Veranstaltungen - Conferences - Part 27

posted by SHorváth on 2007/06/06 00:51

[ Veranstaltungen - Conferences ]

Der Sonderforschungsbereich "Norm und Symbol" (SFB 485) der Universität Konstanz veranstaltet am 8. und 9. Juni 2007 die Fachtagung

Stumm oder vertont. Krisen und Neuanfänge in der Filmkunst um 1930

mit folgendem Konzept:
    Anhand der Analyse von öffentlichen und professionell geschlossenen Debatten, welche weltweit den Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm begleitet haben, werden von Tagungsteilnehmern Revolutionen in der Filmdrehtechnik, Herausforderungen der Stumm- und Tonfilmkunst, sowie Kontroversen in der Anwendung medienwissenschaftlicher Theorievokabulare diskutiert. Gab es vor 1926 nur Klaviermusikbegleitung zum Stummfilm, so wurde es mit der Zeit möglich eine lichtdurchlässige gezackte Spur zwischen Bild- und Perforationslöchern zur Tonaufnahme zu installieren. Dabei änderte sich der Charakter des Simulierten. Das "bewegte Bild" wurde zerlegt und wieder zusammengesetzt aus Formen, Tönen und Klängen. Traf die Zerlegung des bewegten Bildes das essentielle Aufbauprinzip der Kinokunst? Enthielten die Synchronisierung und die damit einhergehende Verlangsamung des Bildwechsels auch politische Implikationen? Bedeuteten sie etwa das Stoppen der "Bewegung", die Krise der revolutionären Avantgarde und das Zusammenschrumpfen der Revolution? Um die Existenz solcher Kausalzusammenhänge behaupten oder widerlegen zu können, wird in der Tagung gemeinsam ein heuristischer Interpretationsrahmen gesucht.

    Der große Wert wird auf die medientheoretische Begründung der Ansätze und ihre Visualisierung (Bilder, Videoaufnahmen) gelegt. Die Thesen sollen durch Beispiele aus eigener Forschung plausibilisiert werden. Angesichts des interdisziplinären Charakters der Tagung wären nichtsagende Verweise auf Vorgänger und Forschungskollegen sowie eine eifrige Klassiker-Exegese streng zu vermeiden.



Zu den Abstracts:


Oksana Bulgakowa
Donner und Stille

Die Ankunft des Tons im Kino ermöglichte das Schweigen und die absolute Stille auf der Leinwand, die Fritz Lang in seinem ersten Tonfilm virtuos einsetzte. Die sowjetische Avantgarde verachtete zunächst diese Möglichkeit. Vertovs erstes Experiment, die bruitistische Montage intensiver Geräusche, produzierte den Effekt eines Donners. Dem Ton wurde eine magische Wirkung zugeschrieben, der kakophonische Donner wurde jedoch scharf kritisiert, und die temperierte Musik ersetzte die Geräusche. Die Verfahren Nahaufnahme oder Fahrt wurden in der Tondimension konventionalisiert. Nicht nur die Photogenie der Gesichter und Gegenstände wurde diskutiert, sondern auch die "Tonogenie" der Stimmen und Geräusche. Die Tenöre wurden zu Helden, und der sowjetische Tonfilm belebte die symphonische Form aus dem 19. Jahrhundert – genauso wie das Hollywoodkino. Ich werde versuchen, diesen Übergang am Bespiel Dmitrij Sostakovic zu verfolgen: männliche Stimmen und die Musik in den frühen von Ermler, Jutkevic, Kozinsev und Trauberg.


Natascha Drubek-Meyer
Ejzenstejn - Pudovkin - Aleksandrov: 1 Manifest und 3 Zugänge zum sowjetischen Tonfilm

Noch bevor der Tonfilm in der UdSSR Realität wurde, verfassten Ejzenstejn, Pudovkin und Aleksandrov im Jahr 1927 ein kurzes Manifest Über das Verhältnis von Ton und Bild im Film. Es hatte als zentrale These den "orchestralen Kontrapunkt visueller und akustischer Bilder". Hier noch geeint auf einer Plattform der Theorie der Vor-Tonfilmzeit in der UdSSR sollten diese drei Regisseure später verschiedene Umgangsweisen mit dem Ton entwickeln.

