SEE images in films - Part 4

posted by sab on 2007/01/30 01:55

[ SEE images in films ]

Ab dieser Woche im Votivkino (bis 8. Februar): Rule of Law, ein Dokumentarfilm von Susanne Brandstätter über eine österreichische Richterin im Kosovo:


Hier zum Inhalt und sonst noch einige Infos zum Film:

Synopsis
Claudia Fenz arbeitet für die UN-Mission in Kosovo, wo die österreichische Richterin helfen soll, „rule of law“, Gesetzmäßigkeit und Demokratie zu etablieren. Und das in einem Land, in dem diese Konzepte bisher weitgehend unbekannt waren. In einem exemplarischen Prozess soll Claudia Fenz über sechs Männer richten, die während der Unruhen im März 2004 einen Serben und seine betagte Mutter zu Tode gesteinigt haben sollen. Mit Fortschreiten des Prozesses entdeckt sie, wogegen sie wirklich anzukämpfen hat: Gegen eine geteilte Gesellschaft, in der nicht nur Serben und Albaner entzweit sind, sondern auch die „Internationalen“ und „Einheimischen“ („locals“). Erst als sie Osman trifft, einen Kosovar-Albaner, der ihr Kosovos Volk, und vor allem ihr uraltes Gewohnheitsrecht mit seinem strengen Codex von Ehre, Fehden und Blutrache näher bringt, beginnt Claudia Region und Volk zu verstehen.
Gemeinsam mit Osman besucht sie Kosovos inoffizielle Richter, die immer noch nach den Richtlinien des sogenannten Kanuns verhandeln. Und dies ohne Kenntnis der UN, die das Protektorat regiert. Die Dokumentation begleitet Claudia Fenz, wie sie zwischen zwei Welten pendelt – vom UN-Gerichtssaal bis in die Welt des Untergrund-Tribunals. Mit beiden konfrontiert, beginnt sie ihre eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen.
Der Film dokumentiert ihre Erfolge und Misserfolge und hinterfragt zugleich unser (westliches) Konzept von Recht und Gesetz, von „richtig“ und „falsch“, gegenüber dem Konzept einer anderen Gesellschaft. Kosovo als Prüfstein für zukünftige Demokratien.


Hintergrundthematik Kosovo
Überall sichtbar in Kosovo, ob in der Hauptstadt Pristina oder in Prizren, ist die Präsenz der „Internationalen“ – UN Personal und KFOR Soldaten, mitsamt ihren großen Geländewägen oder Militärjeeps. Alle agieren unter der Verwaltung der United Nations Mission im Kosovo bzw. der UNMIK, die die Provinz gemäß UN-Resolution 1244 vorübergehend (seit Ende des Krieges 1999) regiert. Denn völkerrechtlich gehört der Kosovo noch zu Serbien – eine Tatsache, die die albanische Mehrheit erzürnt und schmerzt. Ihnen sind die Massaker an albanischen Zivilisten, die Ende der neunziger Jahre stattfanden, noch sehr lebhaft in Erinnerung. Mittlerweile begannen die lang erwarteten Statusgespräche, in denen entschieden werden soll, ob Kosovo eine autonome Teilrepublik von Serbien oder eine unabhängige Republik wird. Kein Mensch weiß, wie lange es dauern wird, bis die Verhandlungen abgeschlossen werden können – manche mutmaßen Jahre und befürchten neue Unruhen, andere meinen, dass ein Staat Kosovo unter internationaler Überwachung noch vor Jahresende Realität werden könnte. Die Ausgangs-positionen der beiden Seiten sind unvereinbar: Die Serben betonen, dass die Frage von Kosovos Rechtsstatus grundsätzlich nicht zur Diskussion stehen kann, weil es sich bei der Provinz um serbischen Boden handle. Die Delegation aus Pristina hingegen, sieht die Unabhängigkeit Kosovos als einzige und in ihrer Substanz nicht verhandelbare Option. Allein die europäische Perspektive liefert einen Anlass zur Kompromissbereitschaft – in Belgrad wie auch in Pristina ist die EU-Integration das erklärte politische Ziel.
Inzwischen gilt es das Land zu stabilisieren und die Demokratie einzuführen. Aber das ist leichter gesagt als getan. Gewalt, Massenmorde und Vertreibung sind noch zu lebendig – vieles kann man schwer vergessen. Die Internationalen, die ständig von der „Notwendigkeit des Vergessens alter Feindschaften und des Vorwärtsblickens in eine bessere Zukunft“ sprechen, scheinen sich dessen nicht bewusst zu sein, dass erst vor wenigen Jahren Kriegsende war. Wie ein Kosovar Albaner beteuert: „Eines kann ich den Serben nie vergeben: Dass sie mich hassen lehrten.“ Bereits im März 2004 eskalierte ein Zwischenfall zu blutigen Krawallen, die sich in ganz Kosovo ausbreiteten und Menschenleben (unter Serben und Albanern) forderten, als Kosovo Albaner serbische Häuser und Einrichtungen attackierten und nieder brannten. Die Sicherheitstruppen der UN haben dabei kläglich versagt – ihr Ruf ist nun stark angeschlagen. Mittlerweile empfinden immer mehr Kosovaren die Präsenz ihrer einstigen Befreier („die Internationalen“) als eine Belastung - viele sind davon überzeugt, dass die UN Interesse hat, Kosovos Unabhängigkeit zu hintertreiben. Vor allem wächst die Abneigung und Ablehnung gegen die Fremdbestimmung, gegen das, was als eine Art Kolonialmacht empfunden wird. Viele bemängeln, dass sie von oben herab behandelt werden, ohne Zugeständnisse auf die Kultur und Tradition ihres Volkes.



