Südslawistische Wendezeiten

posted by Elena Messner on 2008/03/04 17:12

Der seit 1991/92 im ehemaligen Jugoslawien ausgebrochene Krieg und seine Konsequenzen machte die Neuorientierung der wissenschaftlichen Disziplinen "Südslawistik", "Jugoslawistik" oder "Serbokroatistik" im "südslawischen“ wie auch im "deutschen“ Sprachraum notwendig. Die ehemals jugoslawischen Republiken Kroatien, Bosnien und verspätet auch Montenegro verankerten in ihren Verfassungen die Staatssprachen (Kroatisch, Bosnisch, Montenegrinisch) und leiteten so das vieldiskutierte "Ende des Serbo-Kroatischen" oder "Kroato-Serbischen" ein. Ich versuche in einem kurzen Überblick die wissenschaftsgeschichtlichen Diskussionen rund um die oben genannten Begriffe und die damit verbundenen Ansprüche an die Disziplinen einer Südslawistik zu skizzieren: vgl. Elena Messner: "Die Frage der Südslawistik/Jugoslawistik/Serbokroatistik nach 1991" auf Kakanien Revisited. Diesen Über- oder Rückblick unternehme ich aus einer kulturwissenschaftlichen und literaturwissenschaftlichen, also betont nicht linguistischen Perspektive.

Es fällt nämlich auf, dass auf dem Feld der Sprachwissenschaft auf diese aktuellen Entwicklungen rasch reagiert wurde und es an zeitgenössischen Publikationen zur Frage des "Serbokroatischen" und der Einzelsprachen, also den Gemeinsamkeiten, Unterschieden und der aktuellen Sprachpolitik sowie deren Einfluss auf die Sprachentwicklung, nicht mangelt. Kulturwissenschaft und Literaturwissenschaft aber sind merklich weniger in Publikationen vertreten. Ein Beispiel dafür ist etwa folgender Sammelband: "Die Südosteuropa-Wissenschaften im neuen Jahrhundert. Akten der Tagung vom 16.-19.10.1999 an der Universität Leipzig", herausgegeben von Uwe Hinrichs und Uwe Büttner, 2000.

Die Kurzinformation zu diesem Sammelband lautet: "Zehn Jahre nach dem Ende des Kommunismus, unter dem Eindruck des Kosovo-Krieges und kurz vor dem Beginn des neuen Jahrhunderts haben die Autoren versucht, eine Bilanz der Forschungen über Südosteuropa zu ziehen, den Entwicklungsstand zusammenzufassen und die wichtigsten Perspektiven vor dem Hintergrund der Europäischen Integrationsprozesse aufzuzeigen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Geisteswissenschaften, genauer die Philologien und die Linguistik der Sprachen in Südosteuropa." Tatsächlich ist dies ein Sammelband von linguistisch großer Bedeutung, kultur- und literaturwissenschaftlich Relevantes aber zeigt er nur marginal auf. Daher fand diese Publikation auch keine besondere Berücksichtigung in meiner Darstellung, wie auch allgemein die linguistisch relevanten Neuerungen seit 1991 weniger Beachtung fanden. Hervorzuheben sind aus diesem Sammelband neben den linguistischen Untersuchung quasi nachträglich das Vorwort von Uwe Hinrichs ("Südosteuropa und Leipzig") sowie der kulturwissenschaftlich orientierte Beitrag von Gabriella Schubert "Zu den Aufgaben der Balkan-Ethnologie im 2. Jahrhundert“. Insbesondere zweiter bietet sehr interessante Überlegungen zu einer Konzeption der "südosteuropäischen Kulturwissenschaften" sowie einen allgemeinen Rückblick zu ebendiesen, wobei das Publikationsdatum und daher eine gewisse Un-Aktualität zu berücksichtigen sind.

Die Überbetonung der sprachwissenschaftlichen Aspekte zum südslawischen Raum ist sicherlich auf das allgemeine Problem der "südslawischen Philologie(n)" zurückzuführen, die ihre vorrangige Aufgabe und Funktion oft in der Sprachwissenschaft sehen. Auch wird der Rechtfertigungsdiskurs einer (Süd-)Slawistik oft über die Argumentation des Spracherwerbs als notwendige Zusatzqualifikation auch für nicht-wissenschaftliche Zwecke geführt und also v.a. die Sprache als praktischer Nutzen angeführt, was jedoch nur eine vordergründiger und auf eine breite Öffentlichkeit ausgerichtete Sichtweise ist (vgl. dazu auch Norbert, Franz: Einführung in das Studium der Slavischen Philologie: Geschichte, Inhalt, Methoden, Darmstadt: Wiss. Buchges., 1994, S. 158f ). Als zusammenfassende Bezeichnung für die Sprach- und Literaturwissenschaft einer Sprache ist die Bezeichnung "Philologie“ ohnehin nicht sehr präzise, auch wird sie manchmal als reine Sprachwissenschaft verstanden. Dass die Slawistik (und hier v.a. die Südslawistik) ihre Rolle und Aufgabe noch nicht im gleichem Maße verankert hat wie eine Romanistik, Germanistik oder Anglistik, ist (wissenschafts-)historisch begründbar. Darüber hinaus ist das Phänomen der "neu entstandenen" (bzw. postulierten) Sprachen ein markanteres und konkreter analysierbares Phänomen als die Fragen der gemeinsamen Literaturen und Kulturen auf demselben Territorium.

Dass neben dem "bloßen" Sprachproblem auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens auch kulturelle und literarische Interaktionen, Affinitäten, Parallelen und (v.a. seit 1991 aber auch bereits früher und von jeher) Transformationen und Desintegration stattfand und weiterhin stattfindet, ist jedenfalls gleichfalls von großem Interesse für eine "südslawische" Philologie, und schlug sich daher ebenso in wissenschaftsgeschichtlichen Diskussionen nieder. Damit verbundene Fragen versuche ich nachzuzeichnen, nicht zu beantworten. Auch soll an dieser Stelle noch hinzugefügt werden, dass ich eine Reduktion auf den "Serbo-kroatischen Kulturraum" vorgenommen habe, von ebenfalls großem Interesse wären detaillierter Untersuchungen zu (im deutschsprachigen und "südslawischen" Sprachraum) wahrgenommenen oder verworfenen Gemeinsamkeiten, Parallelitäten bzw. Unterschieden zwischen slowenischer, montenegrinischer, makedonischer, sogar bulgarischer, griechischer, "kosovarischer", etc. Literatur.


Antworten

01 by Katalin Teller at 2008/03/15 21:21 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten

Konstrukt vs. Natürlichkeit scheint nach wie vor ein prinzipielles Problem zu sein: Und gerade jetzt (besser gesagt seit vor 4 Monaten), wo auch noch das Montenegrinische den Status der offiziellen Sprache erlangt hat, kann es kaum von einer abschließbaren Debatte gesprochen werden. Bei einer Sprache, die sich im Grunde nur durch eine weichere Aussprache von dem Serbischen unterscheidet, wird die ganze Geschichte virulent. Ich frage mich nur, wie weit das noch gehen kann, welche sprachpolitischen Selbstenthaltungskuren eingeleitet werden sollen oder eben auch nicht, um eine derartige Aufsplitterung zu verhindern oder eben voranzutreiben. Elena Messners Analyse ist dafür ein toller Beitrag, der neben den Irrwegen der Institutionalisierung auch noch genug Denkstoff bereit stellt, um zu erkennen, dass Heterogenität und Chaos gar nicht so unverwandt gegenüber einander stehen. Oder sind wir bei den fröhlichen Sprachwissenschaften angelangt?

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