Balkan | -s - Part 26

posted by PP on 2005/07/13 13:03

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(Eingestandenermaßen: Konferenzblogging könnte etwas anders aussehen als das hier und gestern versucht wurde. Mal sehen ...)

Dienstagvormittag gab es am Konjicer Seminar zwei Panels, Bosnian Politics in Transition und Bosnian Economy in Transition.
Berit Bliesemann de Guevara (ihr letztjähriger Beitrag zum Seminar wurde auf Kakanien revisited in deutscher wie englischer Sprache publiziert), Ali Karimi Maleh, Julian Reid und David Chandler, weiters Selma Mulic (vorgezogen vom überfüllten Vormittagspanel am Freitag) kümmerten sich um die bosnische Politik und die scheinbaren wie tatsächlichen Änderungen.

Berit Bliesemann de Guevara wies darauf hin und belegte, dass bzw. weshalb Max Webers und Pierre Bourdieus Definitionen des Staates, bis hin zur symbolischen Macht desselben, auf Bosnien anwenden zu wollen, ein eher sinnloses Unterfangen darstellen muss. Insgesamt sind Länder in derartigen Übergangssituationen nur sehr bedingt für diese Theoriepotenziale zu haben. Bereits in ihrem Vortrag klang ein Thema auch der anderen PanelteilnehmerInnen an: Die Problematik des externen Zwangs, externe Staatsfunktionen nach ebenso externen Vorbildern aufzubauen, dafür entsprechendes Geld zu benötigen und gleichzeitig weder dieses ausreichend zu bekommen, noch diese neuen Strukturen hinreichend durchsetzen zu können. Ganz ähnlich Ali Karimi Maleh, der anhand des Beispiels Libanon die Probleme der Gewaltentrennung extrapolierte, die damit eng verbundenen Voraussetzungen eines funktionierenden Klientelsystems. Dabei ändern sich auch die Eliten, während gleichzeitig eine "no winner - no loser"-Situation eintritt, anlässlich derer in weiterer Folge der Verdacht aufkommen muss, dass dies als Konzept verfolgt wird. Da im eigentlichen Sinne kaum etwas u gewinnen sei, träte ein sonderbarer Zustand von "checks and balances" ein. Erfolgreiche Transition-Prozesse müssen diesen überwinden, um ihr eigenes System zu etablieren.

Ganz anders wurde das Panel-Thema von Julian Reid aufgegriffen, der David Chandlers Ansatz lobend hervorhob, wonach wir in Richtung eines neuen Humanismus gehen müssten. Die Politik gehöre aus dem Geflecht von Staaten, Parteien, Organisationen etc. herausgelöst. David Chandler ließ sich da nicht lumpen und hieb eifrig in dieselbe Kerbe. Gegenkonzepte gibt es nicht - sieht man davon ab, dass beide Redner sich wesentlich auf die Eigendynamik und die leute an und für sich verlassen. Politik sei zuviel in Bosnien vorhanden und auch die Rolle des High Represantative mehr als suspekt.

Erneuter Twist mit dem Vortrag von Selma Mulic, die ihren Beitrag der Situation der Roma verschrieben hatte und das "Gesundheitsvorsorgesystem" für Minderheiten und MigrantInnen in der Tschechischen Republik darstellte. Eines der Probleme ist dabei, dass Fremde nicht direkt intervenieren können, es einer intensiven Moderation durch NGO's bedarf. "Was braucht es, um ein Tscheche zu sein?" lautete eine Umfrage - 94% meinten Tschechisch zu sprechen, 91% tschechisch zu fühlen und nur 21% Christ zu sein. Tschechien agiert bei den Erwartungen und Ängsten der Bevölkerung nahezu gleich wie die angrenzen zentraleuropäischen Staaten.

Diskussion: Welche Anforderungen gibt es an Rahmenbedingungen, wie an Frameworks, an zu konstituierenden Ordnungsmächten? Daraus leitet sich u.a. die Frage ab (etwas überraschend), ob es dabei nicht auch darum geht, "europäisch" sein zu wollen? Dies wird umgehend gekontert mit dem Zweifel an der Existenz eines brauchbaren Plans, einer ernsthaften, auf Langfristigkeit angelegten Konzeption. Und den Berichterstatter beschleicht immer mehr die Dringlichkeit der Frage, ob man nicht endlich verstärkt die Rolle der Diaspora diskutieren könnte, die immer größer werdende Problematik des Brain drain?




