Nachruf | obituary - Part 16

posted by peter on 2007/10/10 17:59

[ Nachruf | obituary ]

Seit nunmehr knapp einer Woche ist Walter Kempowski, der v.a. mit seinen Deutsche Chronik sowie Echolot überschriebenen, vielbändigen Hauptwerken einen nicht zu unterschätzende Wirkung sowohl auf das Reden als auch das Schreiben über und mit Erinnerungen hatte, tot. Angekündigt hatte sich das leider seit langem, etwa in einem Interview, das er der Frankfurter Rundschau Anfang August, bereits todkrank, gegeben hatte (der Link verweist zwar auf das Interview, der eigentliche Titel wurde jedoch inzwischen getilgt und durch die Todesnachricht ersetzt).
 

Martin Lüdke hat für die FR einen Nachruf verfasst, der diese gewaltige Montagearbeit, die Kempowski neben so vielem anderen auch verrichtete, kongenial betitelt: "Archivar des babylonischen Chores". Ausschnitte aus dem besagten Interview:

Sie haben geschrieben: "Ohne das ,Echolot´ würde meine 'Chronik' noch sinnloser sein."
Es stimmt schon: Das "Echolot" war nötig. Es gibt Werke in der "Chronik", die ich nicht so schätze, "Uns geht's ja noch Gold" zum Beispiel. Ich hätte auch lieber über Blumen und Tiere geschrieben, musste aber über diese reptilreiche Zeit schreiben. Und das war nicht angenehm.
Wie kamen Sie aufs "Echolot"?
Das war nach dem Schlaganfall. Ich sah diese Aufgabe, die Notwendigkeit, alles Verlorene zusammenzufassen.
Hatten Sie Momente des Wahnsinns?
Dieses war der Moment des Wahnsinns. Aber in der Folge ist aus diesem ersten Gedanken, so hybrid er auch war, die große Collage entstanden. Aber ich bin an sich heiter gestimmt, im Sinne von Nietzsche: Heiterkeit, güldene, komm. Aber jetzt geht mir doch manchmal der Spaß aus. Ich weiß nicht genau, wie’s weitergehen soll, da liegt noch so viel. Ich hatte immer ein Vollendungsstreben, wie Johnson, nur dass er sich den Luxus von zehn Jahren geleistet hat. Ich habe immer drei Bücher gleichzeitig in Arbeit, so habe ich nie eine Lücke, eine schreckliche Lücke. 1984, als ich die "Deutsche Chronik" fertig hatte, da war so ein Moment, wo ich vollkommen ratlos war.
Nochmals: Ihr Werk hat etwas Manisches.
Es gibt in der Psychologie den Begriff des "murmelnden Quells". Neben unserem Wahrnehmen läuft immer mit "der murmelnde Quell" des Unbewussten, mit all den Bildern, Einsichten, Traumata des eigenen Lebens - und ab und an nimmt man einen Schluck davon. Den "murmelnden Quell" habe ich immer aufgeschrieben im Tagebuch, so nebenbei.

Wie schreibt Ina Hartwig doch so richtig:

Das Archiv als Ursubstanz der Geschichtsschreibung, diesem Foucault'schen Konzept folgte Kempowskis Werk offenbar intuitiv. Machtdispositive und all das interessierten ihn natürlich nicht expressis verbis; aber sein Gespür war durchaus auf die neuere Theorie bezogen. Er hatte die poetische Eigenkraft der Geschichte aus ihrem Alltagsmaterial heraus erkannt, schon bevor die Historiker die Mikrohistorie erfanden.

 

Wer Links braucht: Bei Wikipedia finden sich einige brauchbare.


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Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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