Nicht-Museum Sarajevo

posted by Katalin Teller on 2008/05/28 14:57

[ Bosnien | Bosnia ]

Der Reiseanlass war zwar weder Touristik noch wissenschaftliche Neugier, sondern durchaus familienmäßig bedingt, und zwar dank einer einjährigen Nichte, die zu mütterlichen Arbeitszeiten etwas Aufmerksamkeit von ihrer Tante abverlangte, es konnten jedoch in der bosnisch-herzegovinischen Hauptstadt jenseits von Spiel- und Marktplätzen und Cafés (umwerfende Limonaden!) emblematische Stätten aufgesucht werden, die allerdings einen (mich) nachdenklich stimmen konnten.

So z.B. das so genannte Stadtmuseum an der Ecke der Brücke, wo Franz Ferdinand samt Gemahlin von Gavrilo Princip erschossen wurde, mit seinem zwar durchaus behilflichen Kartenverkäufer/Museumswärter, aber mit der ebenso hilflosen ständigen Ausstellung zur Sarajevoer Stadtgeschichte. Das aus einem einzigen Raum bestehende Museum sprach noch am intensivsten die Nichte an, die von dem äußerst dilettantisch und dazu noch lebensgroß präsentierten, verstaubt angezogenen Thronfolgerpaar zu kreischend-fröhlichen Gejohlen animiert wurde, während die Vitrinen anhand wenig aussagekräftiger Reliquien, in einer nicht nachvollziehbaren thematischen Gewichtung einschlägige und mehrheitlich landessprachliche Auskunft über die städtischen Geschicke zu geben versuchten. Nicht nur, dass sich die auf diese Weise feilgebotene Historie mit dem Zweiten Weltkrieg aufzuhören schien, sondern auch, dass von – in diesen Gegenden durchaus gängigen – brisanten Themen wie Nationalismus, Religionskonflikte oder aber auch der radikal unsystematischen Stadtarchitektur mit einer Mittel- und Wortkargheit berichtet oder eben zutiefst geschwiegen wurde, die einfach meilenweit von der Idee des Repräsentativen entfernt ist. Nichts gegen Patchwork-Prinzipien und auch nichts gegen (wohl aus Platzgründen erzwungene) Knappheit, aber gerade Sarajevo, dessen ältere und jüngere Vergangenheit alles andere als langweilig ist, würde einen Schauplatz verdienen, der nicht nur Kindesaugen und -gemütern Rechnung trägt.

Die Frage, warum der Besucher mit einem anscheinend mangelnden Gefühl für Musealisierung oder einfach für eine informative und gegebenenfalls anspruchsvolle Vergangenheitsaufarbeitung in den besagten Breitengraden konfrontiert werden muss, kann ich überhaupt nicht beantworten, aber ähnlich inspirativ war der hinweisschildslose Ausflug zum so genannten Tunnel, dem Nabelschnur der Stadt während der 1400-tägigen Belagerung und Bombardierung. Aus dem ursprünglich 800 Meter langen unterirdischen Gang, in dem Wasser, Lebensmittel und Medikamente sowie Verwundete und Flüchtlinge transportiert und Elektrizitäts- bzw. Telefonleitungen gelegt wurden, sind 25 Meter zugänglich geblieben, während jetzt das Einfamilienhaus der Kolárs, in dessen Räumlichkeiten der Eingang zum Tunnel mit der dazugehörigen Infrastruktur ausgebaut wurde, als museale Einrichtung dient. Ein Amateurvideofilm von 20 Minuten und ohne Kommentar bzw. ein A4 Blatt mit der kurzen Geschichte des Tunnels sind noch wohl die informativsten Elemente des Hauses, während die (zum Glück!) erhalten gebliebenen Gegenstände wie Karren, Röhre, Erste-Hilfe-Kasten, notdürftig zusammen gebastelte Werkzeuge usw. sowie die Danksagungen an die Kolár-Familie, die in den engen Fluren und zwei Zimmern des Hauses aufgestaut wurden, wiederum eine ausstellungstechnische Willkürlichkeit zu Tage treten lassen, die vielmehr geeignet ist, auf eine – z.T. sehr wohl berechtigte – Selbstbeweichräucherung der Familie auszulaufen, als einen zeitgeschichtlichen Zugang zu begründen, auch wenn das Versprechen, die Reliquien sollen einem zukünftigen Museum an diesem Standort zugute kommen, auf einem anderen A4 Blatt verkündet wird.

Warum die Präsentation dieser 1400 Tage oder überhaupt der kriegerisch-beweglichen Zeiten der Stadt eher den professionelleren filmischen und literarisch-essayistischen Zünften überlassen wird, bleibt mir, wie gesagt, ein Rätsel. Die Verlagerung der kritischen Auseinandersetzung mit dem Geschehenen in andere Medien als das Museum muss natürlich nicht beargwöhnt werden, im Gegenteil. Nur eine solche institutionelle Nichtbeachtung oder Herabwürdigung von Historie und ihre Verbannung aus dem Stadtgefüge scheint mir alles andere als produktiv zu sein.


Antworten

01 by ush at 2008/05/28 17:37 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten
2 replies (click to show/hide)

Dass das alles so dilettantisch scheint und die Präsentation der 1400 Tage Film und Literatur überlassen wird, hat vor allem banale monetäre Gründe. Förderungen für Ausstellungen, Museen u.ä. stehen in Bosnien nicht gerade hoch im Kurs.

01 by Katalin Teller at 2008/05/28 18:00 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten

Bin überhaupt nicht überzeugt, dass sich die Kurzsichtigkeit und der Geldmangel der Ausstellungs-, Museums- und Förderungspolitik notwendigerweise in Dilettantismus oder zumindest im Schein des Dilettantismus niederschlagen müssen.

01 by ush at 2008/05/28 18:04 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten

Eine unbedingte Folge MUSS das sicher nicht sein. Ich selbst finde diese Folge als Politikum, wenn man dies dann denn öffentlich macht, gar nicht so schlecht. So weit allerdings sind wir hier noch lange nicht.

< previous Posting next >

<< previous Topic

Redaktion

You are welcome to participate in this blog. Please, post your comments and suggestions either by using the button "reply" at the bottom of each blog or send them to redaktion@kakanien.ac.at.
> RSS Feed RSS 2.0 feed for Kakanien Revisited Blog Redaktion

Calendar

Links