Interview mit Susanne Brandstätter
War es von Anfang an geplant, die Person und die Arbeit der UN-Richterin Claudia Fenz ins Zentrum des Films zu stellen?

Nein, ich habe sie überhaupt nicht gekannt. Zuerst wollte ich einen Film über Kosovo machen, weil mich der Umstand fasziniert hat, dass die UN versucht, aus dem Nichts einen Staat zu schaffen und Demokratie zu importieren. Aber das, im großen und ganzen, ohne die Traditionen der einheimischen Bevölkerung zu berücksichtigen. Ganz zufällig bin ich dann auf einen Zeitungsartikel gestoßen, in dem erwähnt wurde, dass eine österreichische Richterin als UN-Richterin im Kosovo postiert wurde.

Inwiefern bot sich eine UN-Richterin – ganz unabhängig von ihrer Einstellung – als Idealbesetzung dar?

Es gibt in Kosovo ein über 600 Jahre altes Gewohnheitsrecht, den so genannten „Kanun“, welches das tägliche Leben reglementiert. Obwohl es darin einiges gibt, womit ich persönlich nicht einverstanden bin, fand ich es ungeheuerlich, dass die UN versucht, in Kosovo Demokratie zu etablieren, ohne überhaupt zu wissen, dass es dieses Gewohnheitsrecht und damit eine gewachsene Kultur gibt. Es mutet irgendwie nach Kolonialmacht an – einfach zu sagen „wir können es besser, übernehmen jetzt die Verwaltung und geben euch die Demokratie“, ohne dass die Bevölkerung, ihre Kultur und ihre Traditionen in Betracht gezogen werden. Da gibt es im Grunde genommen zwei Parallelwelten: die UN und die „Einheimischen“ – wobei allein der Begriff „die Einheimischen“ („the locals“) für mich schon ein bisschen von oben herab klingt.

Ab wann war dir klar, in welche Richtung sich dein Film und, allem voran, deine Protagonistin entwickeln würde?

Zunächst einmal wusste ich nur, dass die Gerichtsverhandlung zentraler Gegenstand sein würde. Die Idee mit den Dorfrichtern hat sich allmählich entwickelt, nachdem ich Claudia mit dem Übersetzer Osman zusammen gebracht hatte.

Das heißt, dass du die für dich wesentlichen Fragestellungen des Films gar nicht selbst formulieren musstest?

