Gusenbauer vs. Dath

posted by Katalin Teller on 2009/01/06 12:52

[ Bücher | Books ]

Der schleppende Anfang des Jahres mit all seinen Feiertagen scheint nicht nur eine reichhaltige Lesetätigkeit zu begünstigen, sondern sorgt auch für einen vielleicht befremdend wirkenden Kompilationsdrang des Gelesenen. In der Wochenendnummer der Presse ist ein Aufsatz von Alfred Gusenbauer unter dem Titel Und jetzt? erschienen, der mich so geärgert hat, dass ich mich genötigt sehe, abseits des wissenschaftlichen Anspruchs dieses Weblogs meinem Ärger einen relativ freien Lauf zu geben.

 

Die gute Absicht des Ex-Bundeskanzlers ist freilich nicht zu bezweifeln, indem er mit Hinweis auf die historischen Hintergründe für die Erneuerung und Internationalisierung der Sozialdemokratie unter der Parole, es gehe immer noch zu vielen Menschen zu schlecht auf Erden, aufruft. Wie er das tut, ist dennoch eine Ohrfeige für eine erfrischende Diskussion: Rhetorische Versatzstücke, ins Dogmatische neigende Ausformulierungen und generell ein unglaublich langweilig gehaltener Ton sind alles andere als Stützen für eine als glaubwürdig anzunehmende Initiative. Wozu noch Aussagen wie "Heute kann festgestellt werden, dass die österreichische Sozialdemokratie den Zustand der Gesellschaft entscheidend mitgeprägt hat und gleichzeitig selbst durch die gesellschaftliche Entwicklung geprägt wurde"? Oder in Form einer längeren, aber genauso wenig sagenden Zukunftsparole:

 
Die Multipolarität und damit Komplexität der Systeme mögen zugenommen haben, dessen ungeachtet ist die damit verbundene Herausforderung anzunehmen – denn die gravierenden Probleme des 21. Jahrhunderts erfordern europäische und tatsächlich internationale Lösungen. Die Sozialdemokratie wird dabei nicht ihre Grundsätze der Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Solidarität über Bord zu werfen - sie haben sich über die Jahrzehnte hinweg bewährt und als richtig erwiesen. Sie muss jedoch, wohl auch im Geiste ihrer Gründer, verstärkt österreichische, europäische und letztlich internationale Ebenen finden und gestalten.
Zugegeben, meine Frustration wurde andererseits von einem gegensätzlichen Beispiel angefeuert: Diethmar Daths Büchlein (Maschinenwinter. Wissen, Technik, Sozialismus. Eine Streitschrift. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2008) ist nämlich diametral dem entgegengesetzt, was Gusenbauer zu bieten hat, was allerdings auch einer erweiterten Fragestellung zu verdanken ist. Argumentative Brillanz, Witz und Streitlust im besten Sinne, kein Um-den-heißen-Brei-Herumreden. Klar, Dath vermischt alles Mögliche und driftet stellenweise auch ins Kleindogmatische ab, aber er tut es bewusst, auf sich selbst reflektierend und elegant, ohne Elan einzubüßen, und mit toll gezielten Fragen wie diese:
 
Wir haben vor wenigen Jahren erlebt, daß Menschen aufgrund ihrer für realisierbar gehaltenen Wünsche ihr Gesellschaftssystem ändern können. Wieso soll dem Kapitalismus nicht ähnliches widerfahren, wenn die ihm Unterworfenen merken, daß ein besseres Leben ohne Klassenlotterie zu haben ist und daß die Wahrscheinlichkeit, daß Leute mit den falschen Eltern es im Kapitalismus zum angenehmen Dasein bringen, mit jeder Runde im immer gleichen Spiel um Positionsvorteile in der Nahrungskette geringer wird? (p.105)
Besonders mit Blick auf Gusenbauers Langweiler (treffend heißt es in einem Kommentar: "Die endlose Suada über die Heldenzeit der Arbeiterbewegung ist aber leider sterbenslangweilig") erscheinen mir folgende Sätze Daths nicht nur als Pointe, sondern auch als quasi Warnungsworte an Ersteren:
 