Die Bosnian Economy in Transition nahmen danach Branka Likic-Brboric, Pau Vives, Vanessa Pupavac und Fikret Causevic auseinander und suchten anschließend konstruktive Vorschläge zu machen. Zu zerlegen war einiges, denn die Problematik der informellen Märkte ist von entscheidender Bedeutung. Dabei geht es nicht einfach um Schwarzmärkte, sondern es lassen sich Unterscheidungen wie etwa Illegal-survival-informal treffen. Pau Vives präsentierte ein entsprechend komplexes System an ökonomisch feinsinnigen Unterscheidungen, die realste Auswirkungen auf das Alltagsleben der bosnischen Bevölkerung wie die Formen der Umsetzung von Politik und Reformen haben - von den Schwierigkeiten für die Fragen des Budgets ganz abgesehen, wie Fikret Causevic detailliertest und mit einer Fülle an erstklassigen Zahlen ausgestattet nachwies. 90% des Hapitals im kommerziellen Bankensektor sind in nicht bosnischer Hand. Die Privatisierungsprozesse wurden nach ethnischen Gesichtspunkten kanalisiert, es gibt die Börsen in Banja Luka (2001 gegründet) und Sarajevo (2002), dazu steht eine Million Beschäftigte in offiziellen Arbeitsmärkten mindestens 350.000 Aktiven in den informellen Märkten gegenüber; die Steuern in der Republika Srpska sind anders strukturiert als in der bosnischen Föderation - genug probleme und hervorragende Voraussetzungen für "informal markets" (ca. 18 Milliarden KM schwer; Schätzungen zufolge bedeutet das etwa 40% des GDP) und deren Durchsetzungskraft. Das durchschnittliche Gehalt in der staatlichen Administration (das in der ministeriellen ist unter dem Schnitt!) liegt bei 900 KM/Monat.
Vives' Nachweis, dass gerade neoliberale Verhältnisse ganz wesentlich die informellen Märkte mit schaffen, mit allen negativen Auswirkungen, sei hier noch rasch notiert. Einmal sind die Aktivitäten legal und die Produkte nicht, dann umgekehrt - in jedem Fall sind die staatlichen Organisationen und Strukturen wesentlich mit beeinflussbar. "Mehr privat - weniger Staat": Sorglose Parolen wie diese entpuppen sich hier raschest als Unmöglichkeit aus demokratischer, sozialer und politisch verantwortungsvoller Sicht.

Branka Likic-Brboric unternahm eine Projektvorstellung betreffend Citizenship, Welfare und Reconstruction und wies darauf hin, dass Peace Keeping in BiH weitaus erfolgreicher verlief als Peace Building, was meint: Der Aufbau geeigneter Strukturen, die eine kriegsbedingte Apathie hinter sich lassen; mit verantwortlich: die nicht ausreichende Betrachtung sozialen Kapitals. Auch sie bezieht sich auf die engen Zusammenhänge von "Offshore Economy" und "Political Economy", wobei sie in letzter Konsequenz den Konnex von privater Ökonomie, sozialen Netzwerken und Migration besonders hervorhebt. Daran schließt sie, sozusagen als Ausblick auf weitere Forschungen, dass verstärkt die Partizipation von Frauen wie auch die Problematik krimineller Netzwerke untersucht werden müsste.

Den Gender Policies wie Politics nahm sich dann prompt Vanessa Pupavac an. Diese haben weitaus größere Probleme, anerkannt und durchgesetzt zu werden gegenüber den ethnischen Fragestellungen, da sie von einem massiveren bürokratischen Aufwand begleitet wären, der in Bosnien nicht so ohne weiteres geleistet werden könne. Limitierungen sonder Zahl, statt notwendiger Regulierungen, denen auch durch eine verstärkte Einbeziehung von Frauen in das bosnische Parlament nicht wirklich, d.h. jenseits einer rein symbolischen Ebene abzuhelfen wäre (da das bosnische Parlament keine wesentlichen Herausforderungen aus eigener Kraft heraus zu bewältigen hätte...). Hinzu käme die Problematik einer durchwegs konservativen Szene an Frauen, die um die Gender Policies sich annehmen würden.




Gestern abend dann ein Fehler unsererseits bei der Entscheidung, welches der beiden hier zu findenden Panel wir besuchen sollten: "Religion in the Multiethnic Society" oder "Europe in focus". Die Wahl fiel auf letzteres und dieses zerfiel prompt - trotzt jeweils für sich genommen nicht uninteressanter Beiträge von Ranko Milanovic-Blank (Präsentation der Zeitschrift "Album"), Rory O'Connell (über die Minderheitenprobleme und einzuklagenden Rechte der "Irish Travellers")und Jadranka Polovic (über die Probleme Kroatiens mit der EU und die in diesem Kontext wechselnden Strategien der verschiedenen politischen Lager). Die Gotovina-Frage kam dann natürlich wieder mal zwanglos auf.




