Utopienverschleiß
[ Utopien ]
Utopien können sich abnutzen, sie können in Widerstreit miteinander geraten und einander gegenseitig aufheben im Gemurmel der auseinander driftenden Versprechungen und Prophezeiungen.
Annegret Middeke weiß in ihrer Fallstudie davon zu berichten, wie der zunehmende Utopienverschleiß letztlich zum Utopieverlust führt. Andrej Platonov schrieb Die Baugrube in den Jahren 1929/30, just zu der Zeit, als in der Sowjektunion ein Umbruch erfolgte, der bereits für sich mit einigen utopischen Entwürfen und Versprechungen einher ging: Die zentrale Planwirtschaft wird eingeführt, Zwangskollektivierung findet statt, alle literarischen Gruppierungen werden kategorisch zusammengefasst in einer Gruppe, der Russischen Assoziation Proletarischer Schriftsteller u.v.m.
Platonov fiel aus der Zwangsbeglückung heraus, er wurde von der neuen proletarischen Schriftstellervereinigung als nicht kompatibel befunden. Die Entwürdigung, Enttäuschung, sich festsetzende Orientierungslosigkeit über die Zielrichtung und Glaubwürdigkeit der Utopien spiegelt sich in Kotlovan, Die Baugrube, wieder. In dieser Baugrube treffen die widerstreitenden Utopien und Gemeinschaftsvorstellungen aufeinander, so dass das Gebäude des einen von jenem des nächsten wieder eingerissen oder zumindest überschattet wird. Wie die Welt gebaut ist, welcher Tektologie sie folgt, ist nicht mehr zu eruieren. Das Gebrüll und später abgenutzte Gemurmel der utopischen Entwürfe bringt diese unfassbare Tektologie zum Erschüttern, obwohl der Einsturz der Welt ausgespart bleibt.
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