Wir, die wir Bücher wie dieses schreiben oder lesen, könnten, wenn wir die politischen Gemeinsamkeiten zwischen sozialen Gruppen nur im Symbolischen suchen, in ein paar Jahrzehnten für alle, die dann noch um Rechte, Würde und Wohlfahrt kämpfen, so aussehen wie Wovoka und seine Geistertänzer [die für eine vage Ideologie mit ihrem Leben bezahlt haben, K.T.], wenn uns immer nur symbolische Gemeinsamkeiten mit denen einfallen, die schlechter dran sind als wir selbst.
Geistertanz, postmodern: leer kreiselnde, vom abstrakten Dagegensein bedröhnte Phrasenproduktion um "Aktionsniveaus", "verbindliche Zielvorgaben", "gemeinsame Plattformen", Gekabbel zwischen winzigen Grüppchen (und innerhalb derselben), ernste Eingaben an den Weltgeist um "Ausgrenzung", "Bündnisse" oder um den "Aufbau eigener Strukturen". Aufhören, bitte. (p. 120)
Ja, bitte. Und lasst uns ein neues Jahr beginnen.

Antworten

01 by PP at 2009/01/07 17:39 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten
2 replies (click to show/hide)

Sind das nicht zwei sehr verschiedene Texte, die gegen einander zu halten ein wenig an den Versuch erinnert, einen Roman, an dem man keinen Gefallen findet, mit einem feurigen Gedicht der neuesten Wortkompilationsmode, das einen hinreichend entzückt (allein schon: "Maschinenwinter"), zu messen? Und ist ein anonymer, geposteter Kommentar in der Presse, der der Arbeiterbewegung zum x-ten Mal am Zeug zu flicken sucht, nicht bereits zehnmal langweiliger denn jede Auseinandersetzung mit neuen Pointen? Politik vs. Pointe, sozusagen... (Überdies legt der Blogtitel nahe, dass es um eine Auseinandersetzung von Gusenbauer und Dath ginge, was selbstverständlich zum einen eine im Weblog-Sektor als legitim auffassbare Suggestion ist. Nur wäre vielleicht auch eine pointenreichere Gegenüberstellung angemessen bzw. sollte real gestaltete politische Arbeit und deren Resümee nicht ohne entsprechenden Bezugspunkt bleiben. Dath, bei aller Wertschätzung, ist dies nicht.)

01 by Katalin Teller at 2009/01/07 20:17 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten

Nein, das finde ich ganz und gar nicht. Gusenbauers und Daths Texte sind beide als programmatische, dem Feuilleton verwandte Aufsätze konzipiert, und - was die zwei auf jeden Fall verbindet - beide versuchen, auf die von Gusenbauer gestellte Frage "Und jetzt?" eine Antwort zu geben. Aber eben grundsätzlich anders: der eine ohne, der andere mit Überzeugungskraft, der eine lahm, der andere mit Elan. Bei aller Sympathie für den Ex-Bundeskanzler: Er hätte diesen Artikel einfach nicht veröffentlichen sollen, weil er - ich kann es nur wiederholen - flach, langweilig und nichts sagend ist. Die Betitelung wollte selbstverständlich gar nicht den offenen Konfrontationsfall beider suggerieren - dies erfolgte einzig und allein in meinem Kopf, was ich gleich im ersten Absatz klar zu machen versuchte. In puncto Pointen- und Bezugspunktreichtum und -bereicherung: Ich glaube, mehr verdient diese ganze Geschichte auch nicht - die Schlüsselgedanken beider ähneln sich ja eh genug, nur dass Dath diese - mir zumindest - glaubwürdiger, frischer und lebensnaher vermitteln kann.

