[ Europa | Europe ]

Dragan Velikić's Denken als Schriftsteller kehrt immer wieder zu Mitteleuropa zurück. In seinen Romanen, v.a. in Der Fall Bremen, erkundet er in verschiedenen Zeitebenen und an weit verstreuten, aber doch miteinander verbundenen Orten die Karte Mitteleuropas.

Auch in seinem Kurzessay Mitteleuropa. Ein Gedanke schreitet Velikić diesen Chronotopos ab. Chronotopische Besonderheiten und Paradoxien sind es, was 'Mitteleuropa' ausmacht. Velikić stellt die temporal ausgerichtete Karte Mitteleuropas der reinen Geographie des 'Mittelmeerraums' gegenüber.

Mitteleuropa, das, auch wenn es heute ist, irgendwie immer in der Vergangenheit liegt oder zumindest das Jetzt mit einem Übermaß an Damals überschreibt, kommt dabei dem sog. "Habsburgischen Mythos" nahe. Mitteleuropa ist immer peripher und von einem steten Verschwinden und weiter in die Vergangen Zurückweichen erfasst. Als Thema ist es zentral, doch es feiert die Peripherie in jeder Hinsicht, vor allem in zeitlicher.

Man kann Velikić's Mitteleuropa jedoch nicht nostalgisch nennen. Es ist nicht von Sehnsucht nach dem Vergangenen gezeichnet, eher von Irritation darüber, nie der Erste in Mitteleuropa sein zu können. Es war immer schon jemand anderer vorher da. Vielleicht, weil Mitteleuropa vor allem auf einer literarischen Landkarte verzeichnet ist. Ähnlichkeiten mit tatsächlich existierenden Orten, Zuständen und Zeiten sind rein zufällig, wenn auch nicht unbeabsichtigt.

Der kurze Essay basiert auf Dragan Velikić's Präsentation bei der Podiumsdiskussion (Wolfgang Müller-Funk, Alexandra Millner, Ursula Reber, Angelika Pfaller, Dragan Velikić, Peter Stachel) zur Buchpräsentation von Zentren, Peripherien und kollktive Identitäten in Österreich-Ungarn am 11. Mai 2005 in der Diplomatischen Akademie.