Europäische Adressbüros in der Frühen Neuzeit.
Ein vom FWF gefördertes Projekt zu den "Suchmaschinen" des 17. und 18. Jahrhunderts
Immer verworrener, unübersichtlicher und chaotischer werden die Städte in der Frühen Neuzeit; es bedarf einer Reihe von aufwändigen Maßnahmen und Einrichtungen, um sie für ihre BewohnerInnen und für fremde BesucherInnen benützbar zu machen. Eine dieser Einrichtungen sind die seit dem 17. Jahrhundert gegründeten Adressbüros. Das berühmteste unter ihnen ist das von Thêophraste Renaudot in Paris eingerichtete Bureau d’adresse, das ab 1630 existiert; in London wiederum leitet 1650 Henry Robinson ein kurzlebiges Office of Address for Accomodations, und es werden in der Folge eine Reihe so genannter Registry Offices installiert, worunter vor allem das von Henry Fielding 1750 begründete Universal Register Office hervorzuheben ist. Auch in deutschsprachigen Städten gibt es solche Einrichtungen, so wird in Berlin 1689 ein Adress-Hauß eingerichtet. Alle diese Büros verwalten und makeln Informationen und Adressen, verweisen auf neu erschienene Bücher und vermitteln Mitfahrgelegenheiten bei Reisen; sie treten neben die traditionellen Beziehungsnetzwerke und übernehmen manche deren Funktionen, wie zum Beispiel Verkaufs- und Arbeitsvermittlung, Informationsaustausch, Kreditvergabe oder Botendienste.
In der Habsburgermonarchie hätte es bereits kurz nach Renaudots Pariser Bureau d'Adresse die Gelegenheit gegeben, ein Adressbüro zu gründen, doch scheitert der baskische Sprachlehrer Johannes Angelus de Sumaran 1636 mit seinem Versuch, in Wien eine offentliche fragstuben einzurichten, am Widerstand der theologischen Fakultät der Universität. Auch Wilhelm von Schröders Projekt von 1686, die Habsburgermonarchie mit einem Netz von Intelligenzhäusern zu überziehen, wird nicht verwirklicht. Es dauert bis ins Jahr 1707, bis in Wien gleichzeitig mit dem Versatzamt – dem heutigen Dorotheum – das Frag- und Kundschaftsamt gegründet wird, eine Einrichtung, über die nur wenig bekannt ist. Sicher ist, dass sie über Jahrzehnte hindurch existiert und ab den 1720er Jahren eng mit dem Wienerischen Diarium kooperiert; bis Anfang des 19. Jahrhunderts gibt das Wiener Fragamt ein eigenes Anzeigenblatt – die Post-tägliche Wiener Frag- und Anzeigungs-Nachrichten, auch Kundschaftsblatt genannt - heraus, in dem neben Verkaufsanzeigen u.a. Stellenanzeigen, Steckbriefe sowie Verweise auf neu erschienene Bücher abgedruckt werden.
Auch in Prag gibt es ein Fragamt; es wird 1747 in Zusammenhang mit dem dortigen Versatzamt errichtet und gibt wie das Wiener Amt ein Kundschaftsblatt heraus. Wenige Jahre später, 1751, wird in Brünn eine solche Einrichtung 1751 als Anhängsel zur Mährischen Lehen-Bank gegründet. Es beabsichtigt, ein Informationszentrum zu sein, in dem man sich u.a. Auskunft über den Postverkehr und Fracht- und Maut-Gebühren besorgen kann; aus dem vom Brünner Fragamt ab 1755 herausgegebenen Intelligenzblatt entsteht die Brünner Zeitung. In Klagenfurt scheitert 1757 ein Projekt, gleichzeitig mit einem Versatzamt ein Fragamt einzurichten; ein 1768 vom Buchhändler Josef Schotter herausgegebenes Kundschaftsblatt kann sich nur kurz halten. Auch das Mitte der 1770er Jahre in Laibach veröffentlichte Wochentliche Kundschaftsblatt des Herzogthum Krain scheint ohne Zusammenhang mit einem Fragamt zu bestehen.
Die nächste Welle an Gründungen von Frag- und Kundschaftsämtern erfolgt in den 1780er Jahren: So existiert 1781-1783 ein kurzlebiges Fragamt in Preßburg; länger hält sich sein Pendant in Galizien: 1782 sucht ein gewisser Johann Friedrich Schütz darum an, in Lemberg ein auch als Frag- und Anzeigamt bezeichnetes Intelligenz- und AdreßKomtoir einzurichten, das in den folgenden Jahren ein Intelligenzblatt herausgibt. Ab 1783 besteht ein Fragamt in Graz, in dem u.a. Druckschriften zu kaufen sind und das weiters Wohnungen und Dienststellen vermittelt sowie Informationen über gefundene und verlorene Gegenstände veröffentlicht. Die endgültige Gründung eines ungarischen Fragamts erfolgt 1787/88: Damals installiert Christian Hieronymus Moll, Sohn eines Wiener Hofkriegsagenten, ein Frag- und Kundschaftsamt in Pest; auch in Ofen gibt es ein solches Amt, zusammen verlegen sie 1788 bis 1789 das Ofner und Pester Frag- und Kundschaftsblatt. Ab 1804 erscheint wieder ein Periodikum, das Pester Kundschaftsblatt, das erst 1857 eingestellt wird.
Das letzte im 18. Jahrhundert in der Habsburgermonarchie gegründete Fragamt ist dasjenige des Journalisten Michael Hermann Ambros in Innsbruck: Es soll ein unter höherer Aufsicht stehender, allgemeiner, bequemer und unkostspieliger Mittheilungs-Mittelpunct wechselseitiger Verkehrsbedürfnisse und Anliegenheiten von Obrigkeiten und Privat-Partheyen sein und publiziert ab 1799 die Innsbrucker Wöchentlichen Anzeigen, 1801 in Innsbrucker Wochenblatt umbenannt.
Das Forschungsprojekt ist an der Schnittstelle von Geschichts-, Kultur- und Medienwissenschaften angesiedelt und möchte einen ersten Überblick über die europäischen Adressbüros geben, die als "Orte des Wissens" und der Informationsvermittlung analysiert werden sollen. Im Fokus der Untersuchung liegen damit weniger die vor allem im 18. Jahrhundert erschienenen Publikationen der Adressbüros – die Intelligenzblätter –, da diese ohnehin schon breit erforscht werden. Stattdessen interessiert der Ort Adressbüro, steht dessen Funktionieren im Zentrum, insbesondere die hier verwendeten Techniken, um Informationen zu verwalten und zu vermitteln sowie all jene Angebote, die in den Räumlichkeiten der Adressbüros selbst zu benützen sind. Es soll nach der Bedeutung gefragt werden, die den zu untersuchenden Einrichtungen in der frühneuzeitlichen Informationsgesell¬schaft zukommt; vielleicht ist es dabei hilfreich, die Geschichte der Adressbüros als Vorgeschichte der Internet-Suchmaschine zu verstehen. Als Grundlage für die Beantwortung dieser und weiterer Fragestellungen sollen in erster Linie Archivmaterialien herangezogen werden; erste Projektpräsentationen fanden bereits auf Tagungen in Wien, München, Berlin, Hamburg und London statt.
Projektleitung: Anton Tantner
Institutionelle Anbindung: Institut für Geschichte, Universität Wien
Projektlaufzeit: 01.07.2007 bis 30.06.2010
Kontakt: http://tantner.net
Präsentation erster Ergebnisse in Anton Tantners Weblog: http://adresscomptoir.twoday.net/topics/Adressbueros
anton.tantner@univie.ac.at