Mein Vortrag wird die drei Wege, die die jeweiligen Regisseure beschritten und auf denen sie sich voneinander entfernten, nachzeichnen. Es wird hier gehen um (1) die Tonfilmexperimente Pudovkins in Richtung Asynchronizität (wie im "Manifest" gefordert): "Dezertir" (1933). (2) Des weiteren - um das Modell von Aleksandrov: Klang als Ideologie des Gehorsams in der Musikkomödie. (3) Und um die schillernde Position Ejzenstejns zu Beginn der 30er Jahre, die aufgrund des Umstands, dass er zu dieser Zeit weder in den USA noch in der UdSSR keine Filme fertig stellen konnte, nicht dingfest gemacht werden kann. Hierzu gehört auch seine Idee, dass das Bild dem Ton folgen soll (das Disney-Prinzip) und seine spätere Kooperation mit Prokofjev.


Barbara Flückiger
Zur Frage des Kontrapunkts im frühen Tonfilm

Im Manifest zum Tonfilm (1928) äußern Ejsenstejn, Pudowkin und Alexandrow die Befürchtung, dass die Tonspur als redundante Verdoppelung optischer Information die Zerstörung der Montagekultur bedeuten würde, und postulierten eine kontrapunktische Anordnung von Bild- und Tonelementen. Der amerikanische Mainstreamfilm hat sich nicht an diese Empfehlungen gehalten, im Gegenteil, die wenigen Geräusche, die im klassischen Hollywood-Kino montiert wurden, bezogen sich fast ausschließlich auf Objekte der bildlichen Darstellung. Anhand dieses Dilemmas, das für die Kunst- und Kulturtheorie bis heute bedeutsam bleibt, werden in der Präsentation technische, wahrnehmungspsychologische und kulturelle Aspekte der filmischen Synchronisierungsverfahren behandelt.


Nadezhda Grigorjeva
Ejzenstejns "Ekstase" und Dziga Vertovs "Enthusiasmus"

Im Vortrag soll die kontrastive Analyse der Begriffe "Ekstase" (Ejzenstejn) und "Enthusiasmus" (Vertov) unternommen werden, die sich in der kinematographischen Praxis beider Regisseure realisierten. Diese Begriffe implizieren zwei Arten der (mystischen) Anthropologie, die Ejzenstejn und Vertov weiterentwickelt haben. Es wird versucht aufzuzeigen, in welcher Weise die Erscheinung dieser "Filmanthropologie" mit dem Übergang von Stumm- zum Tonfilm verbunden ist. Als Beispiele werden Ejzenstejns "Bronenosec Potemkin" (1925) und "Staroe i novoe" (1926-1929) und Vertovs "Odinnadcatyj" (1928) und "Enthusiasmus" (1930) betrachtet.


Sabine Hänsgen
Audio-Visionen im sowjetischen Film um 1930

In meinem Beitrag möchte ich den Begriff der "Audio-Vision" (Michel Chion, Siegfried Zielinski u.a.) in Bezug auf einige ausgewählte sowjetische Tonfilmexperimente diskutieren. Insbesondere geht es dabei um die Auseinandersetzung mit der filmischen Illusion real sprechender Menschen in den "Hollywood – Talkies" durch eine Verschiebung von der Darstellung sprechender bzw. singender Figuren zu der Darstellung einer Radio hörenden Figur (Dziga Vertov: "Enthusiasm"/"Die Donbass-Sinfonie", 1930), durch die weitere Entkörperlichung der menschlichen Stimme in der filmischen Inszenierung von Lautsprechermotiven (Grigorij Kozincev/Leonid Trauberg: "Allein", 1931) und schließlich – in den Experimenten zum gezeichneten Ton – durch die künstliche Generierung einer Stimme über die Visualisierung akustischer Prozesse.


