Call for Papers-Call for Applications - Part 49

posted by usha on 2005/12/08 09:31

[ Call for Papers-Call for Applications ]

Das Heft für 2006 von Archiv für Mediengeschichte wird vorbereitet. Dafür ist der folgende Call for Papers zum Thema Kulturgeschichte als Mediengeschichte (oder vice versa)? ausgeschrieben:

In der Nachfolge Cassirers und Foucaults scheint sich seit den 80er Jahren ein Erbfolgekrieg um den seit der Abdankung einer "Kritik der Vernunft" vakanten Thron des Transzendentalen abzuspielen. Seit der Renaissance der Disziplin Kulturwissenschaft in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts treten Kulturgeschichte und Mediengeschichte dabei in einer Allianz auf, die sowohl die Form der Intrige als auch des Zweckbündnisses haben kann. Symptomatisch scheint in jedem Fall zu sein, dass in dieser Allianz der Kulturbegriff wie auch der Medienbegriff von den verschiedenen Seiten in Anspruch genommen wird, die Grundlage jedoch, auf der dies jeweils geschieht, im Dunkeln gelassen wird.

Ausgehend von dieser Beobachtung diskutiert die nächste Ausgabe des Archiv für Mediengeschichte (2006) daher die verschiedenen wissenschaftstheoretischen, methodologischen oder historischen Figurationen, in denen das Verhältnis von Mediengeschichte und Kulturgeschichte zu denken und zu beschreiben wäre. Untrennbar verbunden mit dieser Frage ist die Frage nach der Ebene, auf der das Verhältnis von Kultur und Medien selbst anzusiedeln ist: auf der Ebene beobachtbarer (historischer) Realität oder auf der Ebene des Beobachters.

Zwar haben Kunst- und Kulturwissenschaftler regelmäßig auf die mediale Vermittlung von Kultur als ein wesentliches Element des Kulturbegiffs selbst hingewiesen. Andererseits haben Autoren mediengeschichtlicher Studien diese oftmals als Exempel einer medienhistorisch orientierten Kulturwissenschaft ausgegeben. Aber sowohl die Verfasser von Mediengeschichte(n) als auch die Verfasser von Kulturgeschichte(n) umschiffen regelmäßig die Auseinandersetzung mit der Frage, welcher Art die Relation zwischen Medien- und Kulturgeschichte ist. Enthält die Kulturgeschichte die Geschichte der Medien oder umgekehrt? Beerbt die Mediengeschichte die Kulturgeschichte? Stehen sie nebeneinander, übereinander oder überkreuz? Dient die eine zur Beobachtung der anderen?

Die seit langem etablierten Begriffe Buchkultur, Briefkultur, Computerkultur, digitale Kultur lassen eine Pluralität von Kulturen erscheinen, die sich offenbar durch die Beobachtung der einem bestimmten Medium (Buchdruck, Brief, Computer) zugeschriebenen sozialen, ökonomischen, kunstgeschichtlichen, wissenschaftsgeschichtlichen usw. Effekte definieren. Umgekehrt scheint es außer Zweifel zu stehen, dass Medieninnovationen ihrerseits kulturell bedingt sind.

Das Archiv für Mediengeschichte 2006 lädt zu historischen wie systematischen Untersuchungen dieses Themenkomplexes ein, wobei Einzelfallanalysen ebenso willkommen sind wie theoretische und methodologische Auseinandersetzungen, für die u.a. folgende Schwerpunkte und Perspektiven vorgeschlagen werden:

