Bücher | Books - Part 43

posted by PP on 2005/11/28 01:33

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Vor knapp einem Jahr war hier zum ersten und bislang letzten Mal die Rede von Ryszard Kapuściński, was schlechterdings unverzeihlich ist. Sein mit 01.12. in die Buchläden kommendes neues Buch
Meine Reisen mit Herodot. Übers. v. Martin Pollack. Frankfurt/M.: Eichborn 2005, 340 pp.
bietet mehr als den nur erfreulichen Anlass, auf diesen anschaulich wie komplex, wesentlich und letztlich richtig gut schreibenden Autor (u.a. Imperium. Sowjetische Streizüge) hinzuweisen.
Kapuściński wurde am 04.03.1932 in Pinsk, einer polnischen Kleinstadt, die heute zu Weißrussland gehört, geboren. Er studierte Geschichte an der Universität Warschau und arbeitete anschließend bei einer Jugendzeitung, bevor er Auslandskorrespondent der polnischen Nachrichtenagentur PAP(zunächst in Afrika, dann in Lateinamerika) wurde. Er zählt zu Recht zu den bedeutendsten Journalisten und Schriftstellern der Gegenwart, seine Aufzeichnungen über Bürgerkriege und Revolutionen suchen ihresgleichen.

Zu seinen bekanntesten Werken gehören: Der Fußballkrieg. Berichte aus der Dritten Welt (1990), Imperium. Sowjetische Streifzüge (1993), König der Könige. Eine Parabel der Macht (1995), Schah-in-Schah. Eine Reportage über die Mechanismen der Macht, der Revolution und des Fundamentalismus (1997).

Aus den Anfangszeiten seiner Laufbahn wird im neuen Band u.a. zu stehen kommen:

Meine Route führte mich manchmal in Dörfer an der Grenze. Das geschah jedoch selten. Je näher man nämlich der Grenze kam, umso verlassener wurde die Gegend, man begegnete immer weniger Menschen. Die Leere ließ die Orte noch rätselhafter erscheinen, und auch die Stille entlang des Grenzstreifens weckte meine Aufmerksamkeit. Diese Rätselhaftigkeit und Stille zogen mich an und beunruhigten mich. Es reizte mich zu sehen, was dahinter war, auf der anderen Seite. Ich dachte darüber nach, was man wohl erlebte, wenn man die Grenze überschritt. Was fühlte man dann? Was dachte man? Es musste ein Augenblick großer Emotionen, Erregung, Spannung sein. Wie ist es auf der anderen Seite? Mit Sicherheit - anders. Doch was bedeutet das - anders? Wie sieht es aus? Ist es mit irgendetwas vergleichbar? Vielleicht war es auch mit nichts, was ich kannte, vergleichbar und dadurch unbegreiflich, unvorstellbar! Doch mein größter Wunsch, der mich quälte und verfolgte, war eigentlich ganz bescheiden, denn es ging mir nur um eines - um den Moment, den Akt, die simple Tätigkeit des Überschreitens der Grenze. Sie überschreiten und gleich wieder zurückkehren, so dachte ich mir damals, das würde mir völlig genügen, das würde meinen im Grunde unerklärlichen, aber dennoch nagenden psychischen Hunger stillen.
Eines Tages traf ich auf dem Gang der Redaktion meine Chefredakteurin. Eine stattliche, hübsche Blondine mit üppigem, zur Seite gekämmtem Haar. Sie hieß Irena Tarlowska. Sie sagte etwas über meine letzten Texte, und dann befragte sie mich über meine künftigen Pläne. Ich nannte ein paar Dörfer, in die ich fahren wollte, und Angelegenheiten, die mich erwarteten, und dann nahm ich all meinen Mut zusammen und sagte: "Irgendwann einmal würde ich gern ins Ausland fahren."- "Ins Ausland?", sagte sie verwundert und leicht erschrocken, denn damals war es noch keine Selbstverständlichkeit ins Ausland zu fahren. "Wohin? Wozu?", fragte sie. "Ich habe an die Tschechoslowakei gedacht", antwortete ich. Es ging mir nicht darum, etwa nach Paris oder London zu reisen, oh nein, solche Ziele versuchte ich mir gar nicht erst vorzustellen, und sie interessierten mich auch nicht, ich wollte nur irgendwo die Grenze überschreiten, egal welche, denn wichtig war für mich nicht der Ort, das Ziel, das Ende, sondern der beinahe mystische und transzendentale Akt des Überschreitens der Grenze.
Seit diesem Gespräch war ein Jahr vergangen. In unserem Reporterzimmer läutete das Telefon. Die Chefin bat mich zu sich. "Weißt du, was?", sagte sie, als ich vor ihrem Schreibtisch stand. "Wir schicken dich ins Ausland. Du fährst nach Indien." Zuallererst war ich wie betäubt. Dann verspürte ich Panik: Ich wusste nichts über Indien. Fieberhaft suchte ich in meinem Kopf nach irgendwelchen Assoziationen, Bildern, Namen. Ich fand keine: Über Indien wusste ich rein gar nichts. [...]
Am Ende des Gesprächs, in dem ich erfuhr, dass ich in die Welt hinausfahren sollte, griff Frau Tarlowska in einen Schrank, holte ein Buch heraus und sagte, während sie es mir überreichte: "Das ist von mir, für unterwegs." Es war ein dickes Buch mit einem steifen, gelben Leineneinband. Vorn sah ich den mit goldenen Lettern eingestanzten Namen des Autors und den Titel: Herodot. HISTORIEN.




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Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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