Ich hab mich prinzipiell sehr herausgehalten, denn ich wusste, dass ich bestimmten Situationen vertrauen kann. Sobald ich Claudia und Osman zusammengebracht hatte, wusste ich, dass das entstehen würde, was ich mir an Auseinandersetzung erwartet hatte. Ich wusste nämlich, wie Osman denkt und dass da zwei Welten aufeinanderprallen und Emotionen ausgelöst würden.

Hat die Präsenz der Kamera bzw. des Filmteams diesen Dialog beeinflusst – sei es in einem erschwerenden oder in einem stimulierenden Sinn?

Das glaube ich weniger. Bei Osman etwa war weniger die Kamera, sondern Claudia selbst der stimulierende Faktor. Dasselbe gilt auch für die Dorfrichter: Für die war es weniger wichtig, dass wir dabei waren, sondern vielmehr, dass sie eine UN-Richterin kennen lernen und ihre Gedanken austauschen konnten. Man hat das Gefühl gehabt, dass es für sie tatsächlich an der Zeit war, dass so etwas passiert.

War die laufende Kamera bei den Gerichtsverhandlungen auch kein Problem?

Nun – wir waren dort, und es ist natürlich illusorisch zu sagen, wir waren unsichtbar. Aber wir haben uns in einer Ecke positioniert, und ich habe Claudia versprochen, dass wir uns nicht bewegen. Sie selbst hat die Kamera wirklich ganz vergessen. Und die anderen waren schließlich auch so konzentriert auf ihr Anliegen, dass ihnen die Kamera völlig egal war.

Hatte Claudia Fenz es als Frau in der Rolle einer UN-Richterin schwer?

Man sieht im Gericht, dass das für die Verteidiger zunächst ein großes Problem war. Für eine patriarchalische Gesellschaft ist es natürlich ungeheuer schwierig, mit einer Richterin und zusätzlich noch mit einer Staatsanwältin konfrontiert zu sein, die plötzlich alles in der Hand haben. Den Respekt, der Claudia im Gericht letztlich entgegengebracht wurde, hat sie sich hart erkämpft. Am Anfang hat man tatsächlich versucht, sie an ihre Grenzen zu treiben.

Und das Ausscheren aus dem Gerichtssaal sorgt jedenfalls für einen dramaturgischen Mehrwert...

Ich versuche schon sehr darauf zu achten, wie sich eine Handlung aufbaut und dass es eine dramaturgische Entwicklung gibt. Claudia Fenz beispielsweise ist im Grunde genommen auf einer Art Suche, weil sie plötzlich im Gerichtssaal erkennt: Moment, da funktioniert etwas nicht so, wie es mir vorgestellt hatte; es gibt da ein Problem und ich muss herausbekommen, wie diese Leute ticken. Von da an geht man praktisch mit ihr mit und lernt durch ihre Augen diese Kultur und ihre Menschen kennen. Dem Ganzen wohnt eine große Spannung inne – und das auszuarbeiten ist ein uraltes dramaturgisches Mittel, das vielfach erprobt und noch immer interessant ist.

(Robert Buchschwenter)




CV Susanne Brandstätter
Autorin/Regisseurin/Produzentin
Susanne Brandstätter, geboren und aufgewachsen in Los Angeles, Studium in Los Angeles und Paris. Zieht 1975 nach Österreich. Österreichische Staatsbürgerschaft im Jahr 1978. Arbeitet als Freischaffende für den ORF, ab 1987 zahlreiche ORF-Dokumentationen. 2002 wird Susanne Brandstätter freie Filmemacherin. Ihre letzte Produktion “Schachmatt” wird 2003 im Wettbewerb beim International Documentary Filmfestival – IDFA (Silver Wolf Competition) in Amsterdam uraufgeführt, danach bei diversen anderen Festivals (Preise: Romy 2005 – Spezialpreis der Jury, zweiter Preis beim Kinoglaz/Tver). Susanne Brandstätter lebt und arbeitet in Wien und Kärnten.



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This is a part of the collage 'The Black File' by Croatian artist Sanja Ivekovic, who will be represented at documenta 12 (16/6-23/9) in Kassel this year.

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