Gender - Part 22

posted by usha on 2006/09/08 10:00

[ Gender ]

Die Lektüre des Karrierestandards erheitert mich ab und an immer noch.

Dies weniger, weil er von exzellenten Jobangeboten für Akademikerinnen nur so strotzen würde - es braucht wohl kaum gesagt zu werden, dass das Gegenteil der Fall ist -, sondern weil in allergrößter Ernsthaftigkeit die "Businessregeln" von vorvorgestern präsentiert werden.

So gibt Heidi Aichinger in ihrem Artikel vom 12./13. August in der Rubrik "Karriereratgeber" wohlwollende Tipps v.a. an Frauen. Dresscodes sollen "verborgene Botschaften senden, laut Titel. Grundsätzlich kann man dem ja zustimmen, auch wenn, wer versucht diese Codes genau zu übersetzen, sich lediglich eine Fantasiewelt aufbaut, jedoch ganz sicher nicht den Kern - welchen auch? - trifft.

Es kommt im Verlauf der harmlos beginnenden Erklärung zu Kleidung und Botschaft jedoch dicke: Den Autorinnen ist wahrscheinlich nicht bewusst, dass sie eine "Kultur des Ressentiments" (Nietzsche) beschreiben, wenn in aller Ernsthaftigkeit unter einem Topic 'beauty matters' konstatiert wird:

Zudem rät er zur Vorselektion von Bewerbungen durch nicht direkt von einer Einstellung betroffene Personen. Kandidaten können aus dem Auswahlprozess ausgeschieden werden, weil diese "zu gut" oder "zu schön", also direkte und starke Konkurrenten sein könnten, so Pichler.
Wer gut aussieht kann also per se nicht (professionell) gut sein, gerade weil - v.a. - sie bis dato immer auf Grund dieser reinen Oberfläche bevorzugt wurde.

Leider liegt hier nicht im Geringsten eine intelligente Sophisterei vor, die mit ähnlichen logischen Spielereien, bei denen Wesentliches übersprungen wird, die gesamte Philosphie der "inneren Werte" oder des 'beauty matters' ad absurdum führen würde. In vollem Ernst schließt der Artikel mit Entesexualisierungsempfehlungen für Frauen (von einer Frau): Locken müssen abgeschnitten oder ausgefönt werden; Dekolte, Hintern, Beine müssen bedeckt sein, denn die Weltordnung macht "von Natur aus" die Frau zur Beute, die vom wilden Mann (= Vorgesetzten) angesprungen wird; auffällige Schminke ist erst nach den Wechseljahren erlaubt als Vorgabe des Noch-Beute-Seins, was dann plötzlich zum Zeichen der Macht wird, etc.pp.

Das Ganze wird dann als "statusgemäß" geschönt, so dass möglichst niemand merkt, dass hier nichts anderes als Diskriminierung vorliegt, die sich der ältesten und machistischsten Denkmodelle über Sex und Gender bedient, die ich mir vorstellen kann.

Was ist jetzt eher angesagt, Lachen oder Weinen? Den dies propagierenden Damen und Herren eine Nietzscheausgabe zum nächsten Betriebsfest zu schenken, würde kaum etwas bringen. Die Spezialität einer Ressentimentkultur könnte sehr gut der blinde Fleck beim nicht mal schrägen Blick auf sich selbst sein.


Antworten

01 by anonymous at 2006/09/17 11:59 Bitte registrieren und/oder loggen Sie ein, um zu antworten
Die Lektüre des Karrierestandards erheitert mich ab und an immer noch.
Natürlich findet man derlei Anleitungen nicht nur im Standard - gefunden auch in der Presse, und, so die Vermutung, mit Sicherheit auch im neuen Österreich und seinen zahllosen Farb-Fashion-Frauen-Frust-Beilagen; leidvolle Erfahrungen im Ressourcenpool des AMS, bei dem man sich über die Wahl der Länge von Faltenröcken beim Bewerbungsgespräch, über die Vorteile von Marinejacken (!) und deren Knöpfweisen, der Farbe der Pullover-Weste-Kombi auseinandersetzen musste, und das, wo man sich im Studium mit Mode- und Kostümgeschichte beschäftigt, über 10 Jahre am Theater gearbeitet hat, und, nicht zuletzt, sich mit Fremd- und Selbstbildern, mit Weltausstellungen und neben deren politischer auch mit deren ästhetischen Implikationen beschäftigt hat, zeugen von noch viel Schlimmerem, als man bei der mehr oder minder freiwilligen Lektüre derartiger Tagesblattbeilagen - dem AMS kommt man, zumindest als Frau-Wissenschaftlerin-Kunstschaffende eben nicht aus ... in einer Zeit, in der sich der Jugendwahn langsam wieder zu realistischen Lebenserwartungshaltungen rückgeneriert und man auch als Mitt- und Enddreißigerin wieder mit geschwellter Brust in den Tag und seine privaten und beruflichen "Angebote" blicken darf, sollte man auch damit aufhören (dürfen), sich mit Dresscodes, die weder dem eigenen Körperbau noch dem persönlichen Wohlbefinden entsprechen, beschäftigen zu müssen.
Und doch: Man kommt dem Wochenend-Standard und seinen KonkurrentInnen nicht aus, man liest sie doch, diese "wohlwollende Tipps v.a. an Frauen", man sucht weiterhin verzweifelt nach Annoncen, von denen man sich auch Kunst- und Geistesarbeiterin angesprochen fühlt und nicht gleich - vor allem, wenn man ihn beim Morgenkaffee, in Unterwäsche und alles andere als frisch und lebensbejahend liest - zur sublimen (hier im Sinne von grenzenloser) Angewidertheit dem eigenen Versagen gegenüber animiert sieht. Also: Keine Standard-Wochenendausgabe ungeschminkt, undressed und vor allem ohne geballtes Selbstwertgefühl zur Hand nehmen, oder noch besser: nie ...

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