Der wilde Osten
[ Literatur | -e ]
Auf Grund meines umfangreichen Kapitels zu Alban Nikolai Herbsts Anderswelt-Romanen in meiner Dissertation gehöre ich auf Vorschlag des Autors nebst einer ganzen Reihe von LiteraturwissenschaftlerInnen zu den Geladenen, einen Beitrag für einen Band der Horen zu Herbst zu leisten. Weshalb ich derzeit mich wieder durch die viele tausend Seiten starken Romane durchnavigiere.
"Durchnavigieren" ist in vielfacher Hinsicht der richtige Ausdruck für die kybernetischen Romane, eben die Dschungelwelten, die Herbst schuf. Im Speziellen, da Herbst für dieses Heft die elektronische Arbeitsversion seines neuen Romans Argo. Anderswelt zur Verfügung stellte.
Im elektronischen Text Kommentare und Unterstreichungen zu hinterlassen, fällt leichter und mutet mehr als Zu-, Mit-, Koarbeit an, denn im papiernen, gewichtigen, schön gedruckten Buch (Herbsts Bücher wurden glücklicherweise immer ästhetisch ansprechend gedruckt - kein minderwertiges Papier, keine schnöden Schriften).
Der Osten, man darf schon sagen, der Orient, das Orientphantasma à la Edward Said, aber auch Bush sen. und jun. wird auch hier wieder verwertet und europäisiert. Der Osten fängt jetzt schon wieder knapp hinter der deutschen Grenze an und wird zusehends - wie in Thetis bereits angefangen - zu einem "inneren Osten". Der Osten der Mythomachie, der aber auch zugleich deutliche Züge der "neuen Bundesländer" trägt.
Über das Ostphantasma kann ich hier ein wenig bloggen, denn darüber will ich nicht schreiben. Mein Dilemma in Bezug auf diesen Osten aber doch verlautbaren, weil ich mich doch manchmal daran störe, dass gerade die Ost/Orientfantasien häufig ungebrochen daherkommen, was nicht recht zum großartigen Verfremdungs-, Fiktionalisierungs- und Vermischungsapparat Herbsts passen will.
Ein wenig zu serbisch, zu fanatisch, zu kriegerisch-männlich, vor allem zu vorkultiviert, schmutzig, tribalistisch-terroristisch kommt dieser Osten daher und propagiert Instinkte, die dann ein "innerer Osten" sind. Das Es, die Triebstruktur oder das Affektenbündel als innerer Osten, dieser dunkle Kontinent - ja nun, wir kennen das. Was soll's: ein solcher Osten könnte ruhig durch einen Norden gebrochen werden.
Nichtsdestotrotz schreibt Herbst sehr wohl zugleich gegen ebendieses Phantasma an, indem er eben auch eine recht exakte Zivilisierungs- und Kulturgeografie des Anderen ver/schreibt, in dem Sentimentalitäten kaum ein Platz zukommt.
Ich kann's jedenfalls kaum erwarten, dieses Buch dann auch in Händen zu halten; im überfüllten Regal hab ich schon Platz geschaffen.
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Editor
Venue: HS, Inst. Slawistik, AAKH / Campus
The programme is to be found here, the abstracts are available as Balkan Studies 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, and as pdf.
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