Balkan | -s - Part 68

posted by PP on 2007/03/12 19:03

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Wenn schon gestern den obskuren Vorgängen rund um Milošević' Grab- wie Leichenschändung ein klein wenig Raum gegeben wurde, so soll in jedem Fall an den anderen Toten erinnert werden, Zoran Djindjić. Der vor vier Jahren an ihm verübte Mord ist immer noch nicht geklärt.
 

Der zuständige Richter musste erst vor kurzem abgelöst werden, was eine weitere Verzögerung der Untersuchungen nach sich zieht.

 

 


 

Ein Nachtrag noch zu den Urteilen des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag betreffend die Völkermord-Klage Bosnien-Herzegowinas gegen die frühere Bundesrepublik Jugoslawien. Laut dem am 26.02.2007 verkündeten Urteil hätte Serbien den Völkermord in der einstigen Bosniaken-Enklave Srebrenica im Juli 1995 zwar verhindern können, sei aber nicht direkt für ihn verantwortlich gewesen. Hier einige Pressemeldungen:

"Le Figaro" (Paris):
"Serbien hat also keinen Völkermord während des in Bosnien 1992 bis 1995 geführten Krieges organisiert. Wenn das Gericht dem serbischen Staat eine Verantwortung gegeben hätte, dann hätte das die Strafe der Reparationen nach sich gezogen. Die Bürger Serbiens hätten die Kosten getragen. Eine Kollektivstrafe hätte in Serbien nur die härtesten Nationalisten und Gegner jeder Form der Versöhnung gestärkt. Hier liegt das ganze Interesse des Urteils des Internationalen Gerichtshofes. (...) Nachdem Serbien jetzt von jeder Schuld des Völkermords in Bosnien freigesprochen wurde, dürfte nichts mehr einer Auslieferung von Karadzic und Mladic an das internationale Jugoslawien-Tribunal entgegenstehen. Somit würde sich der Weg für eine volle Zusammenarbeit Belgrads mit der Europäischen Union und ein neues Zeitalter auf dem Balkan öffnen."

"Neue Zürcher Zeitung":
"Serbien kann mit diesem Urteil (...) gewiss gut leben. Das Massaker von Srebrenica wird zwar explizit als Völkermord bewertet, was Belgrad bis heute in Abrede stellt. Auch wird die damalige serbische Führung dafür zumindest mitverantwortlich gemacht. Belgrads Behauptung aber, in keiner Weise in die Ereignisse von Srebrenica verwickelt gewesen zu sein, ist damit endgültig unhaltbar.
Bis heute hat die serbische Führung das Massaker offiziell nicht verurteilt. Das höchste Uno-Gericht hat jedoch die Frage der Kriegsschuld offen gelassen und den serbischen Staat nicht pauschal für die von Serben in Bosnien begangenen Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht. Schuldig sind einzelne Personen, und diese gilt es weiterhin strafrechtlich zu verfolgen."

"Basler Zeitung":
"Belgrad ist weder schuldig noch freigesprochen worden. Der Internationale Gerichtshof hat ein ausgewogenes Urteil gefällt. (...) Der Unterschied zwischen individueller Schuld und kollektiver Verantwortung, eine wichtige Errungenschaft der Debatte um Vergangenheitsbewältigung, ist im Raum des früheren Jugoslawien noch wenig bekannt.
Das gestrige Urteil ist eine Chance für Serbien, sich diese Unterscheidung zunutze zu machen: Das serbische Volk trägt keine Schuld am Massenmord, aber der Gesellschaft erwächst die Verpflichtung, die Tatsachen zur Kenntnis zu nehmen und Schlüsse zu ziehen, damit solche Verbrechen künftig verhindert werden. Die Auseinandersetzung mit dieser Verantwortung hat noch kaum begonnen."

"de Volkskrant" (Den Haag):
"Der Internationale Gerichtshof hat zu Recht entschieden, dass er sich in dieser politisch aufgeladenen Sache kein angreifbares Urteil erlauben kann - wie groß und verständlich auch die Neigung ist, den Opfern einer Instanz, die unübersehbar Blut an den Händen hat, gerecht zu werden. Aber mit einem umstrittenen Präzedenzfall ist niemandem und nichts gedient. (...) Serbien hat wenig Grund erleichtert zu sein. Denn das höchste UNO-Gericht hat sehr wohl festgestellt, dass Belgrad bei der Verhinderung von Kriegsverbrechen wie in Srebrenica und bei der Verfolgung der Täter seine Pflicht nicht erfüllt hat. Dieses Urteil muss für die Europäische Union ein zusätzlicher Grund sein, die Beziehungen zu Serbien unterkühlt zu halten."

