Medien & Migration, SEE & EU - Part 1
[ Medien & Migration, SEE & EU ]
Seit einigen Tagen verfolge ich nun vor allem im Standard die Berichterstattung rund um die Geschichte der Familie Zogaj, die durch das Untertauchen der Tochter Arigona und ihre Videobotschaft die österreichischen ZeitungsleserInnen in Wallungen aller Arten bringt. Und die Foren kochen über, auf einmal ist alles durcheinandergeraten - wie, ein Mädchen aus dem Kosovo will in diesen nicht zurück, sagt, sie würde sich eher umbringen und kann nicht mehr Albanisch, das kann doch alles gar nicht stimmen? Richtig beleidigt wirken da einige LeserInnen - 'aber die Mutter kann doch kein Deutsch, wie haben die zuhause geredet'; paradoxerweise scheinen dieselben Leute, die aufschreien - 'So geht das doch nicht' - wenn Wiener ErstklasslerInnen mangelnde Deutschkenntnisse aufweisen, nun ebenso aufzuschreien - 'Die war doch erst neun, als sie gekommen ist - Ausrede, faule, die kann sicher eh noch Albanisch'.
Also, sinngemäß laut einiger PosterInnen: die kann sicher noch die Sprache, im Kosovo ist es eh schön, denn da stehen lauter neugebaute Häuser, so schlecht kann es denen ja nicht gehen, Krieg ist doch schon längst vorbei, und war der Vater nicht doch ein Krimineller? Albaner? Sind die nicht wenigstens keine Moslems, weil dann könnte man sie ja doch da lassen, oder? Und Friseurin kann sie ja doch auch im Kosovo werden? Außerdem, da könnte ja jeder kommen und den Staat erpressen, und die haben doch schon so lange, um unser teures Steuergeld, wie die Maden im Speck, hier gelebt? Und dieser unverantwortliche Vater, der sie nicht gezwungen hat, weiter Albanisch zu sprechen, der zugelassen hat, dass sie sich integrieren, die sollen sich ja gefälligst integrieren, aber nur, wenn wir ihnen erlauben, sich zu integrieren, ausdrücklich, schriftlich, laut Gesetz und ohne diese profilierungssüchtigen NGOs und AsylanwältInnen dabei? Und da steckt jemand dahinter, die Medien, die Grünen, die Linken; und was ist mit all den anderen, sollen wir die jetzt alle aufnehmen?
Franzobels Rede bringt die Absurdität der Lage für mich auf den Punkt:
Was will denn das für ein Staat sein, wenn er sich von einem 15-jährigen Mädchen, das alles, was es hat, einsetzt, nämlich das Leben, erpressen lassen könnte? Was kann Österreich verlieren? Wie soll denn eine 15-Jährige einen Staat erpressen? Das können allenfalls Terroristen! Geiselnehmer!
Wenn also der Innenminister davon spricht, dass Arigona Zogaj den Staat erpresse, dann betreibt er eine unzulässige Kriminalisierung, für deren Ahndung er selbst zuständig wäre. Asylanten befinden sich in einem rechtlosen Zustand, der jeden fühlenden Menschen beschämen muss. Die Situation der Asylsuchenden ist die mitteleuropäische Schande des 21. Jahrhunderts, die humanitäre Blamage der EU. Ich schäme mich dafür.
Und noch viel grausiger wird es, wirft man z.B. einen Blick ins Forum von 'Vorarlberg online', oder ins Forum von Österreich.
Von 'Österreich' war vielleicht keine andere Leserreaktion zu erwarten, doch auch das Publikum der sogenannten 'Qualitätszeitungen' hat einiges an Widerwärtigkeit zu bieten. Folgendes schreibt ein Poster in der Presse:
Weiters hat man am Gesichtsausdruck der 15jährigen erkannt, dass sie sich in Wahrheit nicht umbringt. Es besteht somit keine Gefahr, dass der Wohnort für die Ausländerin ein Begräbnis zahlen muss.
Weiters wird die Familie nicht auseinandergerissen, da alle nach Bosnien ziehen können. Sicherlich ist das Leben härter in Bosnien. Dort muss man viel arbeiten um wenig zu haben.
Und das ist nur ein Beispiel von vielen....Bosnien, Kosovo, alles einerlei (ein anderer Presse-Poster fordert überhaupt gleich 'Einwanderungsstopp für Muslime' und spricht von Genitalverstümmelung). Die wenigen KosovarInnen, die mitposten, zeigen sich in ihrem Stolz beleidigt und nennen Arigona eine 'Schande für das Kosovo', was auch keinem hilft.
Es sind nicht 10, nicht 20 Postings, sondern hunderte, von denen sehr viele Arigona Zogaj persönlich beschimpfen und beleidigen (Gfrast, Göre, Rotzmensch, undankbare....) - angesichts einer Selbstmorddrohung. Für heute zumindest erübrigt sich jeglicher Kommentar, ich schließe mich Franzobel an: Ich schäme mich. Vielleicht mehr noch als für die Situation Asylsuchender in Österreich schäme ich mich für die Feigheit und Unmenschlichkeit, die in den Online-Foren zur Schau gestellt wird.
In einem gänzlich anderen Zusammenhang heißt es im Standard User an die Macht. Für die Situation von AsylantInnen in Österreich eine sehr un-heimliche Aussicht....
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This is a part of the collage 'The Black File' by Croatian artist Sanja Ivekovic, who will be represented at documenta 12 (16/6-23/9) in Kassel this year.
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