01 by PP at 2009/01/08 09:55 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten

Nun denn: Das eine sind 130 Seiten, das andere - grob geschätzt - 18.000 Zeichen. Die je beiden Anliegen der allein schon in ihrer medialen Verfasstheit je unterschiedlichen Texte sind nicht zur Deckung zu bringen. Dass sich Gusenbauers Text aus gegebenem Anlass - 120 Jahre Hainfeld und die Zusammenführung von zwei bis drei Strömungen der Arbeiterbewegung - wesentlich auch mit einem Rückblick befasst, wäre etwa stärker zu berücksichtigen. Daths Vorhaben ist dem gegenüber ein durchgängig anderes, und die dafür/-bei aufgezogene methodisch-ideologische Grundimplikation - ein Marxismus ohne geschichtlich orientiertes Notwendigkeitsverdikt, gleichzeitig die Abwendung der allzu simplen Maschinenstürmerthese - soll durchaus so sein. Gusenbauer spricht aber eben sehr konkret von vergangenen Kämpfen und Diskursen (dies durchaus im Foucaultschen Sinne, gerade wenn man den im Blog zitierten inkriminierten einen Satz bedenkt), um dann von Fragen betreffend den Staat und die Auseinandersetzung mit demokratischen Verhältnissen ausgehend Perspektiven und - ja, wohl auch - Forderungen zu formulieren. Ich sehe, kurz gesagt, weiterhin keine Notwendigkeit für den stilistischen Vergleich, das ist mir immer noch viel zu sehr Gemüse- und Obstgarten und zuwenig an Konkretem. Spannender wäre es m.E., hier die beiden Texte zusammen zu denken: etwa Gusenbauers Aufforderung der Sozialdemokratie auf nationaler-EU-internationaler Ebene zu agieren mit Daths Freiheitsperspektive. Was aber eben nicht ohne weiteres geht. Weil die beiden Texte und ihre Voraussetzungen sich zu sehr unterscheiden.

02 by ush at 2009/01/10 10:59 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten

In Ermangelung Dath'scher Lektüreerfahrungen abseits der von Katalin zitierten Stellen will ich gar nichts Fundamentales zur Vergleichbarkeit sagen. Aber doch deutlich zustimmen, dass im Gusenbauer'schen Artikel eigentlich das einzige Nichtlangweilige der historische Rekurs ist. Der nämlich ist - in Maßen - genau und als Geschichte erzählt.

Die zweite Hälfte, die sich der SPÖ in ihrer angenommenen Wichtig- und Mächtigkeit widmet, ermangelt jedoch jeden Details, auch wenn all die wunderbaren Schlagworte der ungleichen (zu ver-gleichenden) Güter- und Möglichkeitsverteilung, des gesellschaftlichen Einflusses, der Basis im Volk etc.pp. erwartungsgemäß vorkommen. (Unsachgemäß: Ich sehe jedes Mal ein Pop-up-Fenster vor dem inneren Auge mit Glockenschlag.) Sagen, aussagen, definieren, vorschlagen tut Herr Gusenbauer jedoch nichts, bietet nur ein linguistisches Gebilde, das noch mehr als Ausschreibungstexte gleichzeitig versucht, programmatisch zu sein (die Pop-up-Fenster) und nichts vor/zu/schreiben.

Ohne Zweifel - als Verfasserin von Ausschreibungen und Programmen sage ich das - ist diese Form der Schreibens ohne Einschreiben eine Kunst. Polysemantische und kontextegebundene Begriffe und Teilaussagen müssen so verbunden und kombiniert werden, dass sie das Bedeutungsfeld möglichst offen lassen, Eingriffsmöglichkeiten bieten und sich einer echten Diskursmacht entziehen. Sie sollen ja zu Aktionen führen. Was ich jedoch an diesem Text und fast allen anderen ähnlichen Texten vermisse, sind die Ruhepunkte der semiologischen Weitschweifigkeit, an denen tatsächlich etwas Bestimmtes behauptet wird, die zu einer tatsächlichen Positionierung herausfordern, die in gewissem Sinne den allzuweiten Horizont auf einen Punkt hin einengen.

Die Multipolarität und damit Komplexität der Systeme mögen zugenommen haben, dessen ungeachtet ist die damit verbundene Herausforderung anzunehmen – denn die gravierenden Probleme des 21. Jahrhunderts erfordern europäische und tatsächlich internationale Lösungen.

Aussageflächen, offene Horizonte nach allen Seiten - Multipolarität (also genau keine Polarität), Komplexität (welche, wo, wie?), Herausforderung (wozu? auf welcher Bais) - tun das nicht. Sie überzeugen mich weder von gravierenden Problemen eines Jahrhunderts noch zu einem Zwang nach Lösungen.

Was ich folgere: Ich sollte die Art meiner Ausschreibungen überdenken.

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