"Trouw" (Den Haag):
"Normalerweise hätte Serbien auf Grund der Tatsachen wegen Beihilfe (zum Völkermord) verurteilt werden können. Für den Gerichtshof ging dies jedoch einen Schritt zu weit. Nicht weil er vor den (politischen) Konsequenzen zurückwich. Sondern weil es nicht wirklich bewiesen werden konnte, dass eine aktiver auftretende Regierung den Völkermord tatsächlich hätte verhindern können. Für den guten Zuhörer ist das Urteil jedoch laut und klar: Die serbische Regierung hat ernsthaft versagt.
Ein solches Urteil darf guten Gewissens als Meilenstein des internationalen Rechts bezeichnet werden. Es enthält die unmissverständliche Warnung an alle zum Kriminellen neigende Regierungen: Glauben Sie nicht, dass Sie davonkommen. Es gibt noch so etwas wie ein Recht, das Sie früher oder später zur Verantwortung ruft."

"La Vanguardia" (Barcelona):
"Das Urteil des Internationalen Gerichtshofs bedeutet für Bosnien und die Angehörigen der Opfer eine Enttäuschung. In Belgrad wurde es logischerweise mit Erleichterung aufgenommen. Der Freispruch für Serbien scheint den Ultranationalisten Recht zu geben. In Wirklichkeit aber begünstigt er die gemäßigten Kräfte, die mit den Verbrechen des Milosevic-Regime nichts zu tun hatten.
Serbien muss nun keine riesigen Entschädigungssummen zahlen, für die die Steuerzahler hätten aufkommen müssen. Dies wird es der künftigen Koalitionsregierung erleichtern, die Fahndung nach den mutmaßlichen Kriegsverbrechern Radovan Karadzic und General Ratko Mladic zu intensivieren."

"La Stampa" (Turin):
"Es handelt sich in mehrerer Hinsicht um ein ausweichendes Urteil, das vom Bestreben gezeichnet ist, die bereits derzeit schwierigen Beziehungen auf dem Balkan, just in dieser Zeit, da eine Lösung für den Kosovo gesucht wird, nicht weiter zu verschlechtern. Wie so häufig in solchen Fällen, bleiben die Massengräber bestehen, und die Auftraggeber kommen ungenannt davon. Der 'Schlächter' Mladic versteckt sich seit über einem Jahrzehnt in Serbien, und dies mit Hilfe von Komplizen aus den Reihen der Armee. Und in Belgrad gibt es noch immer Politiker, die von diesem Völkermord-General wie von einem 'Helden' reden."

"La Repubblica" (Rom):
"Dies ist ein Gerichtsurteil, das sich einfach nicht festlegen will. Um dies zu erreichen, muss es sich auf einen juristischen Formalismus beschränken. Um zu entscheiden, ob General Mladic, als er den Völkermord plante und ausführte, tatsächlich im Auftrag Belgrads handelte, hatte das Gericht Beweise verlangt, ob ihm Belgrad ganz bestimmte Befehle hatte 'zukommen lassen', diesen Völkermord auszuführen. Hatte es wirklich nicht genügt, dass die Führung der serbisch-bosnischen Militärs von Belgrad bezahlt und finanziert wurde und zudem mit der politisch-militärischen Führung in Serbien verbunden war?"

"The Times" (London):
"Das Urteil ist ein seit langem erwartetes Eingeständnis der eingeschränkten Autorität eines jeglichen internationalen Gerichts - mit einem indirekten Angebot für einen Kuhhandel. Serbien wird von der Anklage des Völkermords freigesprochen und soll im Gegenzug endlich den Willen aufbringen, die Hardliner Ratko Mladic und Radovan Karadzic auszuliefern. Mit etwas Glück und Geduld könnte es dann wenigstens eine Art Gerechtigkeit geben. (...) Die Geschichte zeigt, dass die Verfolgung von einzelnen Kriegsverbrechern oft gute Chancen auf Erfolg hat, die Anklage von Staaten dagegen weniger. Daher ist dieses Urteil eine Botschaft an die Individuen, die immer noch im Zusammenhang mit der Balkan-Tragödie der neunziger Jahre gesucht werden: Eure Zeit ist vorüber."

"Dnevnik" (Laibach):
"In Hinblick auf das Völkerrecht könnte man das IGH-Urteil begrüßen, denn es definiert Völkermord als eine individuelle Verantwortung. Allerdings ist die Prävention eine kollektive Verantwortung derjenigen, die den Ereignissen nur zugesehen haben und die Verantwortlichen gewählt haben. Leider wird das Urteil in Serbien als Freispruch verstanden, vor allen deshalb, weil die Schuld des Augenzudrückens durch das Fehlen einer Strafe verloren ging.
Der IGH verpasste die Gelegenheit, im internationalen Recht einen Fortschritt zu machen - in einem Fall, in dem auch einigen Serben überzeugt sind, dass es eine Sünde war. (...) Die Familien der Opfer sind zurecht enttäuscht über das Urteil, das möglicherweise nur dann gerecht sein würde, wenn beide Seiten unzufrieden blieben."