  1. Kultur- oder Medienanthropologie? Cassirers neokantianischer Formel: "Die Kritik der Vernunft wird zur Kritik der Kultur" steht seit dem Auftreten einer an Foucault orientierten Mediengeschichtsschreibung eine alternative Formel zur Seite: "Die Kritik der Vernunft wird zur Kritik der Medien." Heißt Mensch sein, unter den Bedingungen der Möglichkeit von Kultur leben oder unter den Bedingungen der Möglichkeit von Medien leben? Sind Medien Teil der Kultur oder ist Kultur die besondere Art und Weise wie durch Medien bestimmte Handlungen, Kommunikationen und Erwartungserwartungen bobachtbar werden? Ist die Medienkritik Erbin der Kulturkritik?
  2. Kunstgeschichte und Mediengeschichte. Längst ist die Kunstgeschichte in eine produktive Auseinandersetzung mit der Mediengeschichte eingetreten. Seit die Kunstgeschichte begonnen hat, Methoden und Sichtweisen der Kulturwissenschaft ihren eigenen Untersuchungen zu Grunde zu legen, erscheint die Geschichte der bildenden Kunst als Ergebnis der Ausdifferenzierung kultureller Bildpraktiken. Damit ist die Kunstgeschichte in einen – sowohl was ihre Gegenstände als auch was ihre Theorien und Methoden betrifft – erweiterten Kontext eingetreten, in dem sie sich in einem Spannungsfeld zwischen Kulturwissenschaft und Medienwissenschaft wiederfindet. Der Kunstgeschichte kommt daher mit ihrem erweiterten Aufgabengebiet in der Frage nach dem Verhältnis von Kultur- und Mediengeschichte möglicherweise eine Schlüsselfunktion zu. In diesem Kontext wäre auch eine neuerliche Diskussion des Ritual-Begriffs unter medientheoretischen und medienhistorischen Perspektiven angezeigt.
  3. Wissenschaftsgeschichte als Mediengeschichte/Mediengeschichte als Wissenschaftsgeschichte. Mit ihrer Entteleologisierung des wissensgeschichtlichen Prozesses, der Abkehr von der Geschichte der Theorien und der Hinwendung zu den konkreten Praktiken der Konstruktion wissenschaftlicher Tatsachen ist die neuere Wissenschaftsgeschichte seit Latour, Woolgar, Rheinberger, Galison u.a. in eine komplizierte Beziehung zur Kulturgeschichte einerseits, zur Mediengeschichte andererseits eingetreten. Der Begriff "Experimentalkultur" will deutlich machen, dass Wissenschaftsgeschichte Teil der/einer Kulturgeschichte ist, die wiederum bspw. als Geschichte von Visualisierungsstrategien und -techniken greifbar wird. Eine Beschreibung dieser Visualisierungstechniken und -strategien als Medien und damit eine Klärung der Beziehung zwischen dem Prozess der Wissensformation und der epistemologischen Leistung der Medien, ist indes stets nur punktuell und bislang noch nicht systematisch erarbeitet worden.
  4. Systemtheorie. Versteht man unter Kultur die Bedingungen, unter denen Handlungen, Rollen und Systeme beobachtbar sind, was sie einschließen, wie auch das, was sie ausschließen, erscheint Kultur selbst als Medium: als Medium der Beobachtung, das auf die Ebene des Beobachteten durchschlägt. Kultur als Begiff eines Beobachters zweiter Ordnung, schließt dann Kommunikationen und ihre Reproduktionsformen ein, insofern diese unter dem Aspekt auf ihre Selektivität, Kontingenz und Unwahrscheinlichkeit beobachtbar werden, wobei die Performanz dieser Kommunikationen etc. immer schon ihre Beobachtung voraussetzt – das, was beobachtbar ist, ist also rückgekoppelt mit dem Akt des Beobachtens selbst. Auf diese Weise "emergieren" Kulturen stets im Modus ihrer eigenen Dekonstruktion; ihre Umweltblindheit ist eine gespielte, ihre Selektivität eine zitierte, ihre Kontingenz eine selbstgewisse. Lässt sich eine solche Beschreibung von Kultur als Medium selbst an historische bzw. mediale Bedingungen knüpfen?
  5. Dekonstruktion. Das Projekt der Kulturgeschichte wurde bereits um 1900 von Historikern mit Metaphern und Denkfiguren beschrieben, in denen man heute die Arbeit einer Dekonstruktion der Geschichte erkennen kann, setzte der Diskurs der Kulturgeschichte doch stets den Ausfall des transzendentalen Signifikats der Geschichte, ihre ontologisch gedachte Narrativität, voraus. Was sich nicht erzählen lässt, ist nicht historisch, allenfalls statistisch. Inwiefern ist also Kulturgeschichte konstitutionell einer medialen Historiographie zugewandt, die eine statistische Auswertung gesammelter Daten favorisiert? Ist die "Spur" als Figur historischer Evidenz ein gemeinsamer Nenner von Kultur- und Mediengeschichte und trotzdem beiden entzogen?
Beiträge zu diesen und weiteren Aspekten des Themas Kulturgeschichte als Mediengeschichte (oder vice versa) sind höchst willkommen. Die Herausgeber und die Redaktion bitten zunächst um Textvorschläge, die mit einem Kurztext (1000 Zeichen) bis zum 31. Dezember 2005 bei der Redaktion des Archiv für Mediengeschichte – Dr. Markus Krajewski - eintreffen sollen. Ausgearbeitete Beiträge sollten einen Umfang von 30.000 Zeichen nicht überschreiten und bis spätestens April 2006 vorliegen.


Kontakt:
Dr. Markus Krajewski
Fakultät Medien, Bauhaus Universität Weimar
Bauhausstrasse 11
99423 Weimar

Tel.: 03643 / 583840
Fax: 03643 / 583791
Email: Markus Krajewski


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