Monsterkollektive | Individuen / Part 8
[ In eigener Sache ]
Ulrich Best (Chemnitz): Die anderen Räume des Sozialismus. Internationale Baustellen in der Sowjetunion und ihre Erinnerung
In den 1970er und 1980er Jahren wurden in der Sowjetunion mehrere Erdgaspipelines gebaut, an denen sich die meisten RGW-Staaten mit Arbeitsbrigaden beteiligten. Jedem Staat wurde ein Abschnitt der Pipeline zugewiesen, als Entlohnung erhielten die Staaten in den nächsten Jahren Erdgaslieferungen.
Ulrich Best (Chemnitz): The Other Places of Socialism: International Construction Sites in the Soviet Union and Their Memory
In the 1970s and the 1980s several gas pipelines had been constructed, in which most of the CMEA states participated with working brigades. Each state was assigned to a section of the pipeline, and as remuneration, the states received gas supplies in the subsequent years.
Begleitet war das Projekt von intensiver Propaganda. In der Presse, in Büchern, Filmen und öffentlichen Veranstaltungen stellten die Baustellen eine Projektionsfläche dar für den zukünftigen Sozialismus, gemeinsame Arbeit und internationale Kooperation. Die Arbeit auf den Baustellen selbst war dann aber das Gegenteil des propagierten Internationalismus – so war der Alltag und vor allem die Begegnungen mit den SowjetbürgerInnen, aber auch den anderen »nationalen« Brigaden eng reglementiert und kontrolliert. Der Grund für die meisten ArbeiterInnen, sich einer Brigade anzuschließen, war die attraktive Bezahlung, auch in Devisen, und andere Privilegien.
Die Erfahrungen auf den Baustellen waren für viele der TeilnehmerInnen prägend – in Ostdeutschland werden noch heute Jahrestreffen der PipelinearbeiterInnen veranstaltet, es gibt mehrere Vereine, Memoiren, ein kleines Privatmuseum, in Chemnitz war eine große Ausstellung. Auch in Tschechien taucht das Projekt heute gelegentlich in den Medien auf.
Der Beitrag untersucht anhand der tschechoslowakischen und ostdeutschen Fälle den Wandel der "anderen Räume" des Sozialismus – das Verhältnis von Raumkonstruktion, nationalem und lokalem Kollektiv und der Rolle des Individuums. Zum einen sollen die verschiedenen Beziehungen der "anderen Räume" des Internationalismus zum nationalen Raum der sozialistischen Staaten untersucht werden – der Zugang, die materiellen Austauschbeziehungen, die sozialen Verhältnisse. Zum anderen ist das Beispiel auch besonders interessant für eine Untersuchung der Utopien und der Konstruktionen von Kollektiven. Im sozialistischen Osteuropa dienten die Baustellen als sozialistische Utopie – als "anderer Raum" der Zukunft – aber gleichzeitig als eine Verbindung mit der kapitalistischen Welt.
In den heutigen Konstruktionen dieser "anderen Räume" haben sich die Vorzeichen verschoben. Das (imaginierte) Kollektiv wird durch seinen Vergangenheitsbezug definiert. Die Frage wäre nun, wie genau in diesen Konstruktionen Räume, Zeiten, gesellschaftliche Diskurse und Figuren zusammenlaufen, und welche Rolle darin das Kollektiv und das Individuum spielen.
Accompanying the project was an intensive propaganda. In the press, in books, movies and public events, the construction sites constituted a projection screen for the prospective socialism, shared work and international cooperation. But the work on the building sites then was the opposite of the propagated internationalism - the daily life, and even more so the encounters between the citizens of the Soviet Union, and also those of the other ‘national’ brigades, were restrictively regulated and controlled. The reason most workers joined the brigades was the appealing pay, in currency, and other privileges.
The experience on the construction sites were formative for many participants – annual meetings for pipeline workers are still organized in eastern Germany, there are several associations, memoirs, a little private museum, in Chemnitz there was a large exhibition. In the Czech Republic the project occasionally emerges in the media today. The article examines by means of Czechoslovakian and East German cases the change of the ‘other places’ of socialism – the relation of space construction, national and local community and the role of the individual. On the one hand, the different relations of the ‘other places’ of Internationalism to the national place of socialistic states is to be analyzed – the access, the material exchange relationships, the social situation. On the other hand, this example is especially interesting for a scrutiny of utopias and the construction of communities. In socialist Eastern Europe the building sites served as socialist utopias – as the ‘other places’ of the future – but simultaneously as a connection to the capitalist world.
In the contemporary construction of these ‘other places’ the auspices shifted. The (imagined) community is defined by its reference to the past. The question now would be, how exactly in these construction spaces, times, social discourses and figures merge, and which roles the collective and the individual plays in it.
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Editor
Venue: HS, Inst. Slawistik, AAKH / Campus
The programme is to be found here, the abstracts are available as Balkan Studies 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, and as pdf.
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