"Delo" (Laibach):
"Diejenigen, die eine Verurteilung Serbiens wegen Völkermords erwartet haben, waren zu naiv. Es gibt zu viele Völker, die Grässlichkeiten wie Srebrenica mitgemacht haben, und weil Völkermord als Straftat nicht verjährt, könnte in Zukunft nicht nur von Kurden, Tschetschenen, Armeniern oder Somaliern Klage erhoben werden, sondern auch von den Schiiten und Sunniten im Irak und vielen anderen. Deshalb war der IGH zu einem realistischeren Weg gezwungen. Das Massaker in Srebrenica wurde als Akt des Völkermords eingestuft, alle anderen Schreckenstaten der serbischen Armee aber nicht. Soweit ist das Urteil klar. (...)
Diesen Teil des Urteils könnte man noch verstehen, denn es ist das erste gegen einen Staat. Alles andere ist Heuchelei. Vielen ist klar, dass der Zerfall Jugoslawiens und das Entstehen Großserbiens eine 'absichtliche Säuberung' des Gebietes war, dass alles von der größten Republik angefangen und von der Person ausgeführt wurde, die diese Blutgeschichte begonnen hatte und letztendlich auch 'verpatzte', indem sie im Haager Gefängnis starb, bevor sie für das Genozid verurteilt werden konnte."

"Vecer" (Marburg):
"In den kommenden Jahren werden sich die Anwälte mit dem Urteil, dem ersten seit der Verabschiedung der UNO-Konvention gegen Völkermord 1948, beschäftigen. Auch mit der nicht näher ausgeführten Formulierung, dass jeder und niemand für das Genozid verantwortlich ist. (...) Die größte Sorge ist, wie das Urteil die bereits angespannten inter-ethnischen Beziehungen in Bosnien-Herzegowina beeinflussen wird. In einem Staat, in dem sich die Vertreter der drei Nationen kaum auf was einigen können, könnte das Signal aus Den Haag leicht die Gewalt wieder aufflammen lassen. Die EU überlegt währenddessen, die EUFOR-Truppen zu verringern. Es scheint, als würde Brüssel auf einem anderen Planeten leben."

 


 

Hier einige der Schlüsselpassagen des besagten Urteils:

"Serbien hat nicht Völkermord begangen durch seine Institutionen oder Personen, deren Handlungen es unter dem Völkergewohnheitsrecht verantwortlich machen."
"Serbien hat sich weder zum Völkermord verschworen noch zum Völkermord angestachelt."
"Serbien war nicht schuldig der Beihilfe zum Völkermord, was die Verletzung seiner Verpflichtungen aus der Konvention zur Verhütung und Bestrafung des Völkermordes betrifft."
"Serbien hat seine sich aus der Konvention ergebende Pflicht zur Verhütung von Völkermord verletzt, in Hinblick auf den Völkermord, der im Juli 1995 in Srebrenica stattfand."
"Serbien hat seine Pflichten aus der Konvention verletzt, indem es Ratko Mladic nicht dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal für Ex-Jugoslawien ausgeliefert hat, der wegen Völkermordes und Beihilfe zum Völkermord angeklagt ist."
"Serbien soll unverzüglich wirksame Schritte setzen, um seine Pflichten voll zu erfüllen (...) und Einzelpersonen auszuliefern, die angeklagt sind wegen Völkermordes oder aller anderen Taten, die vor dem ICTY verhandelt werden, und (es soll) voll mit dem Tribunal kooperieren."
"Dieser Fall ist keiner, in dem die Anordnung einer Schadenersatzzahlung (...) angemessen wäre."

 


Antworten

01 by TM at 2007/03/13 14:21 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten
Dr. Zoran Djindjić, the former premier of Serbia, was assassinated on March 12 2003, the trial process started nine months later, on December 22, 2003 and, shamefully, it is not only ended by now, but many times obstructed, even stopped and started from the beginning. The criminals of the highest rank are still protected, so that one of the main ones, Milorad Ulemek Legija obviously enjoys his privileges in the Belgrade Central prison, even writes and publishes books, continuing his activities against Djindjić’s progressive and fruitful ideas without any obstacles. One can buy Ulemek’s books at every single newspapers shop in Belgrade and other Serbian cities… How it is possible? Not so difficult to gather that the mafia is still stronger than the state legal system in Serbia. Moreover, the relations connecting two sides are obviously firm enough to resist all legal ways to gain the justice. So, waiting for Godot, with much hope…

Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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