutschen Fußballs, der Josef Ratzinger des Weltfußballs, der momentan dazu ansetzt, im Doppelpass mit Angela Merkel eine der womöglich schönsten WMs aller Zeiten auf das Niveau einer PowerPoint-Präsentation für angehende Führungskräfte herunter zu brechen, es dennoch nicht schaffen wird, uns das Wichtigste zu nehmen, Franz Beckenbauer also titelte seine Autobiografie in aller Bescheidenheit "Ich".
Sepp Maier, der uns 1978 in Cordoba viel Freude bereitete, kam bei seiner Autobiografie um ein raffiniertes "Ich bin doch kein Tor" nicht herum und hält vermutlich deshalb wie heute Oliver Kahn ("Nummer eins") für den besten Torhüter Deutschlands.
Stefan Effenberg, der so wie sein legitimer Nachfolger Sebastian Schweinsteiger der wohl grundsympathischste Kicker Deutschlands war, behauptete: "Ich habs allen gezeigt". Dagegen gab sich sein Konkurrent im Kampf um die Kumpel-Krone, Lothar Matthäus, (gem. mit Hans-Dieter Schütt) bescheiden: "Lothar Matthäus, Superstar" lautete sein erster Reißer, dem er subtil "Mein Tagebuch" folgen ließ. Bald darauf wurde er Trainer beim SK Rapid - Stichwort Leidensdruck! -, ruinierte zwanglos den serbischen wie ungarischen Fußball, bevor er nun in Griechenland sich aufzuräumen anschickt.
Diese Aufzählung ließe sich zwanglos fortsetzen, etwas lustiger beispielsweise mit einer Ausdehnung auf österreichische Produktionen dieser textuell gebenedeiten Art, doch soll eine Einleitung so kurz als möglich sein und irgendeine Funktion jenseits des oben angedeuteten Effekts zumindest vorschützen.
Alsdann: Autobiografische Textsorten (und ich sehe von textuellen Qualitäten ab, denn das gar nicht hoch genug zu preisende Buch von Simon und Farnberger ist mit den genannten Dummheiten nicht zu vergleichen) haben als zentrale Kategorie jenes Ich und sein Verhältnis zur Welt gemeinsam, das Paul de Man dazu brachte, dieser Gattung die Funktion der altgriechischen Prosopopöie, des Rufes von jenseits des Grabes, zuzuschreiben. Und neben einer Reihe anderer Gründe ist da auch einer, weshalb wir mit dem Ruf von jenseits des Grabes, bei aller radikal eingebrachten Subjektivität und den autobiografischen Elementen sonder Zahl, bei Farnberger und Simon doch noch eine hübsche Zeitlang warten wollen: Sie haben im Gegensatz zu den Obgenannten vieles von der Notwendigkeit autobiografischen Schreibens verstanden und das auch umgesetzt. Für sie gilt, was Philippe Lejeune zum Entsetzen Paul de Mans als "autobiografischen Pakt" definierte, mit ihnen kann man diesen eingehen. Sie schreiben für sich, für die LeserInnen, für die Fans, sie schreiben im Sinne eines pars pro toto und also stellvertretend, reduzieren auf Essenzen, rühren selbstverständlich wie leidenschaftlich in Wunden (ich sage nur: Fußballkommentatoren), durchaus auch den eigenen, streuen anschließend Salz hinein, kennen die Welt, fertigen sie notfalls ab, wissen, leiden und lieben.
Den archivalischen Anspruch der Pop-Literatur eines Nick Hornby brauchen sie nicht - er ist vielmehr integraler Bestandteil ihres Ich, sie brauchen das nicht mehr herauszukehren. Fragen Sie nur ihre Frauen...
Oder lesen Sie, vielleicht unverfänglicher, dieses Buch. Es wird wohl schon in kurzer Zeit (und nicht nur im Zuge eingehender Fangespräche) unumgänglich sein zu wissen, wer "Schwammerl" ist, welche Taktiken Fans wie Betreuer im Waldviertel und der sonstigen Fußballwelt anzuwenden pflegen (cf. Stölzle Bleikristall vs. Wirtschaftsverbrechen), dass Bier schlichtweg eine isotonische Notwendigkeit darstellt, um die Grenzen zwischen Lieben und Leiden fließender zu gestalten oder dass die Waldviertler Gebrauchslyrik den Wohllaut des Anfangsreims spontan für ein fein ziseliertes, ballestrisch gesehen strikt notwendiges "Schremser Schweine" zu nützen weiß; auch zu lernen gibt es einiges: Wissen Sie, wer Leopold Figl wirklich war? Wer der Zauberer von Oss ist? Welche Beziehungen Jim the Butcher zu Dr. Schienbein-Schützer hat? Ob es einen Zusammenhang von John Holmes und David Beckham gibt? Welche geheimen Leidenschaften am Postamt des Westbahnhofs gepflegt werden? Warum Minderjährige nicht an Spielkonsolen heran gelassen werden dürfen? Welche Bedeutung das Musical "Carousel" hat? Wann sich Farnberger und Simon in Demut zurücknehmen? Für wen Paul Simon, jeglichem pädagogischem Impetus trotzend, möglicherweise die Daumen drückt? Und warum der Zusammenhang von Sexualität und Fußball ähnlich prekär wie der von letzterem mit der Literatur ist? Wer der wahre Companiero des Fußballs ist und wieviel Tastsinn auf einem Quadratzentimeter Schiedsrichterhaut Platz hat?
Ich deliriere mit den Fragen und ende also:
Mögen andere vorgeblich selbst die gefakten Grafen ihres Lebens setzen, dabei von jenseits des Grabes rufen, sich doch diesseitig wähnen und eigentlich eines Therapeuten bedürfen. Wieviel anders ist der Fall hier gelagert:
"Wer Visionen hat, braucht einen Arzt" - diesem allzu rasch geflügelten und nicht besonders klugen Wort eines doch klügeren Mannes setzen Farnberger und Simon, in ihrem Schamanentum des wahren Fanseins, mit den Prinzipien von Doublebinding und Doppelpass, ganz entscheidend entgegen:
Solche Visionen musst du erst einmal haben!
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Senior Editor
(Weitere Informationen hier)
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
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