Paralipomena - Part 7
[ Paralipomena ]
Vor ca. 1 Woche hagelte es nur so Kommentare und unterschiedlichste Stellungnahmen zum "Umwegzeugenbericht" von Peter Handke, der nicht im Prozess von Milošević, sondern in den "Literaturen" 7/8 (2005) aussagte.Jetzt und heute, eine Woche später, ist alles schon wieder vorbei, obwohl ja im Grunde genommen ein Stück Literatur, sei sie Aussage, Bericht, Fiktion oder Fantasie, keine Nachrichtenqualität besitzt, die immer schon bereits gestern inaktuell wurde.
Ich habe mir die Zeit genommen, den Essay gelesen, und reagiere mit Bedacht erst heute auf die Eindrücke, die ich bei der Lektüre auch der Rezensionen und Reaktionen hatte.
Ein Streit zeichnet sich ab zwischen "Politisch-Sein" und "Schriftsteller=Ästhet-Sein", wofür der Kommentar aus dem Jahr 2002, nicht von kürzlich, von Jens Jessen in "Die Zeit" sprichwörtlich ist:
Viel interessanter aber ist zu beobachten, wie unpolitisch, wie letztlich auch an Gerechtigkeit und Humanität desinteressiert Handkes Perspektive ist. Der Inhalt des Prozesses beschäftigt ihn kaum; umso mehr das Drumherum.Ich würde meinen, dass eine Forderung nach Einheitlichkeit der Meinung besteht, wo doch mit unterschiedlichen Messlatten gemessen wird: Hätte Paul Virilio die Bildschirme beim Prozess zum Meta-Signifikanten erhoben, hätte er Beachtung gefunden, der Schriftsteller eben nicht. Gleiche Meinung, d.i. in diesem prekär-prekärsten Falle, Demokratieliebe und Humanismus als rechtlich-gerichtlich fundierter, kann die wirklich gleich sein und gleich geäußert werden? Vielleicht ist sie ja da, auch bei Handke, wie
bei der "Berliner Morgenzeitung" konstatiert:
Man muss das verquere Rechtsbewusstsein Handkes nicht teilen. Aber man sollte geradezu dankbar sein, wenn ein einzelner Dichter den Begründungen unserer chirurgischen Militärinterventionen widerständige Beobachtungen entgegensetzt. Es gehört geradezu zum Anstand solcher im Selbstverständnis polizeilich geführten Nato-Einsätze, dass man auf die Verteufelung des Gegners verzichtet.Wohl wahr. Es scheint bald eine Manie meinerseits zu sein, aber es sei an dieser passenden Stelle auf Hardt/Negri's "Empire" verwiesen, die den Polizeiapparat der universalen Humanität analysieren. Wertungen sind dabei nicht eingeschlossen.
Den Text, bzw. die Serbien-/Balkan-Texte von Peter Handke wiederum in das Rein-Literarische zurückzunehmen, wie es Klaus Kastberger in "Literaturkritik" mit seiner Einbettung in den Werdegang Handkes als Schriftsteller und Medienfreak tut, scheint mir zumindest auch eine missverständliche Strategie. Diese führt dann doch, wenn man das durchaus Politische dieser Literatur weitgehend ausklammert (nicht nur das Medien- und Literaturpolitische), zu Äußerungen wie in der FAZ von Matthias Rüb getanen, dass der Schriftsteller der "Anderswelt" die "tiefere Wahrheit" verkenne (dass Milošević das verkörperte Böse sei).
Was ist nun damit, auch mit dem Beharren Handkes auf dem Kleinen, von Beqë Cufaj am 21.02.2002 schwerstens kritisiert
("Damals sind Handke in Srebrenica die herrlichen Blumen und Obstbäume aufgefallen, während er von siebentausend massakrierten Muslimen nichts wissen wollte. Und im Kosovo lobte er die Ruhe, als ein paar hundert albanische Dörfer brannten und die Bewohner nach Mazedonien und Albanien deportiert wurden"?)Für mich eine delikate Frage, die ich die Verachtung Cufajs nachvollziehen kann, aber auch dasjenige, was Walter Fanta in einer Rezension zum "Großen Tribunal" auf den Seiten vom Literaturhaus Wien als fragile Utopie bezeichnet, die per se politisch ist. Erzähler und Autor treten natürlich auch hier auseinander, und von Unbeteiligtsein - der Fiktion der Beobachterperspektive - kann keine Rede sein:
In der Serbienreise und den Beobachtungen rund ums Tribunal wird das posthistorische Einverständnis der europäischen Intellektuellen mit der Macht (EU, NATO, USA) radikal hinterfragt. In Handkes Fragesätzen stellt sich die langatmig-machtlose Schrift gegen die homogenen Bilderwelten der audiovisuellen Medien und den journalistischen "Zwang zu kürzeren und noch kürzeren Sätzen".Literatur sollte man nicht unbeteiligt lesen. Warum also sollte der oder die, wer Literatur schreibt, unbeteiligt sein? Warum auch sollte es dem, was als der common sense angesehen wird, entsprechen? Es ist schade, dass die Diskussionen um Peter Handkes Serbien-Schriften und Bildoppositionen nicht weitergehen auf eine wirklich beteiligte Art und Weise.
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Antworten
Ich denke, dass es in einer der ersten Linien auch darum geht, dass Handke ein poetologisches Projekt am Laufen hat (das mit dem "Jahr in der Niemandsbucht" seinen umfassendsten Ausdruck fand): Der Versuch, Geschichte im Sinne realpolitischer wie kapitalistisch motivierter Zeitläufte und Erfahrungen aus der Literatur, aus der Poesie, seiner eigenen Arbeit, hinaus zu schreiben. Ein letztlich wahnwitziges Unternehmen. Zum Scheitern nicht deshalb verurteilt, weil es eine dumme Idee wäre (das kann sie nicht sein, ist es doch eine der Optionen schriftstellerischen Handelns), sondern weil gleichzeitig eine Ausblendung von all dem anderen, was Literatur unweigerlich mit bestimmt, gegeben ist.