Roland Kazaryan
Die akustische Dimension des kinematographischen Raums

Der einleitende Vortrag setzt an den folgenden filmwissenschaftlichen Problemfeldern an: (1) Die Akustik des Tonbildes im frühen Tonfilm (2) Das Schaffen eines imaginären Raums mit Mitteln des Tons am Material des frühen Tonfilms (3) Eine direkte Tonaufnahme und das Problem der Glaubwürdigkeit des akustischen Raums im frühen Tonfilm (4) Das Tonbild und die zeichenhafte Struktur des Tonfilms (5) Ejzenstejn: zum "Konflikt" des Akustischen und Optischen im Tonfilm (6) Die akustische Dimension des kinematographischen Raums im modernen Filmformat "Dolby Digital".


Jan Levchenko
Arranging nightmare: Towards a sound poetics of "Sole" by Grigory Kozintsev and Leo Trauberg

The paper is dealt with an issue of early sound experiments in Soviet cinema. Among other examples, e. g. "Start in Life" by Nikolai Ekk, "Sole" draws attention not only because it was the very first sound motion picture made in Leningrad but first of all by its surplus interest to conceptual sense of a sound. It’s not amazing. Each brand new technology starts from so-called "romantic" dimension where intellectual sequences of a certain invention are being revealed. Here one can find ingenious attempts to synchronize sound and picture which provide an unique development of sound semantics. Music by Dmitri Shostakovich, voice recordings and even background of noises create very expressive soundtrack that determines audience perception. It’s not often in the Soviet 1930s to combine an optimistic march with sad and constrained face or to follow a heroine’s travel to Siberia only with rattle of wheels. Being an early child of sound revolution "Sole" could be seen as an early case of artistic resistance to Party’s "general line".


Valerie Pozner
Les initiatives du "groupe son"

L'intervention portera sur les répercussions esthétiques des choix technologiques, institutionnels et financiers opérés à l'extrême fin des années vingt. Contrairement à la vision traditionnelle de l'historiographie affirmant le déclin définitif de l'expérimentation, et la mise au pas des avant-gardes dès la fin des années vingt, l'arrivée du son au cinéma insuffla d'abord un vaste mouvement expérimental. Néanmoins, en raison des arbitrages entre les studios et les différentes instances de décision, la plupart de ces projets restèrent sur le papier. Comme cas particulier, on présentera les initiatives du "groupe son" de l'association professionnelle des cinéastes.


Igor Smirnov
Die Welt des Tonfilms (1930-40er Jahre)

Welche neuen ästhetischen und ideologischen Inhalte wurden durch den neu entwickelten Tonfilm im Vergleich zum Stummfilm erschlossen? Die Verbindung des Tons mit künstlerischen Ausdrucksmitteln brachte nicht nur Änderungen in der Montagetechnik und dem Spiel der Darsteller hervor, sondern bewirkte zugleich die Veränderung traditioneller und das Aufkommen zuvor nicht bekannten Genres. Der Tonfilm modifizierte also im Ganzen das Weltmodell, mit dem der Zuschauer bis dahin vertraut war und konstituierte schließlich die filmischen Erzählverfahren unter anderem in Bezug auf das Theater, die Oper und die Literatur neu. Wenn der Stummfilm vom Zuschauer eine aktive Rezeption dessen, was auf der Leinwand vor sich ging, verlangte (der Zuschauer musste mitdenken und das nur Gesehene vervollständigen), so drängte der Tonfilm als eine polymediale, redundante Botschaft, den Zuschauer in eine passive Position. Als ein maximal, mehrdimensional wirkendes Medium, als "Ästhetik der Überwältigung" (Corinna Müller, "Vom Stummfilm zum Tonfilm", München 2003, 152) entsprach der Tonfilm der "totalen Mobilmachung" der Gesellschaft, die in der Sowjetunion in der stalinistischen Zeit verwirklicht wurde. Das Ziel des Vortrags liegt darin, die Transformationen in der Filmkunst der 1930er und 1940er Jahre aufzuzeigen, und diese in einen politisch-kulturellen Kontext der postrevolutionären Zeit zu stellen.


Maya Turovskaya
"The box-office medium is the message"

Every new technical invention in the field of Arts provokes disagreement among the artists. But if something has been invented once you can’t stop its development. After the invention of synchronization techniques in the early 1930ies first sound movies were regarded as an imminent risk for the cinema art. Basing on Marshall Mac Luhan’s famous study "The Medium is the Message" I am going to analyze functions of the box-office within the context of discussions about the sound movie as a challenge medium. One of the first sound films "Putevka v zhizn" (1931) is going to be used for a detailed analysis.


Raschit Jangirow
"Russian Sound": film reception and film practice in Russia Abroad in 1920s-1930s

Adjustment of sound and film had attracted Russian artistic mind from early 1910s, but this concern was theoretical rather than practical one. Had been found themselves abroad, Russian observers from early 1920s renewed discussion of the point while witnessing active hunt for new film technologies in the West (Tri-Ergon, Vitaphone et al.). Many émigré critics (Solomon Polyakov-Litovtsev, Sergei Volkonsky etc.) were quite skeptical towards artistic value of the first experiments and strongly believed in "silent Muse" of the screen. But by the end of 1920s sound film had necessary conquered in international scale and they were forced to reconsider general approaches to the film art. Meanwhile "Russian tunes" had become very popular in the first sound film shorts throughout Europe and the US and it had focused émigré spectators on hearing native sounds in it. Russian filmmakers were also active in sound production: Nickolas Evreinov started his film director career in France with three shorts in 1929; the same year Konstantin Miklashevsky had published in Berlin book "The Talking Film" – the first practical guide in Russian, which could be assumed as an unseized source for Eisenstein’s adventurous training in the West. My paper will also deal with other minor aspects of this unexplored theme of the film history.


Dmitri Zakharine
Die Ideologie der Geräuschmalerei

Gleich nach der Entstehung der ersten experimentellen Tonfilme wiesen einer der bedeutendsten Vertreter der Filmavantgarde Vertov (1929), der Erfinder der ersten sowjetischen Tonfilmkamera ?orin (1930), der Filmkritiker Sokolov (1930) und einige formalistisch vorgehende Filminterpreten, wie Andrievskij (1931) in ihren publizistischen Schriften darauf hin, dass der sowjetische Tonfilm signifikante Unterschiede gegenüber seinen westlichen Analoga demonstriert. Während im Westen dem Sprechfilm und dem Musical eine herausragende Bedeutung zukomme, spezialisiere sich die proletarische Tonfilmkunst mehr auf die Abbildung der Geräuschkulisse des heroischen Industriealltags. Der Vortragsschwerpunkt bezieht sich auf die Frage danach, welchen Beitrag die filmischen Synchronisierungsverfahren zur Ideologisierung des Industrielärms und zur Integration der gemeinschaftsstiftenden Appellsignale (Massenapplaus, Fabriksirenen, Hupen, etc.) in den Kontext der offiziellen sowjetischen Kultur der 1930er Jahre geleistet haben. Als Quellenmaterial vorgesehen sind Dokumentar- und Spielfilme, die um (1929) gedreht worden sind, des Weiteren auch Presseberichte, ethnographische Recherchen und Memoiren von Zeitgenossen.


Arkadij Blumbaum

Der Stalinstaat sollte nach den Gesetzen der musikalischen Harmonie funktionieren. So wurde er konzipiert, so wurde er im frühen Tonfilm dargestellt. Im Vortrag wird ein Versuch unternommen, das Kinodrama von Jurij Olescha "Strogij Junoscha" (1934) und den gleichnamigen Film von Abram Room (1936) in den zeitlichen Entstehungskontext der 1930er Jahre einzuordnen. Die beiden Werke wurden in der bisherigen Forschung ausschließlich als Produkte monumentaler Narrative, so beispielsweise meist im Zusammenhang mit sowjetischen Sexualitätsdiskursen in Augenschein genommen. Eine alternative Deutung impliziert die Einbindung der beiden Werke in einen bestimmten historischen und kulturellen Kontext, der sich vor dem Hintergrund der Auflösung der Russischen Assoziation der Proletarischen Schriftsteller RAPP (April 1932) konstituiert.


Konferenzsprachen sind Deutsch/Englisch/Russisch


Adresse: Universität Konstanz, Universiättsstrasse 10, 78464 Konstanz

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