Kurze Notizen vom heutigen Vormittag, dessen ursprüngliches Programm hier zu finden ist und der dann tatsächlich von Gayle Munro, Ana Devic, Ruza Fürst-Dilic, Ruth Seifert und Ivana Jurisic bestritten wurde. Thema: The Balkans in the focus.

Gayle Munro sprach am Vormittag über die Rolle von Flüchtlingen, insbesondere die bosnischen, im UK. Fragen der Integration, der transnationalen Migration und auch der Veränderung des Begriffs von "Heimat" standen hier im Mittelpunkt. Gerade die britische Art, von einer bewusst kolonialen Geschichte her mit "Fremden" umzugehen, stellt eine nicht uninteressante Sonderposition unter den europäischen Staaten und ihren Versuchen, mit AsylwerberInnen und EinwanderInnen umzugehen, dar.

Ruza Fürst-Dilic brachte endlich ein ganz wesentliches und meist unterbelichtet bleibendes Thema in das Seminar ein: "Roma Decade in the CEE Region", wobei es v.a. um ein Programm gehen wird müssen, 2005-2015, das von der Soros-Foundation und der Weltbank unterstützt und von acht Balkan- und Zentraleuropa-Staaten mitgetragen wird. Neben der Frage der Kultur/en der Roma stellt sich im Umgang mit einem wie auch immer sich darstellenden "Außen" auch die Frage der RepräsentantInnen vermehrt. Bsp. Kroatien: Offiziell gibt es weniger als 10.000, die internationalen Organisationen schätzen ihre Zahl auf 40.000, die Roma-Communities selbst geben ihre Zahl mit knapp über 120.000 an - wie sieht es mit den Möglichkeiten/Notwendigkeiten der Erfassung aus; welche Möglichkeiten ergeben sich hier im Zusammenhang mit Staatsbürgerschaften?

Ruth Seifert berichtete über ein vom bm:bwk unternommenes Projekt, bei dem die Frage der Identität und der Konstruktion von Kosovo-AlbanerInnen als EuropäerInnen im Mittelpunkt stand. Kosovo muss Teil Europas werden, wobei es nicht zentral um EU-Aspekte geht, sondern um Möglichkeiten einer tragfähigen Identitätsbildung.

Ana Devic hob daran anschließend die Rolle der NGO's in Kosovo hervor, die etwa 2004 bei den Unruhen deutlichst vorgeführt wurden. Den lokalen Behörden bleibt genau kein Spielraum, da die internationalen Kräfte den Deckel fest auf den Topf gepresst haben möchten.

Ivana Jurisic - sie war die einzige, die mit einem "Trafficking in Women"-Thema verblieben war, die anderen diesbezüglich gemeldeten TeilnehmerInnen und insbesondere der angekündigte Workshop zu dem Thema waren (teilweise aufgrund massiver Visa-Probleme) hinfällig geworden... - griff das enorme Problem des "Trafficking in Women" auf sowie die Bemühungen verschiedener NGO's, den Opfern zu helfen. (Zu dem Thema ebenfalls höchst empfehlenswert: Sabrina P. Ramets Konjicer Beitrag aus dem Vorjahr zu "The Fate of Women in Post-1989 East-Central Europe", hier publiziert) Nur 10 von 100 Opfern - gemeint sind jene, die es überhaupt bis zu den NGO's schaffen - kann erfolgreich geholfen werden!, was auch an mangelnder Unterstützung durch die staatlichen Autoritäten liegt, die zwischen Prostitution und Trafficking entweder nicht unterscheiden können oder wollen und also genau nichts zu tun als aus ihrem eigenem Missverständnis und ihren Vorurteilen am einfachsten ableitbar erachten.


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Senior Editor

Seitenwechsel. Geschichten vom Fußball. Hgg. v. Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bohmann 2008, 237 pp.
(Weitere Informationen hier)
Transcarpathica. Germanistisches Jahrbuch Rumänien 3-4/2004-2005. Hgg. v. Andrei Corbea-Hoisie u. Alexander Rubel. Bukarest/Bucuresti: Editura Paideia 2008, 336 pp.
[Die online-Fassung meines Einleitungsbeitrags "Thesen zur Bedeutung der Medien für Erinnerungen und Kulturen in Mitteleuropa" findet sich auf Kakanien revisited (Abstract / .pdf).]
Seitenweise. Was das Buch ist. Hgg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter u. Peter Plener. Wien: Bundespressedienst 2010, 480 pp.
(Weitere Informationen hier wie da, v.a. auch do. - und die Rezension von Ursula Reber findet sich hier [.pdf].)
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