Publikationen - Publications - Part 11

posted by Angela Heide on 2007/03/01 10:38

[ Publikationen - Publications ]

Gestern wurde im Österreichischen Theatermuseum eine umfassende biografische Ausstellung zu den "Rollen der Paula Wessely" eröffnet. Parallel dazu brachte das Österreichische Filmarchiv eine Filmretrospektive sowie "im hauseigenen Verlag eine umfassende Publikation" heraus, "die erste Spezialarbeit über die Filmkarriere der Wessely. [...]
Penibel und quellenkritisch zeichnen namhafte AutorInnen und Autoren die ebenso facettenreiche wie brüchige Filmkarriere der Burgtheaterikone nach und untersuchen die Mythenbildung rund um ihre Person", so Ernst Kieninger und Armin Loacker in ihrem Editorial zur Begleitbroschüre der Filmretrospektive.
Doch schon der erste darin abgedruckte Beitrag von Georg Seeßlen macht einem große Sorge, was das Versprechen nach "penibler" und "quellenkritischer" Arbeit des neu erschienenen Bandes des Filmarchiv Austria, das in diesem Weblog in den kommenden Wochen einer gemeinsamen Lektüre mit dem Katalog des ÖTM unterzogen werden soll, betrifft: So spricht Seeßlen davon, dass Paula Wessely 1924 am Volkstheater zum ersten Mal am Volkstheater aufgetreten sei und "dann" - also danach - am "Max-Reinhardt-Seminar" studiert habe (S. 10) - das ist in beiderlei Richtung unkorrekt, hatte die 1907 geborene Wienerin doch bereits 1922 mit dem Schauspielstudium begonnen, jedoch nicht am noch nicht einmal gegründeten Reinhardt-Seminar, sondern an der damaligen Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst (!), wo sie von Rudolf Beer, einem ihrer Professoren und dem damaligen Leiter des DVTs für die Rolle der Josephine in Sardous "Cyprienne" ihren ersten Vertrag als Schauspielerin angeboten bekam.
Reinhardt selbst war wie gesagt 1922 noch nicht einmal Direktor des Theaters in der Josefstadt, das er erst 1924 übernahm und in den folgenden Jahren die Pläne für die Errichtung s/einer Schauspielschule weiterentwickelte.

Noch "ungenauer" ist, weniger Absätze später, Seeßlens Bemerkung: "Später ging sie ans Burgtheater in Wien und spielte unter anderem unter Fritz Kortner und Max Reinhardt." (S. 10).
Das in vielerlei Hinsicht eine alles andere als "quellenkritisch", in mancherlei Hinsicht nahezu unmögliche Feststellung: Meint Seeßlen die Jahre vor 1938 respektive 1937 und den Emigrationsjahren Kortners und Reinhardts, so muss darauf hingewiesen werden, dass Paula Wessely mit keinem der beiden vor 1938 am Burgtheater gearbeitet hat - erstens, da Reinhardt nicht zuletzt aus "rassischen" Gründen vom damaligen Burgtheaterdirektor Wildgans als möglicher Nachfolger nahezu boykottiert wurde - und nach 1945 (Reinhardt starb 1943 in der Emigration) wohl kaum mit Max Reinhardt am Burgtheater gearbeitet haben kann, zweitens, weil die Schauspielerin wiederum mit Kortner erst weit nach 1945, genauer, 1964 (John Gabriel Borkman) und 1966 (Othello) am Burgtheater arbeitete.
Das Wörtchen "später" und die Kombination von Burgtheater, Kortner und Reinhardt in diesem Zusammenhang derart quellenunkritisch und historisch verfälschend zu kürzen, ist für einen wissenschaftlichen Beitrag in einem Begleitkatalog mehr als fragwürdig.

Und wie es passieren kann, dass der zweite Beitrag diese Heftes von Christoph Brecht und Ines Steiner, "Wunschbild Wessely", "Maskerade" als "Wiener Komödie" bezeichnet und als begleitendes Bildsujet die Endszene des Streifens - Leopoldine Dur am Kranken-, respektive "Operationstisch" im Gartenhaus ihrer Arbeitegeberin über dem nahezu tötlich getroffenen Geliebten "wachend" - abdruckt, macht nicht minder Sorgen über Genre-Zuschreibungen und "Mythenbildungen" und deren angeblich "kritische" Aufarbeitung.
Das genaue Studium der "hauseigenen Publikation" des Filmarchiv Austria zum Filmschaffen Paula Wesselys wird hoffentlich erfreulichere Lektüreergebnisse bringen. ---

Von Schleißigkeitsfehlern begleitete Texte wie jener Seeßlens machen vor allem eines wieder einmal schmerzhaft einsichtig: der Zwang zur Schnellschusspublikation von angeblich wissenschaftlich fundiertem Text auf Text, Beitrag auf Beitrag, zu dem man im derzeitigen Wissenschaftssystem, nicht zuletzt für die Erlanung von Forschungsförderungen, gezwungen ist, macht den Wissenschaftsbetrieb nicht unbedingt erkenntnis- und wissensreicher. Fehler werden gemacht, auch bei der wissenschaftlichen und akademischen Arbeit, das gehört dazu.
Fehler wie die oben genannten, die nichts mit Quellenforschung, sondern schlichtweg mit dem Aufschlagen von bestehenden Biografien oder Aufführungsverzeichnissen zu tun hat, lassen einem eher geschockt zurück.
Vielleicht sollte man dann zumindest in den Ankündungen, über die Not der Schnellschussschreibpflicht von heute wissend, zumindes Phrasen wie "umfassend", "akribisch" oder gar "quellenkritisch" weglassen - zumal, wenn Quellen scheinbar heute gar nicht mehr genutzt werden, reicht es doch schon, hübsche und "innovative" Formulierungen oder "neue Thesen" wie dass "Episode" (1935) und nicht "Maskerade" (1934) "der Schlüsselfilm für Paula Wesselys weitere Filmkarriere dar[stelle]" (Brecht/Steiner, S. 17) anzubringen, um zur Phalanx der heimischen Theater- und Filmforschung zu gehören.

Quelle: Filmarchiv Austria 40, 01/07

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