Wien Prostitution
[ Gender ]
Domenico Jaconos Essay, der vor kurzem online ging, schildert die soziologischen, historischen und kulturpolitischen Aspekte der Prostitutionspraxis in Wien mit gelegentlichem Ausblick auf die Monarchie. Als Gedankenversuch beinhaltet er auch eine spannende Beschreibung eines Spaziergangs, der von einem jungen, gut situierten Wiener in den Pratergegenden unternommen wird.
Ein kleiner Auszug aus dem Essay soll nun zur Mitverfolgung des Spaziergangs einladen:
Wir beobachten einen jungen Mann, wie er abends, solide gekleidet mit Hut und Überzieher,
einen Spazierstock schwenkend die Praterstraße stadteinwärts schlendert. Gerade eben kam er aus dem »Edison-Theater«, einem der fünf Cinémathographen des Wurstelpraters. Er hatte dem Anzeigenteil der Neuen Freien Presse entnommen, dass dort ein "Herrenabend" mit film piquants stattfinden würde. Auf dem Programm stand u.a. Eine moderne Ehe, eine Produktion der Wiener "Saturn-Film". Davor, bei Stelze und Bier in der "Schweizer Meierei", war er sich noch nicht sicher gewesen, ob er das Lichtspieltheater aufsuchen sollte. Wenn ihn jemand erkannte? Aber dann hatte er dieses sehr junge Ding gesehen, ein Blumenmädchen, das mit einem Strauß verwelkter Veilchen an seinen Tisch herangetreten war, unter ihrem abgenutzten Mantel aber anzügliche Fotografien und billig aufgemachte Dirnenromane anbot und dazu auch noch kokett lächelte. Er wusste, dass diese Hausiermädchen mit einem ohne weiteres in die angrenzenden Praterauen gehen würden. Dort hinten, wo sich der Auswurf des Wiener Straßenstrichs zwischen Bäumen und
Sträuchern versteckt feilbot, weil er zu jung, zu alt oder zu krank war, um sich anderswo
sichtbar zu vermieten, würde sie dann für einen Sechser die Röcke lüpfen. Wie alt sie wohl
war? Das Mindestalter für Prostituierte war erst kürzlich von 14 auf 16 Jahre angehoben
worden. Aber die da war doch noch ein Kind! Da würde er sich glatt strafbar machen, das
musste er als Jurist doch wissen. Außerdem war sie völlig verwahrlost, wahrscheinlich verlaust und sicher luetisch. Nein, mit der Syphilis wollte er sich kein Verhältnis anfangen,
denn das wäre ein